Was soll ich tun? Das ist die Frage, die uns aktuell alle umtreibt. Unser Tipp: die antike Achtsamkeitslehre des Stoizismus, der gerade wiederentdeckt wird.
Stoiker – mehr als im Angesichts des Sturms ruhig bleiben
Was tue ich hier eigentlich? Was macht wirklich Sinn? Wie soll ich leben? Gerade in schwierigen Zeiten sehnen wir uns nach Menschen, die uns Mut machen und Orientierung geben, die uns Fragen zur Sinnhaftigkeit aus ihrer inneren Haltung und den entsprechenden Werten beantworten. Und wie so oft, wenn man in der Gegenwart keine geeigneten Vorbilder findet, findet man sie in der Antike. Für die Philosophen des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit war Philosophie "Lebenskunst" (techne tou biou), ein Alltags- und Krisentraining wie auch ein Instrument der Selbstsorge (epimeleisthai sautou). Es erstaunt also gar nicht, dass derzeit diese Form antiker Achtsamkeitslehrer wieder in Mode gerät, in ihren Ursprüngen war diese Kunst viel mehr als ihre spätere moderne Adaption – die kognitive Verhaltenstherapie. Für die griechischen Philosophen ging es nicht um einzelne Techniken für spezielle Probleme. Es ging um ein gutes Leben insgesamt. Das kriegt man, indem man sich nicht von dem aus der Bahn werfen lässt, was zu beeinflussen nicht in der eigenen Macht steht. Und sich nur auf die Dinge konzentriert, die man beeinflussen kann.
Die Stoiker, die wohl bekanntesten Vertreter der Lebenskunst, lehrten innere Gelassenheit, auch in Gegenwart von Krisen und Kriegen. Stoisch zu sein bedeutet aber mehr, als im Angesicht des Sturms ruhig zu bleiben und im Einklang mit der Natur zu leben. Die Auseinandersetzung mit sich selbst, den eigenen Denkweisen und der inneren Ausrichtung geht tiefer, kratzt ganz schön am Ego. Es kann eine Weile dauern, bis man einen Satz wie "Sei dir deines Todes bewusst – und mach dir dieses Bewusstsein im leben zunutze" verdaut hat. Bis man ihn lebt, kann beinahe ein ganzes Leben vergehen. Eine innere wertezentrierte Haltung (ethos), die resilient macht und durch die Wirren des Lebens trägt, hat man aber nicht einfach. Man muss sie regelmäßig trainieren.
Innere Haltung muss man üben
Was für Hindus und Buddhisten die Meditation ist, ist für die Stoiker das Mentaltraining. Während bei der fernöstlichen Meditation die Gedanken vorbeiziehen dürfen, sind sie in der stoischen Variante ein Betrachtungsobjekt: Hier übernimmt der vernünftige Seelenteil – der Geist (nous) – eine (selbst-)therapeutische Hauptrolle. Das beste Beispiel ist der römische Kaiser-Philosoph Marc Aurel,m dessen Selbstbetrachtungen dem Stoizismus seit einigen Jahren eine weltweite Renaissance beschert haben. Völlig zu Recht. Marc Aurel ist das perfekte Role Model nicht nur für Politik:erinnen und Manager:innen – sondern für alle, die jetzt Haltung zeigen wollen. "Man muss aufrecht stehen, ohne aufrecht gehalten zu werden", schrieb Marc Aurel. Das kritzelte er auf ein Wachstäfelchen, während er schlimmsten Kriegswirren im Kampf gegen die Quaden und die Markomannen ausgesetzt war. Dieser Satz ist Teil seiner Übung: Marc Aurel pflegte einen schriftlichen Dialog mit sich, um angesichts radikaler Unübersichtlichkeit bei sich zu bleiben und sich zu stärken. Ein Motiv, das auch heutzutage durch das Journaling – also die schriftliche Auseinandersetzung mit sich selbst in Form einer Selbstreflexion im Gegensatz zur reinen Lebenschronik – auflebt.
Das Ziel von Marc Aurel war, sich wieder und wieder an drei Punkte zu erinnern, die sein Ethos begründen:
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Urteile objektiv – lass dich nicht von Hirngespinsten verrückt machen!
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Handle gerecht – denn du bist Teil des großen Ganzen: der Totalität der Menschheit und des Kosmos!
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Akzeptiere das, was du momentan nicht ändern kannst heiter und gelassen – befreunde dich mit dem Unabänderlichen!
An anderer Stelle schreibt Marc Aurel:
"Wenn du eines Morgens nicht aufstehen magst, bedenke: 'Ich erwache, um als Mensch zu wirken".
Ist das nicht eine ziemlich wertvolle Einsicht, die Mut machen kann – auch und gerade heute?
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