Seriös kann sie. Lustig aber genauso gut. Und wie easy Linda Zervakis die Sparten wechselt, ist an sich schon eine Ansage. Ein Gespräch mit einer Frau, die gern normal ist, was im Fernsehen ja eher unnormal ist.
Sie nimmt sich unendlich viel Zeit, um mit mir "zu plaudern wie Nähkästchen" (O-Ton ihrer griechischen Mutter). Und bringt mich dabei zum Lachen. Zwischendurch gibt sie ihrem Mann den Code fürs Kinderfahrrad-Schloss durch, organisiert noch kurz fürs andere Kind eine Mitfahrgelegenheit. Perfomancedruck? Null! Kein Wunder, dass Linda Zervakis oft zu hören bekommt: Du bist so normal! Und: Du bist so echt!
Emotion: Linda, empfindest du das eigentlich als Kompliment, wenn deine "Normalität" gelobt wird?
Linda Zervakis: Passt einfach. Ich habe keine Lust, abzudrehen oder eine Rolle zu spielen. Warum auch? Nur, weil ich mein Gesicht in die Kamera halte? Die Zeit im Kiosk hat mich geerdet. Ich werde immer "normal" und "echt" bleiben.
Mit dem Kiosk haben deine Eltern eure fünfköpfige Familie durchgebracht. Ihr habt in einer Dreizimmerwohnung in einem Hochhaus in Hamburgs Arbeiterviertel Harburg gelebt; du hast dir ein Zimmer mit deinem jüngeren Bruder geteilt.
Ja, ich weiß, wie es ist, mit wenig Geld auszukommen. Daher mache ich mir auch keine großen Sorgen, was dieser Winter bringen wird. Tatsächlich trage ich in mir die Gewissheit: Es geht trotz allem immer weiter.
In deinem Podcast "Gute Deutsche" thematisierst du mit prominenten Gästen, die wie du einen "Migrationshinter- oder -vordergrund" haben, dass man sich immer zwischen zwei Stühlen fühlt. Was ist typisch griechisch an dir?
Eine gewisse Gelassenheit. "Schauen wir mal", ist ein griechischer Spruch für alle Lebenslagen. Wenn ich erst zwei Wochen vor Ferienbeginn unsere Flüge buche, denken meine deutschen Freundinnen: Die ist total verpeilt, die Alte! Überhaupt bin ich mit allem immer auf den letzten Drücker. Gäbe es die Seite lastminute.de nicht bereits – es wäre meine. Zum Glück macht das mein Mann gut mit.
Was magst du an dir am meisten?
Dass ich ein bisschen ballaballa bin! Dass ich auch diese andere Kultur in mir trage, bewahrt mich davor – und jetzt sage ich etwas ganz Böses –, jemals komplett in Funktionskleidung vor die Tür zu gehen, selbst wenn ich mich auf mein Holland-Rad schwinge. Aber glaubt mir: Obwohl ich beim Radfahren keine Neonweste anhabe, bin ich trotzdem ein netter Mensch.
Wie sehr kümmert es dich, was andere von dir denken?
Meine Handlungen von der Meinung anderer abhängig zu machen – da bin ich nicht dabei. Natürlich bin ich traurig, wenn mich jemand beschimpft. Deshalb lese ich auch keine Rezensionen. Im Zweifelsfall bleibe ich nämlich an dem einzigen doofen Kommentar von 100 schönen hängen. Ich trainiere, dass mir so was komplett egal ist.
Die Rezensionen zu deinem Kochbuch mit Gerichten, die jede:r hinbekommt, fallen sehr positiv aus. Wonach hat deine Kindheit geschmeckt?
Bei unserer Nachbarin Toni gab's lauter gute Sachen. Da haben wir manchmal gegessen, weil meine Eltern 15 Stunden am Tag gearbeitet haben. Mein Lieblingsgericht war Kalbsleber mit Kartoffelpüree und Apfelmus. Zu Hause stand mein Vater, ein gelernter Koch, hinterm Herd. Sein Essen war warm, zwiebelig und fleischig. Noch heute ist Fleisch mein Gemüse, da halte ich es mit Heinz Strunk. Die einzige Zeit im Jahr, in der ich vegan lebe, ist die griechische Fastenzeit vor Ostern. Ich ziehe das Programm jedes Jahr durch und verzichte auf Wein, Öl, Milchprodukte, Eier, Fisch und Fleisch – allerdings nur für sieben statt für vierzig Tage.
Meine Oma hat immer gesagt: Essen hält Leib und Seele zusammen. Mit welchen Sprüchen bezüglich Essen bist du aufgewachsen?
"Es wird aufgegessen, was auf dem Teller ist!" Der Hintergrund war natürlich, dass wir nicht viel hatten. Ich habe oft stundenlang vor kaltem Essen gesessen. Das fand ich so schrecklich, dass ich mich manchmal übergeben musste. Deshalb nötige ich meine Kinder nicht zum Aufessen. In der sechsten Klasse war ich so spindeldürr, dass ich für sechs Wochen zu einer "Mast-Kur" geschickt werden sollte. Als ich wegen einer Skoliose nicht mehr regelmäßig turnen konnte, hat sich meine Figur aber normalisiert.
Du hast für Familie und Freunde angefangen, zu kochen, obwohl du es hasst.
