Fühlst Du Dich manchmal beobachtet beim Einkaufen? Dann kann es sein, dass Jörn Höpfner Dich gerade analysiert! Der Soziologe beschäftigt sich damit, was Menschen einkaufen und was es über sie aussagt.
War es früher die Religion oder der soziale Stand, über die wir uns definiert haben, ist es heute oft unser Einkaufsverhalten, unser Konsum. Daher ist es auch kein Wunder, dass man vom Einkaufskorb auf das soziale Milieu schließen kann.
Jörn Höpfner ist Soziologe und hat sich genau mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben mit ihm über sein Buch "Sag mir, was du kaufst und ich sag dir wer du bist: der Supermarkt als Petrischale der Gesellschaft" gesprochen und zeigen einige seiner "typischen" Einkaufslisten:
Welcher Einkaufs-Typ bist Du?
Bestimmt hast Du schon von den zehn Sinus-Milieus gehört, mit denen versucht wird, die Lebenswelten von Personengruppen gesellschaftlich einzuordnen. Doch wie ticken diese Gruppen? Um uns das zu verdeutlichen, beschreibt Jörn Höpfner mit einem Augenzwinkern die Einkaufslisten der jeweiligen Milieus.
Weitere Einkaufslisten und Erklärungen zu den jeweiligen Milieus findest Du im Buch "Sag mir, was du kaufst, und ich sag dir, wer du bist" von Jörn Höpfner, Goldmann Verlag, 12,00 Euro.
EMOTION.de: Sie stellen Ihrem Buch eine These voran: Individualität ist eine Lüge. Was hat es damit auf sich?
Jörn Höpfner: Hier muss ich leider ein bisschen spoilern, denn am Ende des Buches, revidiere bzw. relativiere ich diese These ja bewusst ein wenig. Uns wird gerne suggeriert, dass wir über eine umfassende Einzigartigkeit verfügen, die uns ständig und bei allem von anderen abgrenzt. Dieses Special-Snowflake-Phänomen. Mit der These am Anfang des Buches, wollte ich bewusst etwas provozieren und gleichzeitig den Hauptgedanken hinter den sozialen Milieus ein bisschen nach vorne zerren. Natürlich ist jeder Mensch auf seine Art und Weise einzigartig und individuell, aber diese Individualität tritt oftmals erst dann zum Vorschein, wenn wir uns wirklich mit einem Menschen beschäftigen, wenn wir ihn nicht nur oberflächlich begutachten und kategorisieren, sondern uns wirklich einen Moment Zeit nehmen, seine Einzigartigkeit zu erfassen.
Warum erklären Sie in Ihrem Buch, was ein Zeichen ist?
Zeichen sind das Handwerkszeug einer jeden tiefer gehenden Beobachtung. Wir sind mittlerweile so auf das Offensichtliche gedrillt, auf das Gesagte oder die Dinge, die uns in Großbuchstaben an den Kopf geworfen werden, dass wir verlernt haben genauer hinzusehen. Wenn man erst einmal verstanden hat, dass ja wirklich alles ein Zeichen sein kann, beginnt man etwas genauer hinzuschauen und einen zweiten oder gar dritten Blick zu riskieren auf die endlosen Puzzle unseres Alltags. Wenn man das Konzept und den Grundgedanken hinter den Zeichen erst einmal verstanden hat, wird man weniger leicht von der allgegenwärtigen soziologischen Neonreklame geblendet.
Die Sinus-Milieus bilden eine soziokulturelle Vielfalt in Gesellschaften ab. Aber warum denken wir denn so gern in Schubladen?
Ich glaube, im Normalfall machen wir das nicht einmal bewusst. Wir sind geprägt durch unsere Erfahrung, unsere Sozialisation und einer gewissen gesellschaftlichen Prägung, die wir (zumindest unterbewusst) nur schwer loswerden. Das soll keine Entschuldigung sein, aber wenn sich in unserem Kopf erst einmal ein bestimmtes Denkmuster wie wir bestimmte Dinge bewerten festgesetzt hat, dann ist es nur schwer, dieses zu durchbrechen. Klischees sind Trumpf und wollen bedient werden und wenn wir dann noch unterschwellig das eine oder andere Vorurteil im Kopf haben, steht die Schublade sperrangelweit offen. Zudem ist es auch eine durchaus praktische Methode der Alltagsbewältigung: Wenn wir alles, was uns begegnet in eine Schublade stecken (und unterbewusst machen wir das auch noch, selbst wenn wir es besser wissen), glauben wir zu verstehen, wie die Welt oder zumindest die jeweilige Situation in der wir uns befinden funktioniert. Es gibt uns Sicherheit. Fair ist das trotzdem nicht, nur praktisch.
Gibt es einen Stereotypen den Sie besonders gern beobachten?
