Ihr überlegt, ein Pflegekind aufzunehmen und Pflegeeltern zu werden? EMOTION beantwortet hier die elf wichtigsten Fragen.
Ein Pflegekind aufnehmen – das gilt es für zukünftige Pflegeeltern zu beachten
Wenn Paare sich entscheiden, Pflegeeltern werden zu wollen, will das gut überlegt und vorbereitet sein. Wie die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt funktioniert, was für Pflegekind und Pflegefamilie wichtig ist, hat uns Dr. Carmen Thiele vom Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien e.V. erklärt.
Was ist der Unterschied zwischen Pflege- und Adoptivkindern?
Anders als Adoptiveltern haben Pflegeeltern nicht die rechtliche Elternschaft – und das hat erhebliche Auswirkungen auf den Alltag: Für das Kind, das sie bei sich aufnehmen, bekommen sie nur eine Entscheidungsbefugnis für die "Alltagssorge", nicht aber das Sorgerecht. Dieses bleibt beim bisherigen Vormund, das sind manchmal die leiblichen Eltern, meist aber das Jugendamt oder ein Vormund. Das bedeutet: Bei sogenannten "Verletzungen der körperlichen Unversehrtheit" – etwa das Stechen von Ohrlöchern oder auch Impfungen – brauchen Pflegeeltern deren Einwilligung. Ebenso bei Reisen oder Maßnahmen, die das Äußere des Kindes stark verändern wie etwa eine neue Frisur.
Stimmt es, dass die leiblichen Eltern uns das Kind jederzeit wieder wegnehmen können?
Jein. Pflegekinder bleiben zwar häufig dauerhaft in ihren neuen Familien; knapp 40 Prozent der Kinder aber nicht. Sie kehren nicht unbedingt in ihre Herkunftsfamilien zurück, sondern ziehen – insbesondere im Teenager-Alter – in betreute Wohngruppen. Es kommt auch vor, dass die Pflegeeltern ihrerseits aus Überforderung das Pflegeverhältnis beenden. Oft bleibt aber auch nach der räumlichen Trennung ein gutes Verhältnis bestehen. Das Jugendamt kann in den meisten Fällen schon recht früh abschätzen, ob ein Kind lediglich für eine Verweildauer von einigen Wochen oder Monaten in eine "Bereitschaftspflege" gegeben wird. Dies geschieht sowohl in einer akuten Krisensituation, recht häufig aber auch wenn etwa die alleinerziehende Mutter für eine Operation ins Krankenhaus muss. Anders sieht es bei einer "Dauerpflege" aus: In der Regel sind die leiblichen Eltern so überfordert, dass ihr Kind nicht bei ihnen aufwachsen, trotzdem aber nicht den Kontakt verlieren soll, übrigens auch zu Großeltern und anderen Verwandten, manchmal sogar Kindheitsfreunden. Diese Kinder werden sehr oft in ihren Pflegefamilien erwachsen.
Wie werde ich Pflegemutter oder -vater?
Wer ein verwandtes Kind zeitweilig aufnimmt, braucht für diese "Verwandtenpflege" keine staatliche Erlaubnis; dies gilt bis zum dritten Verwandtschaftsgrad. Wer sich dagegen Tag und Nacht um ein fremdes Kind kümmern möchte, braucht für diese "Vollzeitpflege" eine Pflegeerlaubnis vom Jugendamt. In der Regel vermittelt das Jugendamt Kinder in geeignete Pflegefamilien.
Wie alt sind die meisten Pflegekinder?
Ein Großteil der Kinder ist zwischen drei und neun Jahre alt. Aber: Auch Säuglinge werden immer wieder in Pflegefamilien untergebracht und zum Teil auch noch Jugendliche. Dabei wird darauf geachtet, was sie oder er am dringendsten braucht. Eine andere Familienerfahrung? Dann ist eine Pflegefamilie die richtige Wahl. Wer dagegen gerade in der pubertären Ablösephase ist, wird oft in einer Jugendwohngruppe untergebracht.
Welche Voraussetzungen gelten für Pflegeeltern?
Auch Pflegeeltern müssen nachweisen, dass sie gesund und drogenfrei sind, ein angemessenes Einkommen haben und ausreichend Zeit, für das Kind zu sorgen. Markante Unterschiede: Bei Pflegeeltern spielen sowohl der Altersabstand zum Kind wie auch der Familienstand eine weit geringere Rolle. Ältere Paare oder Alleinstehende bekommen deutlich leichter ein Pflege- als ein Adoptivkind vermittelt. Dafür achten Sozialarbeiter in den persönlichen Gesprächen auf ihre Erziehungskompetenz und auf ihre psychische Stabilität, denn Pflegeeltern haben es in der Regel mit Kindern zu tun, die eine turbulente Vorgeschichte haben und zum Teil auch gesundheitliche Beeinträchtigungen. Wie Adoptiveltern müssen auch Pflegeeltern glaubhaft machen, dass sie genügend Zeit für das Kind aufbringen können und bereit sind, mit dem Jugendamt zum Wohle des Kindes zusammenzuarbeiten.
