Was, wenn Beziehungen immer wieder an ähnlichen Punkten scheitern? Im Interview sprechen wir mit der Autorin Nadine Primo über Selbstermächtigung, das Auflösen festgefahrener Glaubenssätze und völlig neue Date-Erfahrungen.
Nadine Primo ist Autorin, Speakerin und Model. Nun ist ihr neues Buch "Konsens ist sexy" erschienen. Bei Fragen rund um Beziehungen, Geschlecht und mentale Gesundheit greift die Autorin auch immer wieder auf eigene Erfahrungen zurück und lässt Lesende ganz nah an sich heran. Zwischen den Seiten finden sich psychologisches Wissen und Geschichten, die im Kopf bleiben.
EMOTION: Was haben unsere Beziehungen mit unseren Eltern zu tun?
Nadine Primo: Wenn ich meine Beziehungshistorie so betrachte, dann endeten meine romantischen Beziehungen oftmals am gleichen Punkt und funktionierten nach ähnlichen Dynamiken. Mir fiel auf, dass es Bekannten ähnlich ging. Man kennt ja diesen Satz: Warum gerate ich immer wieder an die Falschen? So kam ich darauf, dass es irgendwie einen anderen Ursprung haben musste, der mehr im eigenen Verhalten liegt. Und unser eigenes Beziehungsmuster geht ja letztlich auf unsere Eltern zurück. Sie sind unsere allerersten Vorbilder in Sachen Beziehung. Ich kam durch meine Erfahrungen und das Heranziehen psychologischer Literatur zu der These: Wir werden erst anfangen glückliche Beziehungen zu führen, wenn wir aufhören unsere Eltern zu daten.
Damit ist gemeint, dass wir in unseren Partner:innen nicht mehr einen Teil unserer Eltern suchen. Den Teil, den wir erstrebenswert finden, oder im Gegenteil, ablehnen. Das kann ja auch passieren. Schließlich suchen wir in erster Linie nach gewohnten Dynamiken, in denen wir unser erlerntes angepasstes Verhalten reproduzieren können.
Wie sah das bei dir beispielsweise aus?
Früher sind Diskussion zwischen meinen Eltern meist zugunsten meines Vaters ausgegangen, weil er letztlich das Geld mit nach Hause gebracht hat. Das habe ich abgelehnt. Und dennoch habe ich irgendwann an mir selbst festgestellt, dass mein Partner auch häufig das Schlusswort hatte. Ich habe mich plötzlich wieder wie früher am Abendbrottisch gefühlt. Das hat mich gestört. Als ich es erkannt habe, konnte ich dagegen arbeiten. Es hat auch etwas damit zu tun, aus der eigenen Comfort Zone rauszukommen und sein eigenes Handeln ändern zu wollen. Es ist der erste Schritt zu Selbstbestimmung und Freiheit.
Es lag nicht nur an dir, es lag ebenso an mir.
Was ist dann passiert?
Viele Glaubenssätze, die ich mir selbst erzählt habe, haben sich in Luft aufgelöst. Ich habe plötzlich viel authentischer gehandelt. Ich habe gemerkt, dass ich lange noch in kindlichen Mustern drinhing und habe verstanden: Krass, ich kann eigenmächtig handeln und bin nicht abhängig von der Gunst und Anerkennung meiner Eltern oder meines Partners. Dann gibt es jedoch auch viele neue Entscheidungen, die man treffen muss. Aber die neu gewonnene Freiheit bringt eben auch mehr Wahlmöglichkeiten und somit den Druck sich entscheiden zu müssen mit sich - das kann gerade anfangs erst einmal überfordern.
Welche Entscheidungen meinst du beispielsweise?
(Nadine überlegt) Hmm, ein gutes Beispiel hierfür ist auf jeden Fall mein Outing. Bevor ich mich offiziell als bisexuell gelabelt habe, habe ich mein gleichgeschlechtliches Verlangen eher im Party Kontext und mehr heimlich als öffentlich ausgelebt. Daher habe ich mich in jungen Jahren auch nicht bewusst mit meiner Bisexualität beschäftigt. Als ich das dann tat, wurde mir schnell klar: Ja, das bin ich! Ich liebe Menschen -auch wenn ich bis dato keine bisexuellen Vorbilder hatte - geschweige denn kannte.
Haben deine Date-Erfahrungen mit Frauen etwas für dich verändert?
Ich war früher sehr streng mit mir und meinem Körper. Ich habe zum Beispiel meine Dehnungsstreifen (danke für dieses Begriff liebe Schönheitsindustrie) als Makel gesehen. Nachdem ich sie jedoch auch bei anderen Frauen entdeckte, waren es auf einmal kleine Besonderheiten des weiblichen Körpers für mich, die sich wunderbar in die Kurven einfügen und sie umspielen. Außerdem erlebte ich Sex auf eine neue Art - ohne Penetration. Und das war großartig: meine weiblichen Geliebten und ich zelebrierten gemeinsam unsere Weiblichkeit! Ein mächtiges Gefühl.
Konsens ist wichtig. Warum ist er auch sexy?
Weil Konsens einholen eben auch sexy sein kann. Zumindest geht es mir so, wenn ich daran denke, wie mich jemand fragt, ob er:sie mich umarmen/küssen/anfassen darf. Und wenn du auf den Titel anspielst: der ist einfach more catchy (wie es so schön heißt).
In welcher Situation hat dich das Grenzen setzen beispielsweise befreit?
Einmal hatte ich etwas mit einem Mann, der Abend war eigentlich lustig, bis wir uns küssten und sich bei ihm scheinbar ein Schalter umlegte, woraufhin er nur so versuchte zu performen, ohne dabei Rücksicht auf mich oder meine Bedürfnisse zu nehmen - er war grob, alles passierte zu schnell… Zwei Mal wies ich ihn drauf hin, er ignorierte es weitestgehend und so kam es, dass ich aufsprang und ihn anschrie sofort meine Wohnung zu verlassen. Für mich kaum vorstellbar, dass die Nadine von vor 10 Jahren sich das getraut hätte. Es ist eben alles ein Prozess. Wie heißt es so schön, man wächst mit seinen Erfahrungen. Meine Grenze zu ziehen, hat mich aus der Situation befreit und mich stark fühlen lassen.
Selbstermächtigung beginnt mit Selbstreflexion.
Gibt es etwas, was du Leser:innen mitgeben möchtest?
Was ich immer ganz spannend finde: Die eigene Ex-Beziehungsgeschichte zu hinterfragen. Einfach mal zu schauen, was diese Beziehungstypen gemeinsam hatten. Oft konzentriert man sich nur auf die einzelnen Personen und denkt: "Das wäre niemals was geworden, so sprunghaft wie sie war", oder "er war gefühlt lieber beim Sport statt Zeit mit mir verbringen zu wollen" … Manchmal ist es hilfreich, die Beziehungsdynamiken dahinter zu analysieren, inwiefern sie sich über die Jahre wiederholt haben und dabei ruhig auch etwas härter mit sich selbst ins Gericht zu gehen: Was war denn mein Anteil?
Dass man sich von eingespielten Verhaltensmustern selbst befreit?
Ja, das lohnt sich. Wenn man an sich arbeiten möchte, was man ja nicht unbedingt tun muss. Aber falls man das will, hier mein Tipp: Selbstermächtigung beginnt mit Selbstreflexion.
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