Was bedeutet eigentlich "Familie"? Und wie räumt man als Frau mit toxischen Leistungsidealen auf? Schauspielerin und Regisseurin Karoline Herfurth ordnet sich (und die Welt um sie herum) neu – und erzählt uns im Interview, wie sie das schafft.
Kronleuchter, purpurfarbenes Samtsofa, bodentiefe Spiegel. "Das ist aber nicht mein Wohnzimmer", sagt Karoline Herfurth zu Beginn unseres Zoom- Gesprächs, "nicht, dass du denkst, was ist denn mit der los?" Sie sitzt in einer Hotelsuite am Ku’damm und hat unten ihr Rad geparkt. Die 38-Jährige ist eine der erfolgreichsten deutschen Filmemacherinnen – und gerade ist viel los bei ihr: Rebellierte ihr letzter Film gegen toxische Schönheitsideale, folgte darauf "Einfach mal was Schönes". Darin erzählt sie einfühlsam von einer 40-jährigen Singlefrau mit Kinderwunsch, die sich ihren Traum selbst erfüllt. Wir sprechen über neue Familienbilder, starke Netzwerke und ihre Lust am Faulenzen, denn das sei ihr wahrer Luxus: "einfach auf der Wiese liegen oder Unkraut zupfen".
Karoline, "Wunderschön" kam 2022 nach langer pandemiebedingter Wartezeit ins Kino, jetzt hast du mit "Einfach mal was Schönes" nachgelegt und in Hollywood wurde ein Remake von deinem Regie-Debüt "SMS für dich" gedreht (u. a. mit Celine Dion). Wird dir nicht ein bisschen schwindelig?
Die Balance zwischen Beruf und Privatem zu finden ist ja für alle immer eine Herausforderung. Aber die Pandemie und der Krieg haben mir noch deutlicher gemacht, wie wertvoll Zeit ist. Das hat mein Verhältnis zur Arbeit verändert. Ich finde es sehr inspirierend, dass heute immer weniger Menschen bereit sind, 40 Stunden die Woche, also ihre Hauptlebenszeit, in den Beruf zu stecken. Ich fände es sinnvoll, wenn der Arbeitsmarkt umstrukturiert würde.
Was möchtest du für dich verändern?
Ich möchte meine Zeit noch bewusster einsetzen und das nächste Jahr entspannter angehen. Ich bin zum Glück in einer Position, in der ich Menschen um mich versammeln kann, mit denen ich gerne arbeite. Ich merke trotzdem, dass ich immer fauler werde. Das hat auch die Pandemie mit sich gebracht und ich habe keine Lust, wieder zu dem Pensum zurückzukehren, das ich vorher hatte.
In "Einfach mal was Schönes" brichst du ein gesellschaftliches Tabu: Karla geht auf die 40 zu, hat katastrophale Dates, die biologische Uhr tickt. Sie will sich mithilfe einer Samenspende künstlich befruchten lassen. Wie bist du auf dieses Thema gekommen?
Eigentlich sollte ich bloß die Karla spielen, bin aber schon früh in die Drehbuchentwicklung mit eingestiegen und habe mich dann in die Figuren und die Geschichte verliebt. Ich stehe selbst kurz vor der 40 und habe einige Frauen kennengelernt, die in einer ähnlichen Situation sind wie Karla: Sie haben einen Kinderwunsch, aber keinen Partner, also was tun? Gibt man dann seinen Traum auf – oder verändert man ihn? Glaubt man vielleicht, ein Ideal erfüllen zu müssen und traut sich deshalb nicht, eigene Wege zu gehen? Diese Fragen fand ich spannend: Was macht die Situation mit dir und welche Lösungen für eine Familiengründung kannst du finden? Karla sagt an einer Stelle: "Ich will ja ein Kind und keinen Mann."
Wie verstehst du Familie?
Ich bin in einer Patchwork-Familie mit sieben Geschwistern groß geworden, meine Familie entspricht also nicht der klassischen Idealfamilie. Auch meine Freund:innen sind in den unterschiedlichsten Konstellationen aufgewachsen. Individuelle Familienlösungen waren für mich schon immer normal. Ich glaube, Familie kann viele Formen haben und hat nicht unbedingt etwas mit Blutsverwandtschaft zu tun und schon gar nichts mit Heteronormativität. Auch ein Reiterhof kann für jemanden Familie bedeuten. Ich finde die Herde, von der Karlas Schwester am Ende des Films spricht, eine ziemlich schöne Idee.
Nerven dich deshalb die Idealvorstellungen, wie man als Frau zu sein hat?
