Richtig zu entspannen ist im Alltag manchmal gar nicht so leicht – trotzdem ist Erholung extrem wichtig für Körper und Geist. Tipps, wie echte Entspannung gelingen kann.
Richtig entspannen – so funktioniert's!
Abschalten tut nicht nur der Seele gut. Auch der Körper braucht geistige Erholung, sagt Arzt, Psychologe und Psychotherapeut Prof. Dr. Christian Schubert, Leiter der Arbeitsgruppe für Psychoneuroimmunologie des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin. Wir sprachen mit ihm über die Auswirkungen von mentalen und emotionalen Prozessen auf unsere physische Gesundheit.
EMOTION: Herr Schubert, warum ist es so wichtig, dass wir uns Auszeiten gönnen?
Prof. Dr. Christian Schubert: Das ist eine Frage des Gleichgewichts. Zu einer Anpassungsreaktion gehört immer die Aktivierung und die Regeneration, das ist ein Naturprinzip. Das spiegelt sich auf physiologischer Ebene wider: Wir haben in unserem Organismus den Sympathikus, den Aktivierungsteil des vegetativen Nervensystems, der Energie bereitstellt und unseren Körper leistungsfähiger macht. Und wir haben seinen Gegenspieler, den Parasympathikus, der Energiereserven aufbaut und dafür sorgt, dass wir nach Anspannung wieder regenerieren. Das ist ein natürliches Hin und Her. Wir sollten uns in einer Balance befinden.
Gar keinen Stress zu haben würde für den Menschen also nicht funktionieren?
Genau, der Mensch braucht den positiven Stress, auch Eustress genannt. Dieser Zustand ist mit Anforderung verbunden und lässt uns lernen. Stress ist per se ja nicht schlecht. Sind wir dennoch überfordert und geraten in einen unkontrollierbaren Distress, kann daraus Krankheit resultieren. Wir sollten also für einen Wechsel von maßvoller Anregung und Deaktivierung sorgen, das ist sehr gesund.
Was passiert im Körper, wenn wir zu viel negativen Stress erleben?
Eigentlich verfügt unser Organismus über einen natürlichen Balancierungsmechanismus: Eine Stressreaktion ist zunächst mit einem kurzfristigen sympathikusbedingten Entzündungsanstieg verbunden, dieser wird durch den Parasympathikus rückreguliert. Das zeigt sich auch darin, dass wir nach Belastungen müde werden und unsere Aktivität automatisch runterfahren. Wenn wir aber in eine Dauerbelastung geraten, kann es als Gegenreaktion zu längerfristigen Entzündungsanstiegen und Ermüdungsreaktionen kommen. Das kann dann krank machen. Die meisten denken, Stress entstehe vor allem durch ein hohes Arbeitspensum. Ich bin überzeugt, dass insbesondere Spannungen und Konflikte in emotional bedeutsamen Beziehungen zu Angehörigen und anderen wichtigen Personen belastend und gesundheitsgefährdend sind.
Stichwort Entzündung und Gegenreaktion: Ich habe manchmal Zahnschmerzen, wenn ich viel Stress habe.
Das kann ein seelisch-körperliches Warnsignal sein. Ein Zahnarzt würde jetzt wahrscheinlich an Ihrem Zahn rumdoktern. Aber wenn Sie diesen Nervenschmerz immer wieder haben und er immer wieder weggeht, wenn Sie sich erholen, ist das vermutlich Ihr individuelles Warnsignal bei einer psychischen Belastung. Es will Ihnen vielleicht sagen, dass Sie an Ihre Leistungsgrenze gekommen sind und nun in die Regeneration gehen sollten. Wir sollten viel mehr lernen, uns besser wahrzunehmen und ganzheitlich auf körperliche Beschwerden zu reagieren.
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Vielen Menschen fällt es schwer, diese Warnsignale zu erkennen. Eine Freundin von mir arbeitet auch mit Fieber und nimmt lieber Schmerztabletten.
Das ist das Schlechteste, was man tun kann, so kann man auf lange Sicht erst recht und viel schwerer erkranken. Das Immunsystem schüttet im Fall einer Infektion Entzündungsstoffe aus, die im Gehirn das sogenannte Sickness Behavior triggern. Man fühlt sich krank, ist erschöpft, zieht sich zurück. Der Sinn dieses Krankheitserlebens und -verhaltens ist, dass wir uns schonen, um Energie für den Abwehrprozess einzusparen. Dieses Warnsignal hat uns die Natur also mitgegeben, um wieder gesund zu werden. Es gilt mehr oder weniger für alle Menschen gleich. Man sollte unbedingt auf diesen Hilferuf des Organismus hören und nicht die wertvolle Energie verschwenden, die für die Heilung nötig ist.
Müsste man sich im Urlaub dann auch zurückziehen, um sich zu erholen, wenn man von der Arbeit erschöpft ist?