Tatsächlich habe ich viel Liebe für ein sehr widersprüchliches Paar unter den Stereotypen. Ich mag die expeditiven Individualisten sehr gerne, weil ich diesen wogenden Kampf zwischen Uniformität und dem Streben nach Nonkonformität sehr unterhaltsam und interessant finde. Die Tatsache, dass das in der Selbstwahrnehmung und im Streben individuellste Milieu gleichzeitig eines der erkennbar uniformsten ist, ist so eine Stilblüte der Soziologie. Das muss man einfach lieben. Zum anderen habe ich ähnlich viel Liebe für die Traditionellen. Ich mag diese unabsichtliche Fels-in-der-Brandung-Attitüde, mit der die Zeit innerhalb dieses Milieus einfach fast stillzustehen scheint. Das ist so ein faszinierender Kontrast von Beständigkeit und Bedächtigkeit, in einer Zeit, in der alles irgendwie immer schneller und unverbindlicher wird.
Worin liegt der Unterschied zwar zu wissen was man ist, aber nicht wer man ist?
Was man ist, schafft ja letztlich nur eine Zugehörigkeit. Was wir sind (und selbst hier ist es gar nicht mal so einfach zu definieren was wir eigentlich sind) beschreibt ja unterm Strich nur unsere Gruppenzugehörigkeit. Einer von vielen in einer mehr oder weniger homogenen Gruppe, die sich durch ihre Verhaltensweise oder ihre Sicht auf die Welt oder ihre Kleidung oder was auch immer gegen andere Gruppen abgrenzt. Mensch, Bartträger, Mann, Niedersachse, Braunschweiger, Xbox-Besitzer, Hundemensch, alles mögliche Antworten auf die Frage danach was ich bin. Die Frage nach dem "Wer?" ist die Frage nach der Identität, die Frage nach diesem speziellen Funken, der uns als Individuum aus dieser homogenen Masse herausstechen lässt und uns erkennbar macht. Oder viel mehr aus den diversen Gruppen, zu denen wir gehören. Das "Wer" ist unser persönlicher Funken Individualität in einer Welt der Gruppenkonformität.
Sie erzählen, dass die Wurzeln für Ihr Interesse an den Menschen und der Soziologie schon bis in Ihre Kindheit reichen. Welches Erlebnis gab den Ausschlag dafür?
Kindheit wäre, glaube ich, übertrieben, wir bewegen uns hier schon in den frühen Teenagerjahren. Ohne dabei allzu sehr vorgreifen zu wollen, war es letzten Endes mein erwachendes Interesse an Mädchen, was mich (zumindest grob) in Richtung der Soziologie geschoben hat. Als mir klar wurde, dass der schüchterne, introvertierte und doch ein wenig zu sensible Grübler gerade keine Konjunktur hatte, habe ich versucht, mich neu zu erfinden. Ich habe dann schlicht und einfach versucht herauszufinden, auf welche Art von Junge die Mädchen meiner Schulzeit am besten reagieren, in der naiven Hoffnung mich in diese Richtung anpassen zu können. Völlig absurd, wenn ich heute drüber nachdenke und rückblickend auch nur ein Teilerfolg. Aber seit dieser Zeit fand ich Menschen und ihr Verhalten immer spannend und faszinierend.
Welche Auswirkungen hatte es auf Ihr Leben, sich so intensiv mit Menschen und ihrem Handeln auseinanderzusetzen?
Vermutlich vor allem, dass ich nie einen Zugang zu Mathematik und Naturwissenschaften gefunden habe. Aber von meinem grob vorgezeichneten Werdegang abgesehen, hat es sicherlich auch Auswirkungen auf mich im Alltag gehabt. Ich bin ein Beobachter der Welt. Ich sehe mir Dinge an, Menschen, das, was sie tun, Handlungen, Gruppen. Ich ergründe sie und wenn es läuft, begreife ich, wie sie funktionieren, ich verstehe die Dynamik und dann agiere ich damit.
Das gibt mir Sicherheit, Selbstvertrauen, Stabilität und das funktioniert oberflächlich immer sehr gut, im Alltag geradezu ausgezeichnet. Man kommt sehr gut mit Leuten ins Gespräch, weiß, wie man sie ansprechen muss, ohne sich dabei großartig zu verstellen.
Jörn Höpfner, ist studierter Politologe und Soziologe und forschte an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig zu den Themen Mobilität, Gesellschaft und Zukunft. 2013 hielt er seinen ersten Science Slam zum Thema: "Warum nie jemand so wirklich versteht, womit Soziologen ihr Geld verdienen!". 2015 trat er erstmals mit seinem erfolgreichen Slam mit dem Thema "Soziologie im Regionalexpress auf." Im selben Jahr gewann er damit das Finale des Science Slams des Wissenschaftsjahres 2015 – Zukunftsstadt in Berlin.