Lesebrille statt Liebeskummer, Altersvorsorge statt After Work, Scheidung statt Sexgeschichten – mit zunehmendem Alter verändern sich nicht nur die Gesprächsthemen. Auch sonst gibt es einige Umstellungen. Warum es dabei vor allem auf die Perspektive ankommt und "Fuck the Falten" ein durchaus praktikables Motto ist – darüber haben wir mit den beiden Autorinnen Monika Bittl und Silke Neumayer gesprochen.
EMOTION.DE: Sie haben sich beide in Ihrem Buch „Ich hatte mich jünger in Erinnerung“ mit Frauen und dem riesen Thema Alter beschäftigt. Würden Sie sagen, es gibt ein gefühltes Alter?
Monika Bittl: Auf jeden Fall. Es liegt jedoch kurioserweise immer niedriger als die tatsächliche Jahreszahl. Ich kenne jedenfalls niemanden, der oder die sich älter fühlen würde.
Silke Neumayer: Doch. Ich kenne jemanden, der sich älter fühlt: meine pubertierende Tochter. Die fühlt sich öfter wie achtzehn. Aber ich schätze das hört schlagartig auf, wenn sie dann tatsächlich mal achtzehn ist.
Geht es nur mir so oder fühlen wir Frauen uns oft nicht so alt wie wir tatsächlich sind? Und wenn ja, woran liegt das wohl?
Monika Bittl: Auch Männer fühlen sich jünger. Es ist leider kein Privileg, jung zu sein, sondern nur ein vorübergehender Zustand. Aber jeder, der das Privileg mal hatte, glaubt, es für immer zu haben. Unser Hirn will unser Spiegelbild irgendwann nicht mehr so recht als Bild für uns übersetzen. Vielleicht schützen wir uns damit einfach vor der Enttäuschung von uns selbst.
Eins Ihrer ersten Buchkapitel heißt „Fuck the Falten“. Leichter geschrieben als getan oder?
Silke Neumayer: Fuck the Falten ist nur eine moderne Übersetzung dessen, was meine Großmutter mir mitgeben hat als Rezept zum Glücklichsein: Ändere im Leben, was du ändern kannst, mit dem Rest finde dich ab. Und wie ich schon im Buch geschrieben habe: die Alternative zu Falten ist ja auch nicht gerade lustig.
Mit gerade mal 30 hat mich jemand auf einer Party zum ersten Mal gesiezt. Ich fühlte mich schlagartig alt und war gleichermaßen schockiert und deprimiert – tagelang. Gab es in Ihrem Leben auch einen solchen Moment?
Monika Bittl: Es gab einen noch viel schlimmeren Moment bei mir! Ein junger Mann bot mir im Bus seinen Platz an. Ich habe den jungen Kerl für seine Höflichkeit noch wochenlang gehasst.
Sie sind beide der Meinung, dass Älterwerden sowohl scheußlich als auch wunderbar ist und dass es dabei vor allem auf die Perspektive ankommt. Aber kann ich diese Perspektive denn wirklich beeinflussen?
Monika Bittl: Ja! Ich kann die Falten in den Fokus rücken oder die Fitness, die ich noch habe. Wenn wir über unsere nachlassende Attraktivität klagen, ist das immer noch jammern auf hohem Niveau. Vor dreihundert Jahren hatten Frauen keine Beschwerden mit Hängebusen, Wechseljahren oder Krähenfüßen – sie wurden im Schnitt nur 35 Jahre alt.
Älterwerden ist scheußlich und wunderbar zugleich. Es kommt nur auf die Perspektive an
Monika Bittl & Silke NeumayerTweet
Eine von Ihnen hat beschlossen, ihren 29. statt offiziell 50. Geburtstag zu feiern. Tatsächlich habe ich einige Freundinnen, die schon eine ganze Weile 29 sind. Ist das nicht ein eindeutiges Zeichen dafür, dass wir Frauen mit unserem Alter hadern?
Monika Bittl: Klar hadern wir mit dem Alter. Frauen definieren sich immer noch wesentlich stärker über den Körper als Männer. Darin liegt aber auch das Geheimnis jener Frauen, die auch jenseits der 40 oder 50 immer noch so anziehend wirken: Sie definieren sich und ihr Selbstwertgefühl – paradoxerweise – eben weniger über den Körper, sondern mehr über anderes wie einen tollen Freundeskreis, Erfolg im Beruf, die Familie oder auch nur ein ungewöhnliches Hobby.
Julianne Moore, Sharon Stone, Kim Catrell– das sind großartige Frauen, die jenseits der 50 sind. Wird über sie geschrieben, liest man gern den Satz „50 ist das neue 20“. Ist das tatsächlich so?
Silke Neumayer: Ja. Klar. Wenn man viel Geld hat um Schönheitschirurgen, Fitnesstrainer, Ernährungsberater, Kosmetikerinnen, Schneider etc. zu bezahlen. Und bereit ist, nie wieder Schokolade zu essen. Dann kann man sicherlich mit 50 fast so aussehen wie mit 20. Aber für normalsterbliche Frauen ist dieser Satz etwas, das uns als Frau nur noch mehr unter Druck setzt.