Ich denke nicht. Denn so, wie jede:r seine individuellen Warnsignale hat, die die eigenen Grenzen anzeigen, so hat auch jede:r seine eigenen Möglichkeiten, um wieder runterzukommen. Es gibt Menschen, die sich am besten erholen, wenn sie einen Activity-Urlaub oder eine Kulturreise machen. Andere entspannen am besten, wenn sie am Strand liegen und überhaupt nichts tun. Auch gibt es Menschen, die soziale Aktivität im Urlaub haben wollen, und andere, die sich gerne zurückziehen.
Was ist denn eine effektive Auszeit? Eine, bei der man an nichts denkt?
Ich glaube nicht, dass es darum geht, das Gehirn auszuschalten, das geht sowieso nicht. Sondern um eine räumliche und zeitliche Distanzierung von den Dingen, die einen üblicherweise in Anspannung halten. Deswegen bin ich übrigens auch kein großer Fan des Homeoffice. Die Forschung zeigt, dass wir von den Themen, die uns im Arbeitsalltag beschäftigen, gedanklichen Abstand gewinnen sollten, um zu regenerieren.
Kann das Arbeiten im Homeoffice nicht auch Vorteile haben?
Wenn Sie damit meinen, dass Menschen auch mal später anfangen können, weil sie beispielsweise noch einen Arzttermin haben: Ja. Das ist sogar im Sinne der Regeneration, weil sie sich dadurch flexibler an gewisse, teils unvorhersehbare Lebenumstände anpassen können.
Wie viel zeitlichen Abstand von meinen Stressauslösern brauche ich, um zu regenerieren?
Die Forschung legt nahe, dass anderthalb Wochen Urlaub ausreichen, um vom Alltags- und Berufsstress Distanz zu bekommen – bei 20 bis 30 Tagen Urlaub im Jahr ließen sich auf diese Weise sogar mehrere Urlaubseinheiten im Jahr einplanen. Aber auch die Zeitspanne, die optimale Regeration ermöglicht, ist von Person zu Person unterschiedlich. Bei manchen dauert es eine Weile, bis sie in ihrem Urlaub angekommen sind und abschalten können. Auch Faktoren wie das Stressausmaß der letzten Wochen oder die Zufriedenheit in der Arbeit dürften bei der Regenerationsdauer eine Rolle spielen.
Kann ich lernen, abzuschalten?
Es kommt darauf an, wovon Sie abschalten müssen. Wenn jemand in einer chronischen Stresssituation ist, die emotional wirklich sehr belastend ist, dann wird es für diese Person vermutlich nicht möglich sein, abzuschalten. Denken Sie an schlimmen Liebeskummer: Diese Person können Sie nicht einfach so auf eine Urlaubsinsel setzen. Dort wird sie vielleicht sogar besonders leiden, weil sie auf sich selbst zurückgeworfen ist. Ich denke aber schon, dass man lernen kann, mit seinen Gedanken und Gefühlen vermehrt im Hier und Jetzt zu sein und unveränderbare Situationen anzunehmen, was sich beispielsweise positiv auf das Grübeln auswirkt, weil man sich nicht so leicht in Sorgen und Ängsten verliert. All das ist "Achtsamkeit" – achtsamkeitsbasierte Methoden wirken sich nachweislich auch auf die Immunfunktion aus.
Was kann man beim Entspannen falsch machen?
Sich zur Erholung zwingen. Man kann sich nicht einfach wie einen Computer an- und abschalten. Auch ist es nicht gut, seine Entspannungsplanung so strikt zu organisieren, dass sie am Ende selbst wider in Stress ausartet, weil man beispielsweise von einem Behandlungstermin zum nächsten hetzt – Massage, Bewegung, Meditation – und am Ende gar nicht mehr zur Ruhe kommt. Oder wenn mit Ihnen etwas gemacht wird, was Sie nicht mögen oder wobei Sie das Gefühl haben, das bringt mir eh nichts. Manche Dinge muss man zwar erst lernen, und man muss sich erst einmal darauf einlassen. Generell denke ich aber: Was mir nicht guttut, muss ich nicht durchziehen.
Welche Entspannungstechniken empfehlen Sie?
Ein Klassiker ist die Mindfulness Based Stress Reduction (MBSR), eine traditionelle achtsamkeitsbasierte Meditationsform, die auch Yoga und Problemlöseaspekte einbezieht. Da geht es einerseits um eine tiefe Entspannungsfähigkeit, andererseits darum, belastende Probleme kognitiv in den Griff zu kriegen. Genauso helfen Progressive Muskelentspannung, Selbsthypnose und autogenes Training. Aber auch einfach tiefes Atmen, Bewegung in der Natur oder andere gemäßigte Bewegungsformen, die wohltun, sind eine gute Art, um aus dem Körper heraus in die Entspannung zu gelangen. All das aktiviert nachweislich den Parasympathikus, reduziert Entzündungsphänomene im Körper, stimuliert den Immunschutz und verlangsamt Zellalterungsprozesse.
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