Grundsätzlich bin ich, sowohl in meiner Familie als auch durch die Schule, die ich besucht habe, in einem Umfeld groß geworden, in dem es nicht darum ging, Normen zu erfüllen. Ich hatte schon immer die Erlaubnis, Fehler zu machen und das Leben nach meinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Erst später habe ich gemerkt, wie sehr mich öffentliche Bilder unbewusst geprägt haben. Und wie sehr bestehende Rollenvorstellungen dazu beitragen, welche Familienformen als besser oder richtiger bewertet werden als andere.
In den meisten Bundesländern ist es immer noch Voraussetzung, verheiratet und heterosexuell zu sein, um die Kinderwunschbehandlung von der Krankenkasse bezuschusst zu bekommen.
Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, dass in unserer Gesellschaft jeder Mensch das Recht hat, seine Lebensträume zu verwirklichen. Bei alleinstehenden Frauen mit Kinderwunsch ist das aber nicht der Fall. Sie werden bei der Familiengründung benachteiligt, weil die Kostenübernahme an das Ideal einer Ehe gebunden ist, das mit der Realität schon lange nichts mehr zu tun hat und über die tatsächliche Qualität einer Familie nichts aussagt.
Willst du diese Ideale infrage stellen?
Die Frage ist doch: Was ist eine gute Umgebung für ein Kind? Wenn es Frauen zur Bedingung gemacht wird, Kinder nur bekommen zu dürfen, wenn sie einen Mann haben, finde ich das falsch, ja. Ich denke, wenn wir eine Familie gründen, stoßen wir zwangsläufig an den Punkt, Familienbilder, mit denen wir groß geworden sind, zu hinterfragen und zu überprüfen, was die Qualität einer Familie ausmacht. Dann ist es an der Zeit, eigene Bilder zu bauen. Deshalb ist es schön, dass im Film zwei Frauen heiraten, weil ich es wichtig finde, immer wieder vielfältige Bilder von Liebe und Familie zu erzählen.
Hauptrolle, Regie, Drehbuch – du machst alles gleichzeitig. Kannst du auch um Hilfe bitten?
Wenn es um große Entscheidungen oder Konflikte in meinem Leben ging, habe ich mich immer coachen lassen. Schon seit ich 19 bin. Ich habe sehr früh angefangen zu arbeiten und bin in Stresssituationen, in Widersprüche und Umgebungen, die nicht unbedingt frauenfreundlich waren, gekommen. Meine Mama ist Psychologin, deshalb war das für mich selbstverständlich. Dafür bin ich sehr dankbar, weil mir das heute ermöglicht, stabil in mir selbst zu sein und mein Leben so zu leben, wie ich es tue. Eine Beziehung zu meinem Bauchgefühl zu bekommen war eine der schönsten Aufgaben überhaupt. Natürlich gibt es stressige Phasen, in denen ich mal die An- bindung an mich selbst verliere, wahr- scheinlich brauche ich auch deshalb immer mehr Ruhe und Zeit für mich, je älter ich werde.
Du bist sehr, sehr erfolgreich. Wirst du trotzdem manchmal unterschätzt?
Du meinst von Männern? Die Männer, von denen ich umgeben bin, sind zum Glück wirklich toll. Als ich mit 15 Jahren in die Filmwelt kam, wurde das Thema Gleichberechtigung noch ganz anders behandelt. Bei Gagenverhandlungen habe ich oft gehört: "als Frau". Für Männer schienen finanziell irgendwie andere Regeln zu gelten. Das hat mich wahnsinnig wütend gemacht. Dazu kommt, dass das Drehen nicht gut vereinbar ist mit einer Familie, sodass sich viele irgendwann zwischen Set und Familie entscheiden müssen und typischerweise waren es eben eher die Frauen, die dann zu Hause geblieben sind, und die Männer, die weiter arbeiten mussten.
Wie verbindest du das alles?
Ich finde es wirklich wichtig zu betonen, dass ich alles, was ich mache, nicht alleine mache. Ich bin nicht die Powerfrau, die alles alleine schafft, das finde ich ein furchtbares Bild. Ich habe ein starkes Netzwerk mit vielen Menschen, mit denen ich mir die Aufgaben teile.
Heute bist du in einer Position, in der du selbst Veränderungen anstößt.
Ich bin jetzt seit 23 Jahren in der Filmwelt. Damals wurde fast alles von Männern entschieden: Welche Geschichten werden erzählt, welche lohnen? Mir wurde oft gesagt, dass Männer in der Hauptrolle grundsätzlich mehr ziehen. Seitdem hat sich viel verändert, natürlich auch durch die #MeToo-Bewegung. Und das ist hoffentlich erst der Anfang. Am Set hatten wir das Modell, dass man alle zwei Wochen nur vier Tage arbeitet – wir brauchen ein Umdenken und ich glaube daran, dass es immer schöner wird!
Dieser Artikel erschien zuerst im EMOTION-Heft 12/22.
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