Ghosting: Wenn die Beziehung zu einem Menschen – egal in welcher Form – durch plötzlichen Kontaktabbruch beendet wird, dann kann das ernstzunehmende Schäden für die Psyche haben.
Ghosting - plötzlicher Kontaktabbruch in Beziehungen
"Ghosting" ist ein aufkommender Dating-Trend und beschreibt den plötzlichen Kontaktabbruch ohne Erklärung in gerade noch nahen Beziehungen. Gerade mit dem wachsenden Angebot an Dating-Apps ist Ghosting zum meistgenutzten Tool für das Beenden von Beziehungen geworden. Es beschreibt das Phänomen, dass sich Menschen, mit denen man sich verabredet, zum ersten Date trifft, befreundet oder gar verpartnert, von einem Moment zum anderen in Luft aufzulösen scheinen.
Aus welchen Gründen ghosten Menschen?
Das offensichtlichste Anzeichen für Ghosting ist meist, dass Nachrichten bleiben plötzlich unbeantwortet bleiben. Für die Ghosting-Opfer wirkt es so, als hätten sie es die ganze Zeit mit einem Hologramm zu tun gehabt – einem Gespenst eben. Diese komplette Funkstille ist vor allem eine Konfliktvermeidungstaktik, eine Bewältigungsstrategie von Ängsten. Meist schweigt man, um entrüstete Reaktionen zu vermeiden (weil Streit oder Auseinandersetzungen oft als Bedrohung empfunden werden, zumindest aber als nervig und zeitraubend). Andere schweigen, weil sie sich verletzt fühlen oder aus Scham. Und dann gibt es noch diejenigen, die schweigen, um zu strafen oder um zu manipulieren – ein typisches Verhaltensmuster, das auch bei Menschen mit Narzissmus zu beobachten ist.
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Ghosting: Kontaktabbruch ohne Erklärung verursacht (Liebes-)kummer
Meiner Erkenntnis nach geht Ghosting jedenfalls immer mit tiefen Zweifeln, Liebeskummer und Trauer einher. Ein plötzlicher Kontaktabbruch ohne Erklärung hat das Potenzial zur Zerstörung. Wenn ich jemanden so zurücklasse, der oder die mir zuvor nahe war, greife ich seine oder ihre Grundbedürfnisse an, etwa das Bedürfnis nach Bindung und Orientierung. Schließlich wollen wir alle wissen, woran wir sind, und möchten deshalb gerne auch den Ausgang einer Beziehung mitbestimmen. Weil Ghosting die Substanz menschlichen Miteinanders massiv angreift, hat es nicht nur für alle Betroffenen nachhaltige Folgen, sondern für die ganze Gesellschaft.
Heute ist die Frage, wie wir in und aus Beziehungen gehen, das Hauptthema auf Dating-Plattformen: enge Beziehungen und Nähe, die ja verletzbar machen könnten, werden geradezu gefürchtet. Gleichzeitig gilt Ghosting als die absolute Beziehungskatastrophe. Das Schweigen besagt: "Du bist nicht da" oder "Ich bin nie da gewesen". Alles eine Täuschung. Zurück bleiben tief verletzte Menschen, die sich immer seltener in Beziehungen trauen und die zunehmend Ängste bei der Partnersuche entwickeln. Ihre Wahrnehmung ist getrübt. Haben sie sich alles nur eingebildet? Haben sie etwas falsch gemacht? Waren sie nicht liebenswert genug? Die permanente Anwesenheit der Abwesenheit quält. Für Menschen, die geghostet werden, ist es hochgradig problematisch, wenn der andere sich in Luft aufzulösen scheint: Es ist fast ein Substanzverlust.
Ghosting: Wie reagieren?
Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass jede:r in irgendeiner Form schonmal geghostet wurde: Ob nun bei der Partnersuche oder in Freundschaften – meist tut der plötzliche Kontaktabbruch richtig weh. Viele fragen sich dann, wie sie am besten auf das Ghosting reagieren sollen. Hier ein paar Tipps:
- Nimm es nicht persönlich: Das rücksichtslose Verhalten der ghostenden Person sagt mehr über sie selbst aus, als über dich. Es ist verständlich, wenn du dich dadurch traurig oder gekränkt fühlst, aber mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit liegt der Fehler nicht bei dir.
- Nicht hinterherlaufen: In den meisten Fällen ist keine Antwort auch eine Antwort. Wer nicht auf deine letzte Nachricht reagiert, scheint offenbar kein Interesse mehr an der Beziehung oder Freundschaft zu haben. Sei dir deinem eigenen Wert bewusst und setze ebenfalls einen Schlussstrich.
- Lenk dich ab: Es ist verständlich, wenn deine Gedanken nach dem Ghosting nicht aufhören zu kreisen und du dir das Verhalten der anderen Person erklären willst. Vielleicht suchst du sogar die Fehler bei dir und überlegst, was du falsch gemacht haben könntest. Solche Gedanken solltest du am besten stoppen, denn sie nagen nur an deinem Selbstwert.
- Mach es besser: Du selbst weißt jetzt, wie schmerzhaft es sein kann, geghostet zu werden. Einen solchen Kontaktabbruch ohne jegliche Erklärung hat kein Mensch verdient und eine kurze, ehrliche Rückmeldung wie "Hey, schön dich kennengelernt zu haben, ich fand das Date mit dir sehr nett. Trotzdem will ich ehrlich mit dir sein: Ich glaube das mit uns beiden wird wohl eher nichts werden, trotzdem wünsche ich dir alles Gute!" ist schmerzlos und lässt die andere Person nicht grübelnd zurück.
