Schon gewusst? Mai ist Masturbationsmonat. Wir wünschen uns, dass weibliche Selbstbefriedigung genauso selbstverständlich akzeptiert und thematisiert werden kann, wie die männliche. Und wir wünschen uns, dass du dein:e eigene beste Liebhaber:in wirst.
Wir haben mit Geza Gothe, Workshopleiter:in beim alternativen Sexshop Other Nature gesprochen. Masturbation ist ihr Geschäft. Geza erklärt uns, warum wir nicht länger nach dem G-Punkt forschen, sondern unsere G-Fläche selbst entdecken sollten.
EMOTION: Geza, als Gesellschaft reden wir selbstverständlich über Masturbation bei Männern. Warum reden wir dagegen nie über masturbierende Frauen?
Geza Gothe: Ich denke, weil Forschung und Medizin so lange Männerthema waren. Es gibt eine riesige kulturelle Lücke um Masturbation von Frauen und Vulvas im Speziellen. Wieviele unter uns könnten jederzeit einen Penis auf eine Klotür malen, aber hätten keine Ahnung, wie eine Vulva aussieht?
Selbst unter Frauen sind Vulven oft ein schambehaftetes Thema. Wie erlebst Du Kund:innen im Laden?
Du sagst es: lange haben wir die Vulva nur "da unten" genannt. Und nun verwendet man den Begriff "die Scham". Das setzt ein falsches Zeichen.
Es gibt so viel Unwissenheit, weil um Vulven und Masturbation ein so großes Schweigen herrscht. Das ist eine sehr laute kulturelle Botschaft.
Geza von Other NatureTweet
Wovor haben Frauen Angst?
Sie haben Angst, falsch zu sein – dass irgendetwas an ihnen zu viel oder zu wenig ist. Und es gibt so viel Unwissenheit, weil um Vulven und Masturbation ein so großes Schweigen herrscht, selbst in der Familie und in Freundschaften. Das ist eine sehr laute kulturelle Botschaft.
Viele von uns haben schon im Kindesalter gesagt bekommen, dass wir uns "da unten" nicht anfassen sollen...
Das ist mit einer der Gründe, warum viele Menschen sich ihre Vulva noch nie genau angesehen haben. Das ist auch nicht leicht, denn man seine Vulva nicht mal eben betrachten. Das braucht Überwindung: Man braucht mindestens einen Spiegel, besser noch eine Taschenlampe. Wenn man sich von innen sehen will, braucht man auch ein Spekulum. Damit kann man die eigene Cervix ansehen.
Masturbation ist der sicherste Sex, den es gibt!
Geza von Other NatureTweet
Ist es wichtig, sich selbst sexuell schon kennengelernt zu haben, bevor man sich jemand anderem hingibt?
Es ist eine unfassbar gute Voraussetzung, um mit anderen Sexualität zu erleben. Man ist freier, sich gegenseitig zu erkunden, weil man sich selbst schon einmal gespürt hat und weiß, was man mag. Ist man nicht mehr alleine, spürt man unweigerlich die Erwartung des Gegenübers und es geht darum, eine gemeinsame Balance zu finden.
Wie leitest Du Frauen an ihre erste Masturbationserfahrung heran?
Ich erinnere immer daran, dass jede:r mal angefangen hat. Jede:r von uns musste auf diese Reise gehen. Wir vergessen, dass es ein Prozess ist, der auch nie aufhört. Masturbation soll schön sein. Das Ziel ist nicht, zu kommen, sondern nur, dass man sich gut fühlt.
Und Menschen, die ihre Masturbationserfahrungen erweitern möchten?
Wir versuchen, herauszufinden, womit die Person sich schon wohl fühlt und was sie interessiert. Es gibt Dildos, Vibratoren, Luftdruckvibratoren, jede Menge verschiedene Texturen. Wenn man die G-Fläche erkunden möchte, zeigen wir G-Punkt-Toys. Ob durch Vibration, Penetration, klitorale Stimulation – man kann sich selbst so viele verschiedene Erlebnisse schaffen.
