Er kann komisch, tragisch und skurril – und hat sich in den letzten Jahren ganz nach vorn gespielt. Jetzt kommt Milan Peschel in einer neuen Rolle ins Kino: als Scheinriese Herr Tur Tur in der "Jim Knopf"-Verfilmung. Bärbel Schäfer hat ihn getroffen.
Milan Peschel kommt zu unserem Treffen direkt von der Theaterprobe. Am Schauspiel Hannover führt er Regie bei "Mephisto", einem Stück nach dem gleichnamigen Roman von Klaus Mann. Auch für unser Treffen hat er die Regie übernommen und im Netz ein kleines Café rausgesucht. Wir sitzen im ruhigen Hinterzimmer.
Im Kino ist er ab dem 29. März in der "Jim Knopf"-Verfilmung als Scheinriese Tur Tur zu sehen: Der liebenswürdige und hilfsbereite Herr Tur Tur lebt zurückgezogen in der Wüste, weil die Menschen seine Größe fürchten, dabei sieht er doch nur aus der Ferne so furchterregend gigantisch aus.
Bärbel Schäfer: Alle haben Angst vor Herrn Tur Tur, wovor fürchten Sie sich, Herr Peschel?
Milan Peschel: Vor Menschen. Nicht so sehr vor der Zukunft, aber davor, dass der Mensch alles Schöne und Fragile kaputt macht.
Sind Sie Pessimist?
Nein, ich bin eher optimistisch-lebensfroh. Wenn ich aber im Internet über die Vermüllung der Meere oder über versmogte Städte recherchiere, dann sehe ich, wie wir uns selbst den Ast absägen, auf dem wir sitzen.
Und Sie selbst sind ein Umweltengel?
Klar, auch ich muss darauf achten, wie viel Müll ich produziere. Der intensive Konsum, den uns der Kapitalismus ermöglicht, hat eben auch negative Folgen.
Was tun Sie denn konkret?
Ich bin bequem wie alle. Es geht aber immer mehr, als wir glauben. Ich versuche es mit Veränderungen im Kleinen. Ans Set bringe ich zum Beispiel meine eigene Tasse mit, weil ich nicht für jeden Kaffee einen neuen Pappbecher verbrauchen will.
Mögen Sie keine Menschen, wenn Sie sagen, dass sie Ihnen Angst machen?
Doch, natürlich mag ich Menschen. Ich bin gern mit ihnen zusammen. Es fällt mir nur so schwer zu verstehen, dass wir nicht schneller lernen, wie zerbrechlich die Natur ist. Wir umgeben uns noch immer mit so vielen Autos, wir konsumieren zu viel Fleisch, wir schippern mit Luxusjachten auf dem Mittelmeer herum. Warum fällt es uns so schwer, das alles loszulassen?
Tur Tur lebt als Einsiedler, wäre das eine Lösung für Sie? Der Rückzug?
Nein. Das könnte ich nicht.
Gibt es etwas, dem Sie sich ganz bewusst verweigern?
Ich muss. Es gibt jede Menge berufliche Angebote, und ich muss bewusst das nächste Projekt auswählen. Wo sage ich zu, was lehne ich ab? Ich will mich ja nicht vor jeden Karren spannen lassen. Aber dafür musste ich erst lernen, Grenzen zu ziehen. Nein sagen ist nicht immer einfach für mich.
Warum?
Standhaft zu bleiben ist immer schwer, wenn das Geld lockt. Ich habe zum Beispiel gerade ein Werbeangebot abgesagt. Wir Schauspieler müssen Familien ernähren, Miete oder Hypotheken zahlen, aber unser Handeln hat Konsequenzen, das dürfen wir nie vergessen.
Sie schlüpfen in so viele Lebenswelten, viele davon dürften Ihnen fremd sein. Fällt Ihnen das schwer?
In Extremsituationen kommen in jedem von uns neue Seiten zum Vorschein. Aber wer will schon dem Tod, Naturkatastrophen, Krisen oder Trauer ins Auge blicken? Beim Dreh musste ich neulich eine neue Wassersportart wagen, die ich im realen Leben nie ausprobiert hätte. Mein Beruf schubst mich oft in neues Terrain. Das ist gut. So geht es ja auch kleinen Kindern: Da kommt immer wieder Fremdes, Neues, durch das sie etwas über sich und das Leben lernen.
Haben Sie so etwas wie einen Rückzugsort? Wenn ja, wo liegt er?
Das verrate ich nicht. Nur so viel: Er liegt auf dem Land. Meine Frau und ich haben aber auch die Familie und unsere Zweisamkeit als Fluchtpunkt. Diese Zweisamkeit ist auch Ratgeber und Ort unserer Freundschaft.
Begleitet Ihre Frau Sie zu langen Proben außerhalb Berlins?
Wenn sie als Kostüm- oder Bühnenbildnerin dabei ist, ja. Wir gucken dann Serien, schalten zusammen ab. Unsere Kinder sind ja schon fast aus dem Haus.
Ist die Welt des Theaters auch so ein Fluchtpunkt für Sie?
Definitiv. Dorthin zieht es mich immer wieder zurück. Theater ist eine sehr unmittelbare Kunst. Dort kann ich mich kreativ verausgaben. Das Theater ist mein vertrautes Zuhause. Es hat mich ausgebildet, aufwachsen und als Künstler reifen sehen.