Es kommt auch eine Adoption in Frage? Hier haben wir mehr Informationen.
Wie schaffe ich es, den Problemen meines Pflegekindes gerecht zu werden?
Künftige Pflegeeltern werden in Vorbereitungsseminaren in der Regel sehr gut informiert. Aber mit den Problemen zu leben ist trotzdem etwas anderes. Sehr häufig haben Pflegekinder Bindungsprobleme: Sie können distanzlos sein und auch zu fremden Menschen schnell und stark Kontakt aufnehmen. Oder über ein übersteigertes Autonomiebedürfnis verfügen – weil sie früh selbstständig sein mussten. Pflegeeltern sollten damit umgehen können und Geduld haben: Diese früh erworbenen Muster können Kinder nur sehr langsam abbauen.
Wie schaffe ich es, meiner Rolle als Pflegemutter oder -vater gerecht zu werden?
Auch nach dem Einzug eines Pflegekindes bleiben die Sozialarbeiter wichtige Vermittler und Ratgeber. Wie intensiv sie Pflegeltern im Alltag begleiten, hängt sehr von der aktuellen Lage ab: Oft reichen monatliche Supervisionstermine, manchmal sind einfache Entlastungen im Alltag hilfreich – eine Haushaltshilfe etwa oder jemanden, der mit dem Kind Hausaufgaben macht, damit der Schulstress weniger auf dem Familienleben lastet. Sehr viele Eltern finden emotionale und praktische Hilfe unter Gleichgesinnten, z. B. in Pflegeelterngruppen.
Wie sehr würden das Jugendamt und die leiblichen Eltern in unseren Erziehungsalltag hineinreden?
Mindestens einmal im Jahr treffen sich ein Mitarbeiter des Jugendamtes, die leiblichen sowie die Pflegeeltern und schreiben gemeinsam den sogenannten "Hilfeplan" für das Kind fort. Darin wird zum Beispiel festgehalten: Soll das Kind von nun an mehr oder weniger Kontakt zu Mutter oder Vater haben? Möchte es andere Verwandte häufiger sehen, etwa Geschwister oder Großeltern?
Bekomme ich Geld für die Unterbringung eines Pflegekindes?
Ja. Pflegeeltern bekommen Pflegegeld – der Betrag ist je nach Kommune unterschiedlich. Viele richten sich dabei nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V., der je nach Alter des Kindes zwischen 714 und 875 Euro im Monat empfiehlt. Zusätzlich können beim Jugendamt Beihilfen beantragt werden, etwa für Klassenfahrten, Urlaubsreisen oder auch für die Erstausstattung. Pflegeeltern bekommen auch Kindergeld, das jedoch teilweise mit dem Pflegegeld verrechnet wird: Ist das Pflegekind das älteste Kind im Haushalt wird die Hälfte des Kindergeldes angerechnet, bei jüngeren Kindern ein Viertel.
Kann ich mein Pflegekind später adoptieren?
Das ist während der Pflegezeit selten und auch nicht das eigentliche Ziel. Pflegschaft ist keine verzögerte Adoption, sondern Hilfe bei der Erziehung – in einer fremden Familie. Vor allem müssten die leiblichen Eltern ihr Kind zur Adoption freigeben; in einigen Fällen bemüht sich das Jugendamt bei ihnen um eine Freigabe oder gar darum, diese Freigabe von einem Vormundschaftsgericht zu bekommen. Was aber recht häufig passiert: Erwachsene „Kinder“ werden von ihren Pflegeeltern adoptiert – und wandeln so nach der Volljährigkeit selbst die gelebte Familienrealität in eine rechtliche um.
Ich möchte ein unbegleitetes Flüchtlingskind bei mir aufnehmen. Wie geht das?
Auch die Vermittlung von Flüchtlingskindern koordiniert das Jugendamt. Allerdings: Das sind in den allermeisten Fällen männliche Jugendliche über 16. Bei einigen mag eine Pflegefamilie richtig sein, die meisten fühlen sich aber in Jugendwohngruppen besser – wo sie etwa mit Freunden zusammen bleiben können, mit denen sie gemeinsam geflüchtet sind oder die sie unterwegs kennengelernt haben. Was allerdings häufig gesucht wird, ist ein ehrenamtlicher Vormund: Die Vormundschaft wird über das Jugendamt oder regionale Privatinitiativen vermittelt und muss beim Familiengericht beantragt werden. Nach einem mehrstündigen Vorbereitungsseminar übernimmt ein Vormund den rechtlichen Beistand, etwa bei Asylanträgen, sowie die Sorge für Erziehung und Gesundheit des Minderjährigen.
Fachliche Beratung: Dr. Carmen Thiele vom Bundesverband der Pflege- und Adoptivfamilien e.V.