Alondra de la Parra ist mexikanische Stardirigentin und hat mit 38 Jahren schon über 100 Orchester weltweit dirigiert. Sie lebt in Berlin und ist Mutter von zwei Kindern. Wie schafft man das?
Alondra de la Parra muss einen ausgefüllten Tag haben. Sie ist Chefdirigentin des Queensland Symphony Orchestra, vertritt als Kulturbotschafterin ihr Geburtsland Mexico, ist als Markenbotschafterin für She’s Mercedes unterwegs, hat mit "Musica Maestra" ein multimediales Klassikformat für die Deutsche Welle gestartet und war in diesem Jahr Patin beim EMOTION.award2019. Die Mutter von zwei Kindern lebt in Berlin.
Wir haben Alondra de la Parra zum Interview getroffen
Was ist eigentlich die primäre Aufgabe einer Dirigentin, Frau de la Parra? Die künstlerische Interpretation der Musik oder die Leitung des Orchesters?
Die Dirigentin hat die Aufgabe, ein Stück so zu interpretieren, dass es im Konzert bestmöglich dargeboten werden kann. Dabei arbeiten wir ein wenig wie Regisseure: Das Skript ist geschrieben, die Worte sind da – aber wie sie eingeordnet und artikuliert werden sollen... Bei uns sind die Noten da. Die Musik ist das Was, der Dirigent bestimmt das Wie.
Ein weiterer wichtiger Part als Dirigentin ist, die Musiker zu motivieren, ihren Ehrgeiz zu wecken. Das ist der Teil des Jobs, den man nicht einfach lernen kann. Wenn eine Gruppe von Menschen als Orchester zusammenkommt, fließen so viele Kleinigkeiten, so viele Charaktere zusammen.
Einige Fähigkeiten kann man also lernen, andere sollten gegeben sein. Wann wussten Sie, dass Sie Dirigentin werden wollen?
Sehr früh schon. Mein Vater sagte zu mir: ‚Du hast gute Ohren und ein Talent dafür, Menschen zusammenzubringen. Du solltest Dirigentin werden...’ Ich spiele Klavier seit ich 7 bin und Cello seit ich 13 bin. Aber ich habe immer schon das große Repertoire eines Orchesters bewundert. Mit 14 wusste ich, dass es mein Wunsch war, zu dirigieren.
Das ist sehr früh, oder?
Das stimmt. Aber das war gut – denn so konnte ich mich wirklich darauf konzentrieren, denn es ist ein Beruf, der sehr viel Disziplin und Anstrengung einfordert.
Gibt es Menschen, die Ihnen aufgrund ihres jungen Alters mit Zweifeln begegnen?
Wenn mich Leute eine junge Dirigentin nennen, frage ich mich immer, woran sie das festmachen. Wer ist hier jung? Ich dirigiere seit 16 Jahren professionelle Orchester. Ich kann noch viel lernen aber nach 100 Orchestern in 30 Ländern bin ich sicherlich nicht mehr „jung“ im Sinne von unerfahren. Diese Menschen ziehen vorschnelle Schlüsse – aber wenn sie mich auf dem Podium erleben, spricht meine Arbeit für sich.
Es gibt nicht sehr viele erfolgreiche Dirigentinnen. Überhaupt sind Frauen auch in der klassischen Musik unterrepräsentiert. Welche, vielleicht weiblich konnotierte, Eigenschaft macht Sie erfolgreich?
Fliegt eine Frau ein Flugzeug anders als ein Mann? Ich denke nicht. Ich habe ein besonderes Gehör, weil es von meinen Eltern und später von meinen Lehrern geschult und von meinen Erfahrungen geprägt wurde. Das macht mich zu der Dirigentin, die ich bin. Nicht mein Geschlecht
Sie haben einen besonderen Stil, der manchmal fast wie Tanzen wirkt.
Vielen Dank. Jede Dirigentin hat ihre eigene Sprache. Sie entsteht aus Technik, Ausdruck und natürlich dem individuellen Charakter einer Dirigentin. Es ist Kommunikation. Es ist eine Art der Sprache, aber es ist nie Tanzen. Denn ein Tänzer reagiert auf die Musik, der Dirigent dagegen ist immer einen Schritt voraus. Ich führe.
Sie führen und Sie begeistern unter anderem viele Kinder. Sie haben schon mehrmals mit dem venezuelanischen Simon Bolivar Youth Orchester gearbeitet und engagieren sich gerne für Projekte, die Kindern klassische Musik näher bringen. Was kann Klassik, das andere Musik nicht schafft?
Klassische Musik macht so viel Spaß! Sie ist eine Herausforderung, deshalb unterstützt sie die Entwicklung von Kindern ganz besonders. Was klassische Musik für Kinder uninteressant und unzugänglich macht ist nicht die Musik selbst, sondern das Marketing. Aber viele Opernhäuser haben das erkannt und organisieren tolle Events für Kinder.
Es gibt ganz wundervolle Cello- oder Klaviersoli, aber besonders machtvoll ist Klassik immer, wenn sie von einem Orchester gespielt wird, oder?
Das war einer der Gründe für mich, Dirigentin werden zu wollen. Jeder Erfolg ist ein Gruppenerfolg, jedes Erlebnis ist eine Gruppenerfahrung. Gerade für junge Leute ist das eine so wertvoll: sie lernen Teamwork, Verantwortung, Geduld. Sie lernen pünktlich und vorbereitet zu Proben zu erscheinen – wenn Du Deinen Part nicht erfüllst, leiden alle. Aber wenn Du dem Publikum eine wundervolle Erfahrung geschenkt hast, gilt der Applaus – die Wertschätzung – jedem Einzelnen im Orchester.
Jede Performance in ihrem Job ist live, alles muss sitzen. Als künstlerische Leiterin und Chefdirigentin des Queensland Symphony Orchestra haben Sie ein wenig mehr Spielraum für Entscheidungen. Wie gehen Sie mit Fehlern um?
Das wunderbare an einem Orchester ist, Veränderungen und Fehler sind innerhalb kürzester Zeit zu bemerken. In Organisationen können solche Prozesse Jahre dauern. Fehler können sogar Spaß machen, wenn es darum geht, den besten Ausweg zu finden. Was wird passieren? Wird er uns aus der Bahn werfen – oder profitieren wir von dem Adrenalinschub und werden am Ende sogar besser, stärker als Gruppe? Ich finde Fehler völlig OK, solange man nicht denselben Fehler zweimal macht.
Klingt alles sehr menschlich.
Klassik ist 100 Prozent menschlich. Heutzutage ist alles schnell, unmittelbar – theoretisch müsste niemand mehr sein Bett verlassen und menschliche Kontakte pflegen. Aber das Spiel von klassischer Musik ist das Gegenteil. Sie wird von lebendigen Menschen, mit Talenten, mit Hingabe kreiert – ganz ohne Kabel, ohne Lautsprecher. Live-Musik bewegt, sie lässt träumen, sie ist vergänglich und niemals perfekt. Das ist ein Risiko, aber ich bin fest davon überzeugt, dass die klassische Musik eine Renaissance erleben wird. Der Trend bringt uns gerade zurück zur Natur – sehen Sie sich die Ernährung an. Musik musste bis ans äußerste Ende der elektronischen Möglichkeiten gehen, so distanziert wie möglich. Und bald werden wir zurückkehren zur reinen, menschlichen Energie.