Wo sitzt dieses Zuhause-sein-Gefühl bei Ihnen denn genau?
Für mich im Kopf (lacht). Jeden Morgen auf dem Weg zur Theaterprobe bin ich auch heute noch immer noch so herrlich freudig aufgeregt. Ich weiß ja nie, was passiert, wenn ich mein Spielzimmer, das Theater, mit all meinen Lieblingsspielzeugen betrete.
Ein schöner Zustand!
Ja! Fantastisch! Und dieser Glückszustand lässt sich immer wieder herstellen und erstaunlicherweise auch wiederholen. Vielleicht liegt es an der Vielfalt und Wechselwirkung der Dinge, die ich mache als Regisseur und als Schauspieler im Film und im Theater.
Das eigene Zuhause hat einen anderen Geruch als zum Beispiel das Zuhause der Freunde. Wie riecht denn Ihr Theaterzuhause?
Nach Staub, Dreck, Schweiß, aber auch nach einer frischen Dusche. Nach echtem Leben eben. Das riecht gut.
Wenn Sie unterwegs an Drehorten sind, können Sie dann entspannt hinter sich lassen, was zu Hause los ist?
Ja, das kann ich sogar sehr gut. Besser als meine Frau. Ich lasse mich am Drehort komplett fallen, denn ich muss mich dort um keinen Alltagskram kümmern. Ich besitze die schöne Fähigkeit, mich an dem Ort, an dem ich gerade bin, wohlzufühlen.
Viele Menschen nörgeln beständig über die Lebenssituation, in der sie gerade sind. Könnte man von Ihnen lernen anzukommen?
Ich hoffe es. Bei mir ist das allerdings ein Überlebensinstinkt. Wenn ich mich nicht wohlfühle, geht es mir schlecht, und das schadet mir. Ich ändere etwas an den Umständen, die ich ändern kann. Ich handele und mache es mir gut. Ich rede mir aber nicht schön, was nicht schön ist.
Konsequenzen ziehen und handeln, das klingt erwachsen.
Stimmt. Es ist immer gut zu wissen, was man will und was man nicht will. Viele haben Angst, Fehler zu machen. Fehler sind gar nicht schlimm, daraus entsteht oft etwas Überraschendes. Manchmal macht das Leben eben Umwege, es gilt neugierig zu bleiben. Auch in der Seitenstraße des Lebens kann man was entdecken.
Wann haben Sie denn der Liebe zu Ihrem Beruf erstmals hundertprozentig getraut?
Von Anfang an. Wirklich immer. Als Spätstarter aus der zweiten Reihe wusste ich genau, was ich wollte.
Wie funktioniert Ihre Annäherung an eine Figur, mit der Sie dann beruflich länger unterwegs sind?
Ganz praktisch, ich glaube nicht an Hineindenken oder das Herantasten. Ein Mensch mit Talent, Kostüm und Text ist doch schon eine Figur auf der Bühne. Manchmal lernt man eben nur den Text und dann, mit einem guten Bühnenpartner, Kameramann, Regisseur an der Seite, fängt man an eine Figur, eine Welt zu entdecken.
Bleiben die Rollen an Ihnen haften?
Ich kann Dinge gut abschließen. Und manchmal bin ich auch froh, wenn die Figuren mich wieder verlassen.
Hinterlässt der Beruf keine Spuren?
Doch. Manchmal sage ich Dinge und weiß gar nicht, von welcher Rolle die kommen. Dann weiß ich nicht, wer da aus mir spricht. Die Erfahrungen und die intensiven Begegnungen, die dieser Beruf mit sich bringt, das macht natürlich etwas mit mir. Ich bin ein Produkt meines Weges. Ich versuche meine Zeit hier zu genießen und mein Leben nicht auf Kosten anderer zu führen.
Begeistert es Sie immer noch, Koffer zu packen und zu neuen Drehorten aufzubrechen? Oder werden auch Sie ab und zu hotelmüde?
Eigentlich breche ich immer noch gern auf. Aber meine Toleranzgrenze sinkt. Ich mache nicht mehr jedes Hotel mit.
Sind Sie gut im Kofferpacken?
Och, wie alle packe ich immer zu viel ein. Bücher müssen immer mit und davon dann oft auch zu viele, weil ich mich nicht entscheiden kann.
Ankommen oder aufbrechen, was ist anstrengender beim Unterwegssein?
Das Aufbrechen. Das Ankommen ist schön und aufregend, denn da geht ja etwas los.
Kennen Sie Heimweh?
Nein, das habe ich nicht.
Hat Ihre Familie ein Abschiedsritual?
Ja, vor dem Aufbruch setzen wir uns immer noch mal kurz zusammen an den Tisch. Die Koffer stehen parat, die Jacken sind schon an. Winzige Pause, innehalten und dann geht es los.
"Jim Knopf" ist eine Kinderproduktion. Sie sind selbst Vater von zwei Kindern. Was beglückt Sie am Vatersein?
Das Filmegucken mit meinen Kindern hat mir früher immer sehr viel Spaß gemacht. Heute, wo sie erwachsen sind, begeistert es mich, mit ihnen auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen. Danach hatte ich als Vater eine große Sehnsucht.
Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
Kinostart: 29. März 2018