Dass Asiaten in Virenzeiten gleich zur Maske greifen, fand Mark Waschke früher sonderbar. Heute findet der Schauspieler seine eigene Haltung leicht rassistisch. Ein Gespräch mit einem (selbst)kritischen Querdenker über Konsum, Konzerne und die Kraft der Kunst.
Mark Waschke im Gespräch mit Bärbel Schäfer
Mark Waschke und ich sind zum Interview per Skype verabredet. Eigentlich soll unser Gespräch zum Start seines neuen Films erscheinen, "Der Geburtstag" soll am 28. Mai ins Kino kommen. Doch schnell wird in der Ausnahmesituation klar: Wir können in der Phase des akuten Lockdowns nicht wirklich über etwas anderes sprechen als: die Krise.
Schauspielern ist physisch, braucht Nähe, momentan halten wir alle Abstand und üben uns in Distanz. Wie kommen Sie damit klar, Herr Waschke?
Arbeit vor der Kamera und auf der Bühne lebt ja von Nähe, davon körperlich in der Welt zu sein und sich körperlich zu ihr zu verhalten. Das geht im Moment nicht.
Sind Sie auf Nähe-Entzug?
Es ist ambivalent. Ich darf ja die Welt da draußen noch mitbekommen, meine Wohnung verlassen und mich mit Abstand durch Berlin bewegen. Aber durch das Social Distancing fehlt mir physischer Kontakt. Gleichzeitig hat es etwas Erhabenes, jetzt durch diese halbleere Stadt zu laufen. Ich höre gerade oft: „Es tut so gut, mal sehen und spüren, worum es wirklich geht.“
Wie sieht Ihr Alltag zurzeit aus?
Ganz pragmatisch versuche ich, die derzeitige Ungewissheit zu umarmen. Mich im Unbehagen behaglich zu fühlen, ist mein Ansatz.
Wie funktioniert das?
Ich lasse alle Emotionen der Krise an mich heran. Diese Wochen machen ja etwas mit mir, das ich auch körperlich spüre.
Alles Unangenehme, alle Sorgen versuche ich, anzunehmen. Ich schaue mir das Unbehagen an, denn wenn ich es wegdrücken will, wird es eher größer. Nur hinschauen, fühlen. Nicht mehr und nicht weniger.
Mark WaschkeTweet
Wenn ich gerade versuche, es Ihnen zu beschreiben, merke ich, das klingt fürchterlich – aber es hilft mir. Dieses Betrachten ist meine persönliche psycho-physische Meditation.
Was bewegt Sie sonst in unseren Corona-Zeiten?
Dass die Selbstverständlichkeit des täglichen Konsums für uns alle für eine begrenzte Zeit entfällt. Online ist das relativ problemlos möglich. Ja, aber ich versuche zum Beispiel, Amazon zu boykottieren. Ich halte mich ohnehin nicht für besonders verführbar, was Konsum betrifft, aber mir fällt dennoch auf, wie selbstverständlich ich Dinge sonst einkaufe.
Sind Sie ein Freund des Digitalen, was ja fast alle 24/7 nutzen?
Nein, das Leben im Digitalen, tut mir nicht gut. Ich habe gerade die App „Zoom“ gelöscht, die jetzt viele nutzen, um miteinander in Kontakt zu treten, aber ich habe keine Lust, mich überwachen zu lassen.
Fehlt Ihnen das Publikum?
Auf jeden Fall. Ich mag am Publikum im Theater besonders den Widerstand. Es ist immer schön, wenn die Zuschauer unser Spiel mögen, aber richtig spannend wird es erst, wenn einige in den Reihen gefesselt sind und andere genervt. Wenn es Zwischentöne gibt, in einem in sich zerrissenen Publikum, das inspiriert mich.
Viele Kollegen versuchen sich gerade einen neuen kreativen Raum im Netz zu erobern, da alle privaten und staatlichen Bühnen, Kinos, Festivals, Konzerte etc. entfallen. Viele Künstler, gehen live auf Instagram, streamen Programme, Songs, Texte. Entdecken Sie dabei etwas, was Sie überrascht?
