Wir sind alle Puzzle-Teile – in der Erinnerung von anderen, mit denen wir durchs Leben gehen oder mal gegangen sind. Und wenn jemand in seinen Erinnerungen herumkramt, schließt das manchmal eine Lücke bei uns selbst
Es kommt in Wellen. Oder es bewegt sich im Kreis, denn es kommt wieder: das Gefühl, aufräumen zu wollen. Zu verstehen, was los ist im eigenen Leben und wieso es immer wieder an den gleichen Stellen bricht. Das ist der Moment, wenn wir leicht angetrunken ehemaligen Lebensabschnittspartnern Nachrichten schreiben. Alle sieben Jahre oder so.
Ihre Mail kam aus dem Nichts. Sie hatte im Internet einen Tippfehler entdeckt, wo es um das Dreieck ging, das Frauen am Rücken haben, über dem Po, zwischen den Rückengrübchen und dem Steißbein. Es heißt Michaelis-Raute, aber da stand Michalis-Raute, und sie musste an mich denken. Wie es bei mir laufe? Und dann, nach zweimal hin und her, wie ich sie damals ertragen habe, so unsicher und nervig, wie sie war. Es klang nicht glücklich.
Wenn einer unsicher war damals, dann war es ganz sicher ich. Das habe ich geschrieben, bevor mir wirklich klar war, wie sehr es stimmt. Aber dann kam es mit Wucht. Ich glaube, ich habe nicht so wahnsinnig viele Geheimnisse, also echte Geheimnisse. Es gibt wenig, das niemand von mir weiß. Aber ein paar Dinge wissen jeweils nur einzelne Frauen. Und dieser Geist aus der Vergangenheit weiß am meisten.
Wir waren sehr jung damals. Eigentlich möchte ich sagen: Wir waren klein. Und beide mit dem Missverständnis aufgewachsen, das es so schwierig macht zwischen Jungs und Mädchen, und damit zwischen Männern und Frauen, nämlich, dass Männer nur Sex wollen und Frauen ihn nur gewähren, weil sie sich Liebe erhoffen. Es schafft diese ewige Unwucht, die alle Seiten dazu bringt, sich zu schämen für etwas,das sie wollen. Und die Ungerechtigkeit, dass Egoismus bei Männern biologisch wegerklärt wird und bei Frauen gesellschaftlich bestraft.
All das mussten wir gleichzeitig lernen, und wir waren beide gleich unsicher. Aber sie musste mich auch noch die Praxis lehren zu meinem sehr theoretischen Wissen darüber, was eine Klitoris ist, die damals noch Kitzler hieß, auch wenn nie wer wirklich darüber gesprochen hat – und wie man damit umgeht. Wenn hier einer den anderen ertragen hat, dann nicht ich sie.
Wir haben uns geschrieben, wie anstrengend das Leben ist mit Kindern. Und sie merkte an, welche Herausforderung es ist, nach Jahren der Ehe immer wieder bei sich zu forschen, was es ist, das man noch will von seinem Leben. Und ob ich mich an eine bestimmte Nacht erinnere. Ich habe geantwortet, dass ich glaube, mich an jede Nacht zu erinnern, und wie unglaublich sexy sie ist und immer für mich sein wird. Dann schlief der Mail-Wechsel ein, und ich hoffe sehr, dass es daran liegt, dass sie von mir bekommen hat, was sie sich erhoffte, als sie mir schrieb. Wenigstens jetzt, so viele Jahre, nachdem sie angefangen hat zu versuchen, mir zu erklären, was es ist.
Ich erzähle das, weil ich zufällig auf unseren Mailverkehr gestoßen bin. Selbst der ist alt, etwas mehr als sieben Jahre ist das her. Und während ich an sie denke, vermisse ich sie ein bisschen. Und hoffe, sie hat keinen Grund, mir wieder zu schreiben. Denn das Leben ist kein Kreis.