Ghosting-Opfer können ernsthafte psychische Störungen erleiden
Der Neurologe und Psychologe Michael Linden spricht hier von einer "posttraumatischen Verbitterungsstörung". Das ist eine reaktive psychische Störung in Folge des Erlebens von Ungerechtigkeit, Herabwürdigung oder Vertrauensbruch, gekennzeichnet durch nagende Verbitterungsgefühle, Aggressionsfantasien, schlechte Stimmung, Rückzug aus Sozialbeziehungen oder Einengung des Lebens. Je häufiger solche Menschen verlassen werden, umso tiefer wird ihre Wunde.
Abbrüche und Risse gehören zum Leben. Doch das plötzliche Verlassenwerden ist ein Angriff auf die Identität, Ungeklärtes beschäftigt uns weitaus mehr als begründete Entscheidungen. Schweigen war zwar schon immer eine effektive, wenn auch brutale Form, um zu zeigen, dass in der Beziehung etwas nicht stimmt. Aber in den letzten Jahren hat sich etwas Entscheidendes verändert: Dieser Umgang miteinander ist vom schambehafteten Unfall zur achselzuckend hingenommenen Normalität geworden.
Online-Dating: ruft eine Wegwerfmentalität hervor
Es begann online: Dort löschen wir im Prinzip ständig Menschen, wenn wir auf Datingplattformen Profile von links nach rechts wischen. Ghosting ist Ausdruck einer fortgeschrittenen Verdinglichung: Beim Online-Dating bietet man sich an wie in einem virtuellen Supermarkt. Und verabschiedet man sich von einem Produkt? Nein. Ich verabschiede mich nicht von einer Marmelade. Heute schmeckt sie mir, morgen eben nicht. Heute gefällst du mir, morgen nicht. Ich benutze dich, genieße dich, dann werfe ich dich weg. In einer Welt, in der Produkte und Dienstleistungen rund um die Uhr verfügbar sind, überträgt sich diese Wegwerfmentalität offenbar auch auf den Menschen.
Wäre es da nicht Aufgabe der Plattformbetreiber, dem entgegenzuwirken und deutlich zu machen, dass hinter je- dem Profil ein Mensch steht? Allerdings machen wir uns ja freiwillig zum Produkt, indem wir uns ins virtuelle Regal stellen, das dank der Digitalisierung gut gefüllt ist. Die anderen müssen nur zugreifen. Wer nicht passt, geht eben retour, denn warum soll nicht auch in Beziehungen das Bestellprinzip gelten?
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Online-Partnersuche: Vorsichtiges Kennenlernen verschwindet
Viele Nutzer preisen bei der Partnersuche die Freiheit der Auswahl, wissen aber nicht, wen sie wählen sollen. Sie lassen einen Laufsteg der Möglichkeiten an sich vorbeiziehen und übersehen dabei, wer eine hätte sein können. Sie streicheln die Oberfläche ihrer Handys häufiger als die Haut eines anderen Menschen. Das algorithmusgenerierte Kennenlernen erfasst nicht mehr, was Annäherung bedeutet. Datingportale haben die Begegnung, die einst absichtslos geschah, in ihr Programm eingespeist, berechnet und beschleunigt. Das lässt die unerwartete Begegnung ebenso verschwinden wie das Flirten oder das vorsichtige Kennenlernen. Hält eine Begegnung nicht, was sie – oder der Algorithmus – versprach, wird sie beendet, bevor sie eine Chance hat, real zu werden.
Ghosting ist nicht zufällig in Zeiten größter Kommunikationsmöglichkeiten entstanden, und es schmerzt umso mehr, weil es so viele Möglichkeiten gibt, online zu sehen, wie der "Geist" weiter mit anderen Menschen interagiert, den Verlassenen jedoch ignoriert. Normen wie Verbindlichkeit, Beständigkeit und zwischenmenschlicher Respekt sind aber nötig, um eine Gesellschaft zusammenzuhalten. Wenn sich Unbeständigkeit als neue Norm des digitalen Miteinanders durchsetzt, dürften die Folgen für das soziale Miteinander massiv sein.
Online-Dating: Wie konfliktfähig sind wir noch?
Die Datingplattformen, die sicher für manche die einzige Möglichkeit sind, mit potenziellen Partner:innen in Kontakt zu kommen, erleichtern gleichzeitig den unverbindlichen und verantwortungslosen Umgang miteinander. Was passiert aber, wenn wir nicht mehr direkt in Konkurrenz zu anderen treten und uns der Konfrontation nicht mehr aussetzen? Wenn wir verschwinden, sobald es komplizierter wird? Wie konfliktfähig sind wir dann noch?
Das zwischenmenschliche Agieren scheint immer schwieriger zu werden. Obwohl wir alle wissen, dass wir ohne Beziehungen nicht leben können, weichen wir allem aus: der Nähe, dem Konflikt, der Partnerschaft. Dabei sind tiefer gehende Beziehungen der wesentliche Motor für unsere persönliche Entwicklung. Wir brauchen sie, um unsere Ängste zu regulieren. Das abrupte Ausbleiben der Kommunikation ist der unüberhörbare Sound einer Ära der Kommunikationsexplosion. Doch auf die Frage: "Was ist passiert?", gibt es keine Antwort. Vielleicht wäre die treffendere aber auch: "Was ist nicht passiert?"
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