Ich bin eigentlich nur im Netz, um Informationen zu sammeln. Ich nutze die sozialen Netze wenig, da ich sie oft als asozial wahrnehme. Igor Levits Wohnzimmerkonzerte auf Socken sind da eine Ausnahme für mich. Er verlängert damit in dieser Krise seine Tätigkeit auf der Bühne und wie er sich zur Welt verhält. Viele Schauspielkollegen plagt vielleicht jetzt auch Angst vor der Bedeutungslosigkeit, und ab und zu posten sie Dinge, die schon mal zum Fremdschämen sind. Gleichzeitig weiß ich, ich bin privilegiert, denn für mich als festangestellten Schauspieler an der Schaubühne, ist es zwar traurig, wenn man seine Stücke nicht aufführen kann, aber wir erhalten weiter unseren Lohn, auch wenn wir in Kurzarbeit sind. Ich muss um Vieles nicht bangen, im Gegensatz zu 90 Prozent der Künstler der freien Szene, Musiker, Comedians in unserem Land.
Macht es in Ihren Augen nun Sinn sich vor die Kamera zu setzen und ein Gedicht, einen Text zu streamen?
Nein, denn da fehlt für mich beim Spiel der Körper.
Ist das nicht eine Luxusposition, so lange die Räume, in denen Kultur stattfindet, geschlossen sind?
Ich glaube, wir müssen trennen zwischen der unfassbar krassen Not, die gerade viele Künstler und viele Menschen in unserem Land trifft. Wenn du deine Miete nicht zahlen kannst, dann fliegst du jetzt vielleicht nicht gleich aus deiner Wohnung, aber die Kosten sind nicht weg, auch Kredite müssen zurückbezahlt werden. Aber das Wunderbare am Theater, an Festivals und Konzerten ist ja das Zusammenkommen, die Interaktion an einem Ort zu einem Zeitpunkt. Das entfaltet so eine Kraft, ist fast wie ein utopischer Moment – und das erlebe ich nicht im Netz.
Einige Regierungen gehen jetzt mit ihren Entscheidungen an die Grenzen der Demokratie. Bereitet Ihnen das Sorge?
Ja, und das ist nicht das Einzige, was mir Sorge macht: der Klimawandel, der wachsende Einfluss rechtsnationaler Parteien, illiberaler Demokratien. Und auch die internationale Abschottung, unser Umgang mit den älteren Mitbürgern und den Schwachen. Wie dünn der Firnis der Zivilisation ist, erschreckt mich sehr. Ich habe das Gefühl, wir sind alle gerade ziemlich planlos und versuchen mit einer Art Mimikry einen Alltag aufrecht zu erhalten, dabei habe ich zugleich das Gefühl, alle anderen sind Mitspieler in meiner Dystopie.
Tragen Sie einen Mundschutz?
Ja, und als ich zum ersten Mal mit meinem selbstgenähten Mundschutz im Bioladen war, hatte ich auch noch eine Mütze auf und sah aus, als wollte ich den Laden zu überfallen. Jahrelang habe ich abwertend gedacht, warum tragen so viele Asiaten nur den sonderbaren Mundschutz? Jetzt weiß ich, wie extrem respektvoll ihr Verhalten immer war und mir werden heute meine kaschierten Rassismen und kleinen Vorurteile bewusst.
In der Endzeit-Serie "8 Tage" haben Sie die Hauptrolle gespielt und müssten ja wissen wie Überlebensstrategien funktionieren. Haben Sie einen Tipp für uns?
Am Ende der Serie gibt es ja das Bunkerleben, vielleicht ist das ist mit unserer bundesweiten Kontaktsperre vergleichbar. Phasenweise schleicht sich der Gedanke ein: "Soll es das jetzt gewesen sein?", in den Nachrichten sehe ich die Selbstinszenierung des Establishments, es überrascht mich, wie gut die Serie den Tonfall von heute trifft, obwohl sie ja lange vorher gedreht worden ist.
Macht uns diese Zeit die eigene Sterblichkeit besonders deutlich?