Dank Ihnen beiden habe ich meinen Wortschatz um einen wesentlichen Bestandteil erweitern können: Cougar! Können Sie uns dieses Wort kurz erklären?
Silke Neumayer: „Cougar“ kommt aus dem amerikanischen, heißt übersetzt „Puma“ und ist die Bezeichnung für eine ältere Frau, die jüngere Männer dated – oder um in diesem Bild zu bleiben: jagt und erlegt. Eine ältere Frau mit einem jüngerem Mann - das ist immer noch gesellschaftlich nicht so selbstverständlich wie älterer Mann mit jüngerer Frau. Das eine ist die Ausnahme und braucht einen besonderen Begriff. Das andere ist seit Jahrhunderten eine Selbstverständlichkeit.
In kurzen und knackigen Kapiteln beschreiben Monika Bittl (links) und Silke Neumayer, wie sich das Leben mit 40+ anfühlt. Wie sie nur schwer Freundschaft schließen können mit ihren Falten, den beginnenden Zipperlein und der nachlassenden Attraktivität. Aber auch, wie sie immer wieder tolle Überraschungen erleben und alles dann doch gar nicht so schlimm ist. Denn mit dem Alter werden sie langsam auch ein bisschen weise, und das fühlt sich großartig an.
Lesebrille, Altersvorsorge, Kindererziehung, Scheidung – mit dem Alter wechseln ganz klar auch die Themen. Wie haben Sie diesen Wechsel verkraftet und empfunden?
Monika Bittl: Der Wechsel kommt ja langsam und nicht schlagartig. Zunächst nimmt man ihn gar nicht wahr. Und ich finde ihn auch nicht so schlimm, wenn man dabei lebendig bleibt und sich mit den – zugleich alternden – Freundinnen oder Partner austauschen kann. Plötzlich kann frau gemeinsam darüber lachen, dass man nicht mehr stundenlang wegen Liebeskummer, sondern wegen pflanzlicher Behandlungsmethoden gegen Hitzewallungen telefoniert. „Verkraften“ muss man den Themenwechsel eigentlich nur, wenn man ihn als spießig-alt empfindet und nicht als normalen Vorgang im Lebenslauf.
Sie schreiben von einer Liste, die Sie den Wörter-Friedhof nennen. Darauf: Begriffe aus Ihrer Jugend. Dufte, okidoki, easy peasy und astrein sind nur einige Beispiele. Um welchen davon tut es Ihnen am meisten leid? Welchen würden Sie gern noch einmal auferstehen lassen?
Monika Bittl: Mir tut es eigentlich um keinen wirklich leid. Es ist wie bei einem wirklichen Friedhof. Man geht ans Grab, um zu trauern. Man trauert um eine gemeinsame Zeit, die vorbei ist. Aber wenn man weiß, dass man diese gemeinsame Zeit schön zusammen verbracht hat, weiß man auch: So ist nun mal das Leben, alles vergeht. Schöne Erinnerungen bleiben nur, wenn man zuvor versucht hat, eine möglichst schöne Zeit zusammen zu verbringen.
Hat sich durch Ihr gemeinsames Projekt etwas verändert, was Ihre Einstellung zum Thema Alter angeht?
Silke Neumayer: Ja – wir hoffen, dass das Buch ein Mega-Bestseller wird, so dass wir uns keine Gedanken mehr über unsere Altersvorsorge machen müssen. Im Gegensatz zu den ungefähr 40 Prozent unserer Generation, die voraussichtlich eine Rente unter 600 Euro im Monat bekommen werden. Wenn man sich diese erschreckenden Zahlen anschaut, dürfte klar sein, dass für viele Frauen ein paar Falten mehr das geringste Problem im Alter sein werden.
Sie haben hier und jetzt die einmalige Gelegenheit, jungen Frauen hinsichtlich ihres Alters etwas mit auf den Weg zu geben. Wie lautet Ihr ultimativer Rat?
Monika Bittl: Hören Sie auf keinen einzigen Ratschlag und genießen Sie stattdessen Ihr Leben! Das ist nun natürlich auch schon wieder ein Ratschlag, aber Sie müssen ihn ja nicht von einem alten Weib annehmen. Hätte ich als Jüngere auch nie gemacht.
Monika Bittl, 1963 in einem kleinen Dorf im Altmühltal geboren und dort aufgewachsen, hat Germanistik und Psychologie studiert und lange als Journalistin gearbeitet.
Seit 1992 ist sie freie Autorin und schreibt u.a. mit großem Erfolg Drehbücher. Für „Sau sticht“ erhielt sie 1996 den Bayerischen Fernsehpreis. Monika Bittl lebt mit ihrer Familie in München.
Silke Neumayer, geboren 1962 in Zweibrücken, studierte Kommunikationswissenschaften in München, bevor sie sich als Drehbuchautorin für Film und Fernsehen selbstständig machte. Silke Neumayer lebt mit ihrer Familie in München.