Spenderkinder: Die Single-Mutter Claudia Spiegele erzählt, wie sie sich den Kinderwunsch mit einer Samenspende erfüllt hat - und nun fünf Kinder hat.
Spenderkinder: "Ich habe mich bewusst für die Fünf entschieden."
Auf dem Heimweg nach Schulschluss klappt der neunjährige Liam den Laptop auf: Er sitzt auf der Rückbank des Minivans und nutzt die ruhige Stunde auf der Schnellstraße, um noch etwas zu lernen. Es ist ein weiter Schulweg von Stuttgart bis in das 4000-Seelen-Dorf, in dem Liam lebt: mit seiner Mutter Claudia, den Großeltern und seinen vier Geschwistern.
Die anonyme Spende einer dänischen Samenbank
Doch der Weg muss sein, damit der Junge die Schule besuchen kann, die Claudia für die beste hält. Dafür fährt sie rund 210 Kilometer jeden Tag. Überhaupt gibt es nichts, was sie nicht für ihre Kinder täte. Da ist nur eins, das Claudia ihnen nicht geben kann: einen Vater. Das Spendersperma des biologischen Erzeugers hat Claudia auf der Website einer dänischen Samenbank ausgewählt. Damals war er Student. 1,80 Meter groß, blondes Haar, blaue Augen, Claudia kennt sogar seine Blutgruppe. Der Spendersamen lagert bei minus 196 Grad Celsius in sogenannten „Straws“, kleinen Plastikröhrchen, in einer Kryobank in Kopenhagen. Claudia hat fünf Kinder von ihm: Liam, Enya, Neala, Belle Sofy und Nelle Joly.
„Ich wollte schon als Mädchen Kinder. Aber eine ZDF-Reportage über dänische Samenbanken kam der Suche nach einem Mann, mit dem das möglich gewesen wäre, einfach zuvor.“
Claudia Spiegele, Mutter von 5 SpenderkindernTweet
Warum sich Frauen für eine Samenspende entscheiden
Warum sie sich für diese Familienkonstellation entschieden hat? Darauf hat sie mehr als eine Antwort. Kein richtiger Mann zum richtigen Zeitpunkt. Das Zusammenleben mit ihrem Ex-Verlobten empfand Claudia als schwierig, sie möchte heute nicht mehr darüber sprechen. Viele Frauen entschieden sich nun mal für den falschen Mann, sagt sie. „Und viele merken erst, wenn sie schon Kinder haben, wie schlecht die Partnerschaft funktioniert.“
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Die deutsche Durchschnittsfamilie besteht aus 1,5 Kindern, einer Mutter und einem Vater. Nicht selten in Patchworkkonstellation. Jede dritte Ehe wird geschieden. Diese Art Familie wollte Claudia nicht. „Ich wollte schon als Mädchen Kinder. Aber eine ZDF-Reportage über dänische Samenbanken kam der Suche nach einem Mann, mit dem das möglich gewesen wäre, einfach zuvor.“ In der Sendung sah sie Frauen, die auf diesem Wege glückliche Mütter geworden sind. Also dachte sie: Das kann ich auch.
Alleinstehende suchen im Ausland nach Spendern
Für Singlefrauen in Deutschland ist das noch immer schwierig: Viele deutsche Samenbanken und Ärzte lehnen es ab, Alleinstehenden zu helfen, die meisten Singles fahren deshalb ins Ausland. Denn in vielen europäischen Nachbarländern ist die Gesetzgebung liberaler. In Dänemark sind Mütter, deren Kinder einen Spendervater haben, längst normal.
Mit Mitte 20 hörte Claudia das Ticken ihrer biologischen Uhr, „Gott sei Dank früh“, sagt sie. Denn wenn andere mit Mitte 30 anfangen, an die Familienplanung zu denken, ist es nicht mehr ganz so leicht, schwanger zu werden. Ab 40 ist es für Frauen mit Kinderwunsch fünf nach zwölf, so Reproduktionsmediziner.
Wie Claudias Mutter auf den Kinderwunsch reagiert
Nie wird Claudia den Tag vergessen, an dem sie die Samenbank-Reportage sah: denn danach veränderte sich alles für sie. Sie erzählte ihrer Mutter am Telefon davon. Als es um die Kosten einer Insemination ging, sagte diese trocken: „Tja, immer noch billiger als eine Scheidung!“ Claudia lacht, als sie das erzählt. Sympathisch, wenn ausgerechnet Mütter solche Sprüche bringen und die Romantisierung der eigenen „heiligen Familie“ infrage stellen.
Aber braucht ein Kind nicht einen Vater? Einen, der ihm das Schwimmen beibringt? Der seiner Tochter sagt, dass sie eine Prinzessin ist – egal, was alle anderen sagen? Einen, der das Kind zur Kita bringt, wenn die Mutter ins Büro muss? Eine Mutter ohne Vater ist nur die Hälfte dessen, was einem Kind zusteht, denken manche. Auch wenn die alleine doppelt so gut ist, so wie Claudia.
Die moderne Reproduktionsmedizin verändert Familie
Dabei leben wir in einer Zeit, in der das Geschlecht eines Elternteils immer unwichtiger scheint. Frauen bauen heute Flugzeuge, Männer backen Weihnachtskekse. Es werden gleichgeschlechtliche Ehen geschlossen, und vor allem in Großstädten ist es nicht mehr ungewöhnlich, dass Kinder auf dem Schulhof „meine Mamas“ oder „meine Papas“ sagen.
So betrachtet, stärken die Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin alle Geschlechter. Weil es Samenbanken als Alternative gibt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass Männer ungewollt Vater werden. Und Frauen wird der Druck genommen, rechtzeitig einen passenden Kindesvater zu finden.
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Der erste Erfolg der Samenspende
Vor zehn Jahren trat Claudia mit 25 Jahren ihre Reise nach Dänemark an. Sie brauchte drei Versuche, um schwanger zu werden. Erster Erfolg: Liam. Ein sensibler Junge, zu dem das Klischee des „zerstreuten Professors“ passt. Jeder der insgesamt acht Versuche verursachte Kosten und war eine Belastung für ihren Körper. In den folgenden Jahren wurden Enya und Neala geboren. Enya sei super in der Schule und im Vergleich zu ihrem Bruder sozial kompetent. Auch Neala sei „ein Selbstläufer“.
Denn wo Platz für drei Kinder ist, da ist auch Platz für fünf.
ClaudiaTweet
Bei Claudias letzter Hormonstimulation Anfang 2018 sind gleich zwei Eizellen herangereift. Hätte das echt noch sein müssen?, haben ein paar Leute gefragt. „Falsche Frage“, findet Claudia, „Denn wo Platz für drei Kinder ist, da ist auch Platz für fünf.“ Man kann Claudia verrückt nennen oder eine ambitionierte Überflieger-Mutter. Aber vielleicht ist sie einfach eine Frau, die zeigt, wie Familie in der Zukunft auch gehen kann.
Wie sich die Familie gegenseitig unterstützt
Wenn die Kleinen aus den Windeln sind, will sie wieder als Logopädin arbeiten. Oder vielleicht etwas Neues machen. Jetzt aber braucht sie erst mal alle Kraft für ihre Kinder. Und für ihre Eltern: Ihr Vater ist schwer krank und wird palliativ betreut. Auch ihre Mutter ist angeschlagen, doch auf dem Weg der Besserung. „Wir sind eine Familie! Und Familien helfen sich gegenseitig“, sagt Claudia. Oft ziehen sich die Mädchen für ihre Hausaufgaben zur Oma zurück, während Claudia mit Liam noch auf dem Heimweg ist. Die Babys sind an drei Tagen in der Woche vormittags bei einer Tagesmutter, nachmittags ist dann die ganze Großfamilie zusammen. Ein wildes Tohuwabohu unter einem Dach.
Was Kinder in erster Linie brauchen, sind Geborgenheit und Liebe
Claudia Spiegele, Mutter von 5 SpenderkindernTweet
Finanzielle Herausforderungen der Großfamilie
Klar, dass bei so vielen Mitbewohnern der Platz rar ist. Während Claudia im Wohnzimmer auf einer Matratze schläft, teilen sich die drei Großen und die Zwillinge je ein Zimmer. Und natürlich sind Dinge, die für viele andere Familien selbstverständlich sind, für Claudia und ihre Kinder großer Luxus. „Wenn wir essen gehen, gibt es eben Waffeln oder Pommes im Café“, sagt sie. Sie nimmt gern Unterstützung von Freunden an, zum Beispiel Kinderkleidung aus zweiter Hand. Auch Urlaub oder Ausflüge in den Vergnügungspark überschreiten das Familienbudget. Claudias Familie lebt von Eltern-, Kinder- und Pflegegeld. Das Haus, in dem sie wohnen, gehört ihren Eltern. Später wird sie es erben, doch zurzeit zahlt sie Miete an die beiden. Und dann gibt es da noch so viele Wünsche: Enya will reiten lernen, Neala soll einen Schwimmkurs besuchen und Liam hätte gern ein Handy.
Doch all das seien Kleinigkeiten, findet Claudia. Es gebe viel Wichtigeres. „Was Kinder in erster Linie brauchen, sind Geborgenheit und Liebe“, sagt sie. „Wir haben genug zu essen, und jedes Kind bekommt die Zuwendung und die Bildung, die ihm zusteht.“ Ob ihr nicht das Ausgehen fehle, das Flirten? Da lacht Claudia nur. Ihr reichen all die Eltern-Termine – bei fünf Kindern kommen da einige zusammen. Ihr fehle nichts, sagt sie. Am wenigsten ein Mann.
Wenn die Kinder nach dem Vater fragen
Liam und seine Schwestern wissen um ihre Herkunft. „Im Vergleich zu Trennungs-Kindern ist für meine nichts weggebrochen. Und sie sind keine ‚Unfälle‘, ich habe mich bewusst für sie entschieden. Meine Kinder sollten sich nie für ihre Herkunft schämen.“ Wenn sie 18 sind besteht die Möglichkeit, dass sie ihren biologischen Vater kennenlernen. So hat das Gesetz es vorgeschrieben.
In ihrem schwäbischen Dorf, in dem noch die Kehrwoche gilt, musste Claudia anfangs mit der Stigmatisierung „Samenbank-Mutter“ kämpfen. Einmal wurde sie auf der Straße von einer völlig Fremden gefragt, wie sie denn die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen wolle. Übergriffig, findet Claudia. „Bekommen alle Kinder in Deutschland später ein Studium finanziert?“, fragt sie. Manchmal frage sie sich, was in unserer Gesellschaft nicht stimmt. „In Entwicklungsländern, wo alle arm sind, sind fünf Kinder normal. Hier gilt man als asozial.“ Dabei wolle doch die Politik die Geburtenrate in Deutschland erhöhen.
Inzwischen haben sich die Leute im Dorf an Claudia als die Exotin mit den vielen Kindern von der Samenbank gewöhnt. Viele bieten ihr inzwischen sogar Hilfe an. Sie nimmt sie gerne an.