Vor Kurzem, bei einer Lesung, hat es unseren Kolumnisten voll erwischt. Wie kann das sein: Da hat man all diese verworrenen, unangenehmen Gefühle, mit denen man sich so allein fühlt – und dann schreibt einer genau darüber ein Buch?
Es gibt tatsächlich so etwas wie kluge Frisuren. Also Frisuren, die klug aussehen. Praktisch alle Frauen auf der Lesung dieses unglaublich tollen, unglaublich klugen amerikanischen Schriftstellers haben klug aussehende Frisuren und dazu passende Kleidung, mit dünnen Strickjacken aus feinem Stoff und genau der richtigen Dosis kalkulierter Nachlässigkeit, die einen mit großem Aufwand so aussehen lässt, als würde man sich um Klamotten und Frisuren und all das andere Alltägliche nicht so viele Gedanken machen. Das kann natürlich nicht stimmen. Ich weiß das, weil ich morgens schwer wach werde und immer in Zeitnot bin. Wenn es stimmen würde, müssten hier mehr Leute so aussehen wie ich.
Die Frau mir gegenüber am hohen Bistro-Tisch vor der Bar hat eine so perfekt verwuschelte Frisur, dass sie entweder viel Geld dafür bezahlt haben muss, oder sie hat die am glücklichsten verwuschelnden Haare der Welt. Sie lächelt mir zu, als sie merkt, dass ich sie anstarre, aber nur ganz kurz, und dann blickt sie wieder auf ihr Weinglas und dann zu der Frau neben ihr, die ihr irgendetwas ins Ohr sagt, das keine Reaktion in ihrem Gesicht auslöst, so als hätte sie es gar nicht gehört. Sie streicht sich immer wieder eