Ein Kontakt in deinem Telefon, der dich anruft, wenn es dir schlecht geht, dir zuhört und Impulse gibt: Diese Idee haben zwei Gründerinnen mit Clare&Me verwirklicht. Der Voice Bot ruft euch an, wenn ihr es wünscht – eine Coaching-Methode, die vor allem bei niedrigschwelligen psychischen Problemen wie Schlafstörungen oder Prüfungsangst hilft. Co-Gründerin Emilia Theye, die der KI ihre Stimme verliehen hat, erklärt, wie das funktioniert.
EMOTION: Emilia, was genau ist Clare&Me?
EMILIA THEYE: Clare ist ein auf künstlicher Intelligenz basierender Voice Bot, der mit User:innen Gespräche per Telefon führt. Clare ruft dich an und vermittelt bei Angstsymptomen in Gesprächen Ansätze der Verhaltenstherapie. Nutzer:innen sprechen mit Clare über Whatsapp oder über das Telefon. Das heißt: Clare&Me ist keine App, sondern ein Kontakt in deinem Telefon, den du jederzeit erreichen kannst.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Clare&Me zu gründen?
Meine Co-Gründerin Celina (Messner) und ich beschäftigen uns beide intensiv mit dem Thema Mental Health. Ich bin Psychologin und Celinas Mutter systemische Therapeutin. Deshalb ist für uns der Zugang zu mentalen Gesundheitslösungen eigentlich immer gegeben gewesen und es war normal, dass man über diese Themen sprechen konnte.
Wir haben uns beide gefragt: Wie kann es sein, dass ich mit einem geprellten Arm sofort Hilfe bekomme, aber wenn ich mentale Probleme habe, muss ich sechs bis zwölf Monate warten? Viele von den bestehenden Lösungen steigern zwar die Effizienz, mit beispielsweise digitalen Angeboten oder Onlinekursen. Es gibt also die Möglichkeit, dass du mehr Patient:innen auf einmal behandeln kannst, aber es gibt eigentlich keine richtige Innovation, um das Problem zu lösen. Wir haben uns dann das Ziel gesetzt, wirklich Innovation in dem Bereich zu entwickeln und haben ganz klassisch bei den User:innen angefangen und erst einmal sehr viele Interviews gemacht. Wir haben gemerkt, dass es viele Menschen gibt, die aufgrund von Stigmata oder Bewertungen eigentlich gar nicht mit Menschen über ihre Themen sprechen möchten. Und dann haben wir gesagt: Okay, wir entwickeln jetzt basierend darauf mit den User:innen eine Lösung, und so ist Clare, der Voice Bot geboren.
Du hast Clare deine Stimme gegeben und sprichst auch regelmäßig neue Texte ein. Der Kontakt übers Handy muss sich doch stark wie ein menschliches Gespräch anfühlen. Kann man das mit Siri oder Alexa vergleichen?
Es fühlt sich schon deutlich menschlicher an als Siri oder Alexa, ist aber auch noch nicht so flüssig wie beispielsweise unser Gespräch gerade. Wir arbeiten natürlich daran, die Möglichkeiten noch zu verbessern. Die Voice-Bot-Technologie gibt es erst seit ungefähr zwei Jahren. Meine Stimme wurde aufgenommen und geklont. Wenn User:innen also Clare anrufen, kann die dahinterstehende Technologie diese Stimme Namen sagen lassen und persönliche Informationen zurückspiegeln. Daraus werden dann Sätze, die persönlich auf jede:n User:in zugeschnitten sind. Man kann zu einer menschlichen Stimme einfach viel besser eine Beziehung aufbauen, und am Ende ist das wichtig für einen Coaching-Rahmen.
Wie seid ihr auf den Namen gekommen?
Der Name kam indirekt über die User:innen. Sie haben damals schon, da waren wir einen Monat alt, mit meiner Stimme telefoniert und ich war mit ihnen im täglichen Austausch. Weil wir so nah an den User:innen entwickelt haben, hatten diese natürlich die Verbindung zu mir und der Stimme, die mit ihnen am Telefon gesprochen hat. Sie waren es, die gesagt haben: "Emilia, du hilfst mir doch, ich suche in meinem Telefon doch nach Emilia, deshalb muss das Produkt doch auch so heißen." Für uns war aber klar, dass das wir unser Produkt nicht Emilia nennen wollen. Wir wollten einen Namen, der genderneutral sein kann, da in Zukunft weibliche, männlichen und non-binäre Stimmen bei Clare sein sollen. Wir finden, dass Clare am Ende für Klarheit steht, es hat menschliche Assoziationen, aber auch nicht typisch menschliche. Für uns ist Clare&Me die Gesamtorganisation, aber das Produkt heißt einfach Clare.
Auf dem Markt gibt es bereits einige Apps und digitale Anwendungen im Mental-Health-Sektor. Was hebt euch von Anbietern wie beispielsweise Selfapy ab?
Der Markt ist groß genug, die Ansätze meist super unterschiedlich und für jede:n ist etwas dabei. Worin wir uns unterscheiden, ist die User Journey: Viele Produkte sind reine Medizinprodukte und die bekommt man ausschließlich über Ärzt:innen und Versicherungen. Das ist für uns nicht interessant, weil unsere User:innen teilweise Sorge haben, sich zu ihren Ängsten und Themen zu bekennen, und wir daher ganz andere Einstiegspunkte brauchen. Außerdem digitalisieren wir keine analogen Services, etwa Kurse oder Therapeutenvermittlung. Bei uns geht es um einen Gesprächsaufbau per KI und damit einen ganz neuen Denkansatz, wie Coaching überhaupt vermittelt werden kann.
Du bist selbst Psychologin. Hat dein Hintergrund dir dabei geholfen?
Auf jeden Fall. Zum einen habe ich die ersten Gespräche selbst designend. Heutzutage haben wir ein Team von Konversation-Designer:innen und da achten wir auch drauf, dass sie einen psychologischen Hintergrund haben. Wir arbeiten eng mit Psychotherapeut:innen zusammen, um da das Beste herauszuholen. Auf der anderen Seite hat es mir geholfen, ein Gefühl für Themen und Menschen zu haben. Am Ende ist es nicht ein Thema, was durch die richtige Technologie gewonnen wird, sondern die Technologie ist eher Mittel zum Zweck. Um in diesem Feld ein innovatives und herausragendes Produkt zu bauen, braucht es sehr viel zwischenmenschliches Verständnis und viel Empathie. Du musst dich immer fragen: Wie führt eigentlich ein Mensch ein Gespräch?
Was sind aktuell eure Pläne? Was steht mittelfristig an?
Der größte Plan ist der Produkt-Launch, aktuell haben wir ja eine Beta-Version draußen. Ende des Jahres soll schon der eigentliche Produkt-Launch passieren. Dann haben wir eigentlich ein fünfstelliges User-Ziel für dieses Jahr, was ein Jahr nach der Gründung auch eine technische Herausforderung ist. Und weitere Produktentwicklung und Content-Ausbau stehen natürlich auch auf der Liste.
Aktuell ist die App noch in der Entwicklung, das heißt die Benutzung ist kostenlos. Ende dieses Jahres wollt ihr Clare&Me bezahlbar machen. In welcher Preisspanne wird sich das bewegen?
Wir wollen Ende des Jahres anfangen mit größeren Payment-Tests. Was wichtig ist: Wir haben den Ansatz, die Hemmschwelle zu verringern, sodass am Ende des Tages jede Person, die möchte, den Zugang zu bekommen soll. Den aktuellen Preis kenne ich jetzt natürlich noch nicht, aber demnach denke ich nicht, dass das Produkt über 30 Euro kosten wird. Was wir auf jeden Fall sagen können: Es soll kein Luxusprodukt werden, sondern ein Produkt, das sich auf unterschiedlichen Nutzungsebenen jede Person leisten kann.
Celina Messner und Emilia Theye haben mit ihrem Startup Clare&Me in diesem Jahr den EMOTION x 5050 Gründer:innen Pitch gewonnen. Gemeinsam mit der OMR hatte EMOTION paritätisch aufgestellte Gründungen mit Impact gesucht. Clare&Me konnte am zweitmeisten Investitionsgespräche abstauben.
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