Moment mal, manche halten den G-Punkt für einen Mythos und Du sprichst von einer ganzen G-Fläche? Erzähl uns mehr!
Die G-Fläche ist ein Teil der Vulva. Sie ist ein erektiles Schwammgewebe um die Harnröhre herum. Wenn man erregt ist, füllen die Drüsen sich mit Flüssigkeit und Frau kann ejakulieren. Aber da muss man körperlich schon sehr flexibel sein. Wenn man nicht jeden Tag Yoga macht, braucht man Hilfsmittel, um selbst dahin zu kommen. Dafür braucht man einen Dildo oder Vibrator mit einer Biegung.
Wir haben jetzt über Vulva, G-Punkt und Klitoris gesprochen. Was ist mit anderen Regionen. Wie kann ich andere erogene Zonen stimulieren, Brüste etwa?
Auch das ist eine Typfrage. Es gibt zum Beispiel Nippelklammern, völlig jenseits vom Kink, die keine Schmerzen verursachen, sondern nur Druck ausüben. Es gibt auch Nippelsucker, die sich an der Brustwarze festsaugen. Die bewirken, dass der Blutfluss zur Brustwarze stimuliert wird und die Brustwarze dadurch sensibler wird.
Egal, wie viele gute Voraussetzungen man schafft: Manchmal will es nicht klappen. Im besten Fall kommt man dem Höhepunkt immer näher und plötzlich flaut alles ab. Dranbleiben? Aufhören? Pause machen?
Erstmal finde ich es wichtig, sich klarzumachen, welche schönen Momente man schon hatte. Schnell vergisst man den Genuss, weil man nicht kommt. Das ist schade! Gut ist es, den Druck rauszunehmen und zu versuchen, wieder zu Erregung zurückzukommen. Und wenn das nicht funktioniert, eben aufzuhören.
Wie so oft... wenn ich zu verkopft rangehe, stehe ich mir selbst im Weg, ja?
Es gibt ein tolles Buch der Sexualwissenschaftlerin Emilia Nagowski, das erklärt, welchen Teil das Gehirn in unserer Anatomie einnimmt. Wir alle haben aber unterschiedliche Erregungssysteme, ein Brems- und ein Gaspedal, sozusagen. Manche müssen nur einen schönen Duft wahrnehmen, um erregt zu werden. Andere müssen immer dasselbe Setting haben: derselbe Raum, die gleiche Uhrzeit, fixe Dinge, die sie brauchen um angetörnt zu werden. Wenn wir wenig auf der Bremse haben – keine Sorgen, wenig Stress – und wir sind schnell angetörnt, dann passiert schnell sehr viel. Das ist tagesform- und typabhängig. Und es ist völlig wertfrei.
Welche Fragen stellen Frauen bei Euren Workshops am häufigsten?
Sie sprechen oft über das Gefühl, dass bei ihnen irgendwas nicht stimmt – im Bezug auf ihre Genitalien zum Beispiel, oder auf das Erleben bestimmter Erfahrungen. Sehr viele sind auf der Suche nach einem bestimmtem Orgasmus: sei es der klitorale, vaginale oder der Cervixorgasmus.
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Und ich höre heraus: das ist die falsche Herangehensweise...
Wenn wir aufhören, nach etwas Bestimmten zu streben, kommt das, wonach man vorher verkrampft gesucht hat, meist automatisch. Den Weg zu genießen, Achtsamkeit auf den Genuss zu legen – das hilft meistens dabei, zu kommen.
Achtsamkeit – ist die wichtig bei Sex und Masturbation?
Ich halte es für unwahrscheinlich, dass man immer im Moment sein und jeden Sex achtsam erleben kann. Es ist völlig ok, einfach mal gestresst oder müde zu masturbieren. Es gibt die verschiedensten Gründe, warum Menschen masturbieren... Weil sie genervt sind, aus Langeweile, um einzuschlafen, Stress auf der Arbeit, das Gefühl es zu müssen, weil es gesund ist...
Was spricht denn Deiner Meinung nach für Masturbation?
