Ihre Unabhängigkeit war unserer Kollegin das Wichtigste – bis sie merkte: Sie will plötzlich gar kein Ich-ling mehr sein. Und sich entschied, das Wir zuzulassen.
Mein erster Satz als Kleinkind lautete: "Della aheine" – Stella alleine. Ich wollte schon immer gerne unabhängig sein. Wenn mich eins wahnsinnig macht, dann sind es "Pattex-Pärchen", die 24/7 aufeinander hocken. Ich habe Freund:innen, die ich nach ihrer Hochzeit nie wieder alleine getroffen habe. Ein Graus!
Versteht mich nicht falsch: Von meinen 20 Erwachsenenjahren habe ich 16 in festen Beziehungen verbracht – und trotzdem immer ganz viel alleine gemacht. Längere Job-Perioden und Workations im Ausland, auf Tour mit der Band… Eine Beziehung zerbrach daran. Bei meiner Jugendliebe bleiben oder für ein Jahr nach Tansania gehen, um für eine internationale Tageszeitung zu schreiben? Mit 25 wählte ich, klar, das Abenteuer. Mit 30 zog ich mit meiner zweiten Liebe zusammen – und ergriff nach drei Monaten die Flucht. Das war mir alles zu eng, zu verbindlich.
Living-Apart-Together – der perfekte Kompromiss?
Lange war das Living-Apart-Together-Modell mein Favorit. Schon Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre genossen in getrennten Wohnungen "die Vorteile des Lebens zu zweit und keine seiner Unannehmlichkeiten". Statt zu heiraten, schlossen sie einen Pakt – für eine Liebe ohne Einschränkung. Sie gestatteten einander Affären, waren oft monatelang allein im Ausland unterwegs und siezten einander. Ich feierte das.
Dann verliebte ich mich in meinen jetzigen Ehemann. 18 Jahre waren wir beste Freunde gewesen. Der Lockdown wirkte wie ein Katalysator. Nach anderthalb Monaten verlobten wir uns, nach neun Monaten zog Michel bei mir ein – nicht ganz freiwillig. Er musste aus seiner damaligen Wohnung raus und wollte am liebsten direkt zu mir ziehen. Ich hielt das für überstürzt, hätte ein WG-Zimmer "für den Übergang" besser gefunden. "Aber ich will auch im Alltag mit dir zusammenleben", sagte Michel. Da sah ich ein, dass ich bloß feige war. Wenn nicht jetzt, wann dann?!
"Liebe muss man sich erarbeiten"
Zur selben Zeit führte ich für dieses Magazin ein Interview mit dem Berliner Paartherapeuten Clemens von Saldern. Eine Sache blieb mir besonders im Kopf: "Unsere Zeit fördert den Autonomiegedanken, aber Freiheit und Selbstbestimmung genügen auf Dauer nicht, um glücklich zu werden. Denn wir sind soziale Wesen, die auch auf Bindungen angewiesen sind." Trotzdem steige die Zahl der "Ich-linge" in unserer Gesellschaft immer weiter an, "weil die Annahme vorherrscht, auf Beziehungsarbeit, also gewinnbringend in die Partnerschaft zu investieren, verzichten zu können. Dabei ist es so, dass Liebe kein Ereignis ist, Liebe muss man sich – hart – erarbeiten."
Dann sagte er noch Folgendes: "Leute, die es bis 40 nicht geschafft haben, mal mit jemanden zusammenzuwohnen, schaffen es meistens auch nicht mehr. Dann sind die Solo-Gewohnheiten zu tief verankert." Man sei nicht mehr offen für Kompromisse. So wollte ich definitiv nicht enden. Also wagte ich es.
Und was soll ich sagen: Jackpot! Seit anderthalb Jahren leben wir auf 64 Quadratmetern glücklich zusammen und haben die perfekte Alltagschoreografie entwickelt, damit wir uns nicht gegenseitig auf den Senkel gehen. Kompromisse und Rücksichtnahme sind das A und O, denn auch Michel braucht viel Me-Time.
Die Challenges des Zusammenlebens – zwischen Nähe und Distanz
Herausfordernd: Sein Wecker klingelt schon um 5 Uhr. Ich bin Freelancer, arbeite von zu Hause. Mein Arbeitstisch ist gleichzeitig unser Esstisch, steht direkt neben dem Herd. Mein Mann liebt kochen. Also muss ich zusehen, das Gröbste vor 15 Uhr geschafft zu haben – denn Artikel schreiben sich nicht so gut, wenn jemand in unmittelbarer Nähe einen Entenfond reduziert. Wir sind beide öfter beruflich unterwegs und können abwechselnd sturmfrei feiern. Ich gehe auch weiter oft allein auf Partys oder zu Familienfesten. Manchmal fragt jemand: "Alles in Ordnung bei euch?" Keine Ahnung, was sie denken, wenn ich dann sage, dass uns ein bisschen Abstand einfach sehr, sehr guttut.
Aber auch nicht zu viel! Neulich wollte ich spontan nach Indien reisen, um dort an einem neuen Buch zu arbeiten. Mein Mann fand, ich hätte wohl ein Rad ab. "Warte gefälligst, bis ich Urlaub habe. Dann komme ich mit." Zuerst war ich frustriert, weil ich das Gefühl hatte, nicht mehr so frei zu sein wie früher. Aber dann begriff ich, dass Michel recht hatte. Es wäre egoistisch, spontan auf unbestimmte Zeit ohne ihn ans andere Ende der Welt abzuhauen. Bloß, weil ich es kann oder meine Künstlerinnenseele gerade danach verlangt.
Im Tausch für mein altes abenteuerlustiges Ego-Leben habe ich etwas viel Besseres bekommen: ein richtig starkes Wir. Ich habe gelernt, mich fallen zu lassen, mich zu öffnen, zu teilen. Ich fühle ich mich angekommen und bin so zufrieden wie nie.
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 6/23.
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