Ja. Und auch wenn uns noch nicht klar ist, von welchem Tiermarkt im chinesischen Wuhan das Virus den Weg in die Welt gefunden hat, fällt mir auf, dass wir weder auf die Warnungen zum Thema Seuchen und Epidemien von Leuten wie Bill Gates gehört haben, noch Forschungsgelder investiert worden sind. Vielleicht begreifen wir endlich, die Welt nach Corona "als Organismus" zu verstehen, so wie es die Autorin Judith Schalansky vor kurzem in der Süddeutschen Zeitung beschrieben hat. Vielleicht verabschieden wir uns danach endlich von der Massentierhaltung.
Was sollten wir als Gesellschaft jetzt noch beleuchten?
Wie leben wir? Wie wollen wir leben? Wie leben wir gemeinsam? Das Private ist so eng mit dem Politischen verwoben, das wird für mich in der Corona-Krise sehr deutlich. Ich habe heute die Chance die Welt zu retten, wenn ich zu Hause bleibe. Wie und was ich konsumiere, hat einen Einfluss auf unsere Gemeinschaft und den Umgang mit Ressourcen.
Wie erklären Sie Ihrer Tochter die Corona-Krise?
Sie ist 14 und erklärt eher mir die Welt (lacht). Wir sind uns in vielem einig. Wir essen beide kein Fleisch mehr. Viele Fragen, die sie sich heute stellt, habe ich mir als Jugendlicher auch gestellt. Bei ihr geschieht das durch ihr Fridays for Future-Engagement. Wir wollten uns doch auch schon vor 30 Jahren von Plastik verabschieden und auf erneuerbare Energien setzen.
Was ist Ihre größte Sorge?
Welchen Weg die gesellschaftliche Solidarität nach der Krise einschlagen wird. Fallen wir womöglich wieder zurück in Abgrenzung und Protektionismus? Ich will keine gesellschaftlichen Kollateralschäden hinnehmen.
Und Ihre Hoffnung?
Vielleicht zerschlagen wir endlich Konzerne wie Facebook, Amazon und Google. Über die Macht, die diese Firmen über unsere Leben haben, hat ja niemals ein demokratischer Entscheidungsprozess stattgefunden. Dennoch bestimmen sie, wie und was konsumiert wird, welche Inhalte und Ideen gefördert, welche unterdrückt werden. Man sollte sie unter staatliche Kontrolle stellen oder in genossenschaftliche Unternehmen umwandeln. Facebook sollte denen gehören, die es nutzen und dort ihre Daten zur Verfügung stellen, und nicht denen, die damit Geschäfte und Propaganda machen.
Haben Sie auch eine Hoffnung für die Kunst?
Ich sehe in diesen Wochen den essentiellen Wert der Kunst in ihrer Nutzlosigkeit. Sie ist, was sie ist. Kunst darf langweilen, behindern, störrisch sein und uns wie ein Klotz am Bein vorkommen, den wir alle abschütteln wollen. Nach der Krise werden wir sicherlich merken: Diesen Klotz am Bein haben wir gebraucht.
Demnächst: Mark Waschke in "Der Geburtstag"
Am 28. Mai soll Mark Waschkes neuer Film in die Kinos kommen. "Der Geburtstag" ist ein Familienfilm, der atmosphärische Anleihen beim Film Noir macht. Waschke spielt darin Matthias, einen getrennt lebenden Teilzeitvater, der seinen kleinen Sohn vernachlässigt. Als sich unvorhersehbare Ereignisse am Kindergeburtstag überschlagen, muss Matthias begreifen, worauf es im Leben ankommt.
Im Herzen Revoluzzer: Über Mark Waschke
Mark Waschke kam am 10. März 1972 in Wattenscheid zur Welt. Mit neun Jahren begann er, Theater zu spielen. Waschke war Schülersprecher, Sänger eine Punk-Band, brach ein Philosophiestudium ab und absolvierte stattdessen die Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch" Berlin, zusammen mit Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Nina Hoss und Devid Striesow. Waschke ist leidenschaftlicher Theaterschauspieler und Ensemble-Mitglied der Schaubühne. Seine Rolle als Berliner "Tatort"-Ermittler Robert Karow hat ihn einem breiten Publikum bekannt gemacht. Er gehört auch zum Cast der deutschen Netflix-Serie "Dark". Waschke lebt mit seiner Familie in Berlin.