Sex ist nicht alles. Doch wenn er fehlt, überschattet das die ganze Beziehung. Als Online-Sexcoachin unterstützt Britta Kunze Singles und Paare dabei, mehr Lust, Genuss und Leichtigkeit in ihr Sexleben zu bringen. Ihr eigener Weg war schwieriger, wie ihr in Teil 1 unserer Reihe "Geht Liebe ohne Sex?" lesen könnt.
"Den Martin kriegst du nie", hat mein WG-Mitbewohner zu mir gesagt. Ich war damals 23 Jahre alt, Martin zehn Jahre älter. Wir waren wie Feuer und Wasser. Ich war ihm "too much" und er mir mit seiner verschlossenen Art fremd. Doch ich wollte ihn unbedingt – und bekam ihn schließlich auch.
Zu Beginn unserer Beziehung hatten Martin und ich viel Sex und ich genoss unsere Lust sehr. Nach wenigen Monaten Sex wurde ich ungeplant schwanger: Wir waren happy. Leider hatte ich einen Abgang. Dann wurde ich wieder schwanger. Wir hatten auch während der Schwangerschaft viel Sex, manchmal drei-, viermal am Tag. Dann kam unsere Tochter auf die Welt – und der Sex verschwand aus unserem Leben.
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"Baby-Bliss" statt Sex
Ich bin ein sehr sexueller Mensch. Immer schon gewesen. Nach der Geburt hatte ich sofort wieder Lust. Aber Martin nicht mehr. Die Tage vergingen, die Wochen vergingen, kein Sex. Ich masturbierte, doch mir fehlte die Paarsexualität. Und noch so einiges mehr.
Ich hatte Schwierigkeiten, in der Mutterrolle anzukommen. Martin ging in seiner Vaterrolle hingegen voll auf. Alles drehte sich für ihn nur noch um unser Kind. "Wenn er stillen könnte, würde er das auch noch tun", witzelten unsere Freunde. Die Rolle des Versorgers wollte Martin allerdings nicht übernehmen. Also habe ich neben meinem Studium noch gejobbt, um die Familie zu ernähren. Martin blieb zu Hause mit Kind und war im "Baby-Bliss". Ich hingegen fühlte mich wie viele Männer: "Ich will ran, aber 'Mutti' lässt mich nicht." Ich schaute Pornos auf dem Sofa, während er beim Kind schlief. Ich kam mir vor wie ein notgeiles Sex-Monster, er war für mich "der Verklemmte".
Im zweiten Babyjahr trennten wir uns, kamen aber wieder zusammen. Ich sehnte mich nach einer liebenden Alltagsbeziehung MIT erfüllter Sexualität. Doch das war unmöglich. Ich unterdrückte meinen Sextrieb so gut es ging. Manchmal flippte ich aber aus, wurde laut und war voller Vorwürfe. Wenn ich anfing zu weinen, schlief er mit mir.
Ich war inzwischen voller Selbsthass. In meiner Verzweiflung rief ich eines Nachts sogar bei der Seelsorge an: "Mein Mann schläft nicht mit mir und mir geht es beschissen damit." Die Dame am Ende der Leitung schnauzte mich an, ob ich sie verarschen wolle. Das sei ja wohl kein echtes Problem.
Endlich heilen
Martin und ich blieben zusammen, bis ich mit einer Therapie und mit Körperarbeit anfing. Ich wollte herausfinden, wer ich bin und was ich mir wünsche. Endlich fing ich an, Rollenbilder und vor allem Verbote wie "Du darfst keine sexuell erfüllte Frau sein" zu durchbrechen.
Ich wurde noch einmal schwanger. Unser Sohn kam 2012 auf die Welt. Wenig später hatte ich einen One-Night-Stand mit einem Bekannten. Ich hab's Martin gesagt. Ich war die Selbstverleumdung leid. Martin trennte sich daraufhin. Und ich atmete auf.
Danach erlebte ich verschiedene Beziehungen, in denen ich heilen durfte. Anfangs hatte ich noch Angst, wenn ein Partner mal keinen Sex wollte, doch auch diese Sorge habe ich inzwischen hinter mir gelassen. Mit meinem neuen Partner bin ich jetzt schon seit fünf Jahren zusammen und lebe meinen Traum: eine sexuell erfüllte, ehrliche, liebevolle Beziehung.
Hier geht es zu Teil 2: "Lohnt es sich, zu bleiben?" und hier zu Teil 3: "Wann ist es eine gute Idee, die Beziehung zu öffnen?". Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 10/22.
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