Masturbation ist der sicherste Sex, den es gibt! Aber Masturbation – das ist eines meiner Lieblingszitate – ist die lebenslange Liebesaffäre, die wir mit uns selbst haben. Wir erleben Lust mit uns selbst und das ist niemals zweitrangig. Es gibt auch die Annahme, dass Sex mit uns selbst kein richtiger Sex sei. Aber das stimmt nicht: Masturbation ist Sex. Sie ist Selfcare, Empowerment und ein Safe Space, um Fantasien auszuprobieren, indem wir zum Beispiel feministische Pornos gucken.
Sind Frauen genauso empfänglich für Pornos wie Männer?
Sinnliche Bilder haben auf unser Gehirn einen lustvollen Effekt. Und unser Gehirn will stimuliert werden. Ob das erotische Fotografien sind, erotische Geschichten oder Filme. Einigen sind Pornos zu hart. Leider gibt es auch nur wenig gut und fair produzierte Pornos. Aber sie können auch eine gute Informationsquelle sein – denn es ist unglaublich wertvoll zu merken, dass man etwas nicht mag.
Man muss Fehler machen, um selbst kompetent zu werden.
Geza von Other NatureTweet
Man muss also auch den Mut haben, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. Sich unvoreingenommen zu begegnen?
Das ist ein wichtiger Teil des Sexual Empowerment. Man muss in seinem Prozess geduldig sein. Wie viel Fehlkäufe haben wir in unserem Leben schon getätigt? Man braucht Geduld und die Bereitschaft, auch mal Fehler zu machen – den falschen Vibrator zu kaufen, einen abtörnenden Film sehen. Man muss Fehler machen, um selbst kompetent zu werden.
Mit welchem Masturbations-Mythos möchtest Du gern aufräumen?
Ich würde immer sagen, man sollte aufhören, die richtige Art der Masturbation zu suchen. Und dass es schmutzig sei und "gute Mädchen" das nicht machen. Auch, dass es nur Platz für Masturbation gibt, wenn gerade kein:e Partner:in da ist. Es ist ein gesunder, wundervoller Selbstausdruck. Jede:r sollte masturbieren!
Wir wissen, dass Masturbation Endorphine produziert. Sie ist gut für die emotionale Balance. Es gibt auch andere Vorteile, oder?
Man kann prima den Beckenboden trainieren – das beugt Inkontinenz vor. Der Blutfluss geht bei der Masturbation in die Genitalien. Wenn man älter wird kann regelmäßige Masturbation dabei helfen, die hormonelle Balance zu halten und den Abbau der Gebärmutterwände (ab 35!) zu verlangsamen. Der ganze Bereich bleibt so länger jung! Masturbation kann den Schlaf verbessern, das wiederum stärkt das Immunsystem.
Du hast erzählt, wie viele Menschen derzeit an Euren Workshops teilnehmen. Gerade auch deshalb, weil Ihr sie momentan natürlich digital abhaltet. Wenn die Leserinnen jetzt neugierig geworden sind: Was erwartet sie bei einem Eurer Workshops?
Wir sprechen über Tabus, Scham und Stigma und versuchen herauszufinden, was uns hemmt. Wir sprechen intensiv über Anatomie, medizinische Details und psychologische Aspekte von Sexualität. Wir regen dazu an, die Sinne zu öffnen und seinen eigenen Masturbationslebenslauf aufzuschreiben. Unsere Workshops sind allen Geschlechtern, Identitäten, Sexualitäten und Genitalien offen – das muss man wissen. Aber niemand – und das ist das Tolle an den digitalen Workshops – ist gezwungen, die Kamera anzulassen. Wir laden dazu ein – und das ist meine absolute Lieblingsübung – seine eigene beste Liebhaberin auf der ganzen Welt zu werden. Niemand sollte einem mehr Befriedigung geben können, als man selbst.
Geza Gothe ist Workshopleiter:in und Mitglied* des queerfeministischen, sexpositiven, veganen, alternativen Sexshop Other Nature in Berlin. Workshops sind online buchbar.
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