Schluss mit der Statistinnenrolle: Die Klitoris ist der neue Hollywood-Star! Endlich fangen Filme und Serien an, weibliche Lust realistisch darzustellen. Wurde auch Zeit, denn bis hierhin war es ein viel zu langer, unbefriedigender Weg …
Klitoris, nach vorne!
Er liegt auf ihr, bewegt sich in stoßenden Bewegungen vor und zurück. Sie krallt sich an seinen Armen fest, schaut ihm mit lustvollem Blick in die Augen. Und dann: lautes Stöhnen, sie legt ihren Kopf in den Nacken und ihr ganzer Körper bebt, während sie – gleichzeitig mit ihm – kommt. Es ist die Blaupause einer Sexszene, wie sie in den meisten x-beliebigen Filmen vorkommt – im echten Leben jedoch selten. In Wirklichkeit würde die Frau in einer solchen Situation wahrscheinlich eher eine Kopie der berühmten "Harry & Sally"-Diner-Szene nachspielen, in der Meg Ryan eindrucksvoll einen Orgasmus vortäuscht. Denn: Außerhalb der Film-Fantasie kommen nur rund 18 Prozent der Menschen mit Vulva allein durch Penetration zum Höhepunkt. Für den Rest braucht es schon die Klitoris, die von Hollywood lange Zeit eher wie eine unauffällige Statistin behandelt wurde.
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Schonmal was vom Clit-Test gehört?
Zeit, dass die Klitoris endlich mal die Hauptrolle übernimmt, dachten sich Frances Rayner und Irene Tortajada im Februar 2020, als sie den "Clit Test" ins Leben riefen. Um diesen zu bestehen, müssen Filme und Serien, aber auch Songs und Bücher die Klitoris in irgendeiner Weise thematisieren, egal ob in Gesprächen, durch Oral-Sex, Masturbation oder per Handjob. Besteht eine Sexszene nur aus Penetration und die Klitoris bekommt keine Zuwendung? Möp, durchgefallen! Auf dem Instagram-Account @clit.test sammeln die beiden Britinnen die Gewinner:innen und Verlierer:innen ihres Tests, der an den Bechdel-Test angelehnt ist. Dieser dient seit Jahren als Hilfsmittel, um die Häufigkeit der eigenständigen weiblichen Figuren in Filmen zu analysieren.
"Die Vorstellung, dass Sex einfach nur bedeutet, den Penis in die Vagina zu stecken, ist veralteter Schwachsinn", erklärt uns Frances Rayner. "Deswegen haben wir den Clit Test konzipiert, um die Filmemacher:innen zu feiern, die weibliche Lust realistisch darstellen, und um damit andere zu inspirieren." Hat funktioniert. Stars wie Regisseurin Olivia Wilde oder Sängerin Dua Lipa bedankten sich per Instagram-Reposts für die Erwähnung ihrer Projekte. Die meisten der Filme und Serien, die den Clit Test bestehen, sind in den letzten fünf bis zehn Jahren erschienen. Phoebe Waller-Bridges "Fleabag" etwa oder auch "Bridgerton", "Euphoria" und Olivia Wildes neueste Regiearbeit "Don't Worry Darling". Auch in Deutschland bekommt die Klitoris mittlerweile ein bisschen Liebe: In der Netflix-Serie "Kleo" bringt Swen (Dimitrij Schaad) Titelfigur Kleo (Jella Haase) mit Cunnilingus zum Orgasmus. Natürlich gibt es auch ältere Beispiele, "Sex and the City" (1998–2004) oder "Monster's Ball" (2001). "Damals galt das aber noch als anzüglich", sagt Frances Rayner. Es waren die Ausnahmen, die die Regel bestätigten. Eine Regel, die – Überraschung! – mal wieder auf das "gute" alte Patriarchat zurückzuführen ist.
Mal wieder alte Muster...
