Sex ist nicht alles. Doch wenn er fehlt, überschattet das die ganze Beziehung. Helena ist Ende 40 und arbeitet in leitender Funktion in der Medienbranche. Weil sie anonym bleiben möchte, wurde ihr Name geändert. In Teil 2 unserer Reihe "Geht Liebe ohne Sex?" erzählt sie, wie sie sich für ihren Mann entschied – und gegen ein erfülltes Sexleben.
Wilden Sex, schmutzigen Sex. Oder auch sanften, süßen Schmusesex. Habe ich alles erlebt, zum Glück. Nur eben nicht mit meinem Mann. Ganz schön traurig? Das dachte ich auch lange. Da hat man endlich den einen Kerl gefunden, bei dem eigentlich alles richtig gut passt, mit dem sogar der stressige Alltag mit zwei Kindern noch Raum für Leben lässt. Mit dem ich lachen, weinen und reden, aber auch, absolut wichtig: sehr gut streiten kann. Der unaufgefordert die Spülmaschine ein- und ausräumt, lecker kocht und sogar – Halleluja! – den Terminkalender mit den Playdates, Klavierstunden und Zahnarztbesuchen im Blick behält. Hey, der Mann kann sogar Zöpfe flechten! Mal ehrlich, dafür werden Typen auf YouTube abgefeiert, als hätten sie ein Mittel gegen Krebs erfunden... Man könnte also sagen: Läuft bei uns! Nur eben nicht im Bett.
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Wenn der Funke ausbleibt
Dabei ist es nicht so, als wäre nach mittlerweile zehn gemeinsamen Jahren einfach nur die Luft raus. Bei uns hat keine Gewöhnung, keine Alltagsmonotonie die Lust verschwinden lassen wie bei so vielen anderen Paaren. Die Wahrheit ist, zwischen uns flogen noch nie die Funken, jedenfalls nicht körperlich. Unsere Anziehung war immer eine andere: die Freude am Reisen, am gemeinsamen Sport und immer wieder der Sinn für Humor. Mein Liebster bringt mich zwar nicht zum Orgasmus, dafür aber zum Lachen! Und: Er kann Patchwork. Mein Teenager-Sohn aus einer früheren Beziehung quatscht mit ihm über Dinge, die für Mamas Ohren längst tabu sind. Und die Kleine? Ja, die haben wir selbst gemacht! Ist ja nicht so, dass wir nie Sex hatten... Nur haben wir eben ziemlich schnell festgestellt, dass der in unserer Beziehung nicht gerade die Kirsche auf der Torte ist. Sondern eher frustrierend. Irgendwie uninspiriert und seltsam gehemmt. Ich hatte immer das Gefühl, mein Schatz würde sich an mir ähnlich pflichtbewusst abarbeiten wie an der Geschirrspülmaschine: schnell und zielorientiert, mit einer gewissen Erleichterung, wenn der Job erledigt ist. Nur, dass ich eben keine Tupperdose bin...
Na klar haben wir darüber gesprochen, oft sogar. Man kann sagen, wir haben uns echt Mühe gegeben. Aber ist das nicht genau das Gegenteil von gutem Sex? Eben. Und desdeshalb haben wir’s einfach gelassen. Fehlt mir die körperliche Intimität als Paar? Ja, manchmal. Aber immer weniger. Ich glaube, es ist ein bisschen wie beim Fasten: Am Anfang verzehrt man sich ständig nach den Leckereien, die einem entgehen. Aber irgendwann vergeht der Heißhunger und der innere Fokus schwenkt um auf andere Dinge, die einen glücklich machen. Und tatsächlich ist es ja nicht so, dass wir uns körperlich nicht nah wären: Wir kuscheln abends stundenlang auf dem Sofa, küssen uns auch mal. Das ist liebevoll und vertraut. Nur nicht erotisch. Und manchmal merkwürdig, denn zugegeben: Wenn's bei Netflix mal wieder heiß zur Sache geht, fühle ich mich unwohl neben meinem Süßen. Es ist dann, als würde uns vom Bildschirm die Botschaft entgegenflimmern: "Los jetzt! Alle tun es! Was ist falsch mit euch?"
Ist Sex es wert, die Beziehung aufs Spiel zu setzen?
Natürlich habe ich über Lösungen nachgedacht, über Alternativen. Das Liebesleben outsourcen, funktioniert das? Ich hab's ein paar Mal versucht und kann sagen: nicht für mich. Nach jeder Knutscherei und erst recht nach dem einen One-Night-Stand, den es gab, fühlte ich mich mies. So, als hätte ich nicht nur meinen Mann, sondern gleich meine ganze Familie hintergangen. Und das war es mir nicht wert. Aber wer weiß, vielleicht war auch nur nicht der Richtige dabei! Vielleicht treffe ich ja irgendwann jemanden, der mich aus meinem sexuellen Schneewittchenschlaf weckt? Aber ich warte nicht darauf und ehrlich gesagt: Die Vorstellung macht mir Angst. Denn dann müsste ich die Karten auf den Tisch legen. Eine heimliche Dauer-Affäre? Käme für mich nicht infrage. Und ich hoffe, für meinen Mann auch nicht...
Neulich habe ich meinen Liebsten mal gefragt, wie sich das für ihn anfühlt: Die Vorstellung, vielleicht nie im Leben wieder Sex mit einem anderen Menschen zu haben. Seine Antwort lautete: "Darüber denke ich lieber gar nicht nach." Und dann hat er mich ganz fest in den Arm genommen. Es hat sich gut angefühlt.
Hier geht es zu Teil 1: "Wann wird es Zeit, zu gehen?" und hier zu Teil 3: "Wann ist es eine gute Idee, die Beziehung zu öffnen?". Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 10/22.
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