Ja, Essen ist dafür eine meiner Lieblingsbeschäftigungen. Das mag mein Mann so an mir. Abgezählte Nüsschen gibt es bei mir nicht. Wenn ich Stress habe, greife ich zu Gummibärchen, und ab Oktober geht's bei mir mit Schokolade los: Ab 55 Prozent Kakaoanteil haben wir einen Deal. Chips werden mich irgendwann umbringen, weil ich die jeden Tag essen könnte. Mit Menschen am Tisch zu sitzen, die das Abendessen ausfallen lassen mit den Worten: "Ich habe alle Kalorien für den Tag schon verzehrt", macht mir schlechte Laune. Dann denke ich: Freu dich doch bitte in einer Ecke mit deinem Wasser daran, wie toll und fidel du aussiehst. Ich bleibe bei meinen drei Mahlzeiten am Tag – und damit fahre ich ganz gut.
Wobei läuft dir so gar nicht das Wasser im Mund zusammen?
In Griechenland gibt es zuckrige Süßspeisen, bei denen es mich schüttelt. Ich könnte nach dem Hauptgang eher mit einer Wurst weitermachen. Stell dir mal vor, ich sage zum Kellner: "Bringen Sie mir als Dessert doch bitte eine Cabanossi!"
Wenn man dich vor allem aus den Nachrichten kennt, würde man nicht erwarten, dass ein Gespräch mit dir so lustig wird. In Deutschland wird ja zwischen U und E, zwischen Unterhaltung und Ernst unterschieden – in der Musik und im Fernsehen genauso. Kannst du diesen Widerspruch selbstbewusst auflösen?
Ich finde, da kann sich Deutschland ein bisschen locker machen. Wer ernsthafte Nachrichten vorträgt, muss doch nicht zum Lachen in den Keller gehen! Ich habe nach acht Jahren meinen Abschied von der "Tagesschau" genommen, um meine eigene Sendung auf ProSieben zu moderieren: die Infotainment-Show "Zervakis & Opdenhövel. Live."
Ein gut bezahltes Risiko?
Natürlich habe ich Angst, in der Versenkung zu verschwinden. Den Wechsel habe ich mir sehr gut überlegt. Ich möchte andere Facetten zeigen, mich ausprobieren. Bei ProSieben bin ich nach wenigen Wochen gefragt worden, ob ich ein Triell mit den Kanzlerkandidat:innen moderieren möchte – das war irre, das hätte ich in der ARD nie machen dürfen. Die "Tagesschau" ist heilig. Aber zur Wahrheit gehört auch, ich habe nur abgelesen, was andere für mich geschrieben haben. Meine Mutter hat damals gesagt: "Auf uns hat keiner gewartet. Aber meine Tochter hat's geschafft – mehr geht nicht!"
Im Kiosk herrschte auf kleinstem Raum maximale Ordnung, ihr habt immer alles nach dem gleichen Muster einsortiert. Auf TikTok sind chaotisch vollgestopfte Räume der neue Wohntrend. Wie ist das bei dir: Minimalismus oder geordnetes Chaos?
Auf TikTok bin ich nicht. Daran merkt man: Sie ist alt! Bei mir zu Hause ist alles geordnet und sauber. Marie Kondo faltet ihre T-Shirts zwar anders, aber die wäre bei mir arbeitslos. Wenn ich bei Freund:innen bin, entschuldigen die sich immer für ihre Unordnung. Bei anderen ist mir das egal. Aufräumen ist mein Yoga. Nach einem langen Arbeitstag bügele ich auch gern noch anderthalb Stunden, das entspannt mich. Ich weiß, für viele nicht nachvollziehbar.
Dein Sohn ist zehn, deine Tochter sieben Jahre alt, du hast mal erzählt, sie sind oft bei deiner Mutter.
Chrissi genießt die Zeit mit ihren Enkeln total. Oft weint sie, weil ihr bewusst wird, dass sie für ihre eigenen drei Kinder kaum Zeit hatte. Wenn ich nachmittags noch die griechische Schule besucht habe, war es oft dunkel, wenn ich nach Hause ging. Ich hatte einen Wohnungsschlüssel – und irgendwann kamen Muddi und Vatti. Ich bin deswegen aber überhaupt nicht traurig oder verbittert. Ich versuche generell, nicht zu emotional mit Schwierigkeiten umzugehen. Damals wurde nicht alles hinterfragt oder ausdiskutiert – ich habe einfach funktioniert. Als mein Vater an Krebs starb, war ich 14 Jahre alt und musste über Nacht erwachsen werden.
Wie würdest du die Entwicklung beschreiben, die du gemacht hast?
Heute denken gefühlt alle Jugendlichen, sie seien King Kong. Ich war als Schülerin extrem schüchtern, hatte viele Ängste. Mein erstes Highlight war, als meine Kollegen in der Werbeagentur mich lobten: "Super Idee! Du bist kreativ." Da ging mir auf: So doof, wie du immer dachtest, bist du ja gar nicht. Manchmal verfalle ich noch in alte Muster und frage mich: Kann ich überhaupt irgendwas? Aber das wird immer seltener. Und das habe ich ganz alleine hinbekommen. Für eine Therapie hatte ich zu viel auf dem Zettel – meine Selbstoptimierung muss ich in den Alltag einpflegen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 11/22.
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