Der männliche Orgasmus lag in Hollywood lange Zeit im Fokus, auch weil es nur wenige Regisseurinnen gab. Sowieso galt weibliche Lust gesellschaftlich als verpönt und schmutzig. Frauen, die Spaß an Sex haben? Gibt's nicht! Und wenn, dann sind sie Schlampen. Allein die Tatsache, dass die Klitoris im Deutschen auch "Kitzler" genannt werden kann, spricht Bände. Kann es ein lächerlicheres und unsexyeres Wort geben, um das wichtigste Körperteil für weibliche Lust zu beschreiben?
Beim Sexualkunde-Unterricht fängt's schon an. Der weibliche Orgasmus spielt in der Schule kaum eine Rolle. Dann müssen eben Filme und Serien zur Aufklärung herhalten – oder TikTok. Unter dem Hashtag "Seggs Education" sammelt die Gen Z ihr (fragwürdiges) Wissen zum Thema Liebesakt. "Als Kind wusste ich früh über Blowjobs, Penetrationssex und darüber Bescheid, dass sich Jungs gerne einen runterholen. Aber niemand erklärte mir den weiblichen Körper abseits von Menstruation und Schwangerschaft", erinnert sich Frances Rayner. "Ich habe angefangen, zu masturbieren, da wusste ich noch gar nicht, dass Frauen das tun können. Ich wusste nicht mal, dass es etwas mit Sex zu tun hat, ich habe mich danach einfach nur eklig gefühlt." Erst mit 20 habe sie realisiert, dass es ganz normal ist, dass sie nur mit Stimulation der Klitoris zum Orgasmus kommt.
Damit ist die 36-Jährige nicht alleine. Eine realistische Repräsentation von weiblicher Lust ist genau deswegen wichtig – nicht nur für Mädchen, die gerade beginnen, ihre Sexualität zu erkunden. Klar, wenn man sich in einer feministisch-liberalen Bubble bewegt (wie wahrscheinlich viele von uns), denkt man gerne, der Großteil der Frauen sei aufgeklärt genug und wisse selbst, was sie auf Touren bringt. Fakt ist aber: Der Orgasmus-Gap ist leider immer noch alive and well. Erst letztes Jahr kam bei einer Umfrage des Sextoy-Herstellers Arcwave heraus, dass 48 Prozent der befragten Männer jedes Mal zum Orgasmus kommen, wenn sie Sex haben – bei den Frauen waren es nur 18 Prozent.
Besserung in Sicht?
Aber es gibt Hoffnung – zumindest laut Frances Rayner und Irene Tortajada. Die beiden haben ihre Kampagne für mehr Klitoris-freundlichen Sex in Filmen und Serien vor Kurzem beendet. Seit sie den Clit Test ins Leben gerufen haben, habe sich einiges getan, berichtet Frances. "In den letzten 18 Monaten haben es erfolgreiche Mainstream-Produktionen wie 'Bridgerton' geschafft, Cunnilingus auf unseren Bildschirmen zu normalisieren. Wenn ich mir heute eine Serie anschaue, ist meistens mindestens eine Szene zu sehen, die den Clit Test besteht. Penetrationssex ist out – genau davon haben wir geträumt." Laut der Schottin, die bei einer NGO arbeitet, gibt es für die Sex-Revolution in Hollywood mehrere Gründe. "Was wir in Filmen und Serien gesehen haben, war überhaupt nicht up to date mit aktuellen Entwicklungen in Sachen Feminismus und Gleichberechtigung. Ich glaube, es musste einfach nur jemand darauf aufmerksam machen. Zudem sind die Produktionsteams mittlerweile viel diverser, es gibt mehr Regisseurinnen und Intimitätscoach:innen sind zur Normalität an Filmsets geworden. Filmemacherinnen und Drehbuchautorinnen wie Olivia Wilde oder Micheala Coel (Serie "Chewing Gum"), aber auch Musikerinnen wie Doja Cat oder Nicki Minaj hätten den Weg geebnet. Sexszenen in Filmen und Serien kommen der Realität immer näher, aber es gibt noch einiges zu tun. "Man sieht immer noch meistens heterosexuellen Geschlechtsverkehr", sagt Frances Rayner. "Ich würde mir wünschen, dass man auch mal mehr trans und nicht-binäre Personen zeigt, die Spaß an Sex haben. Es gibt noch viel Verbesserungspotenzial!"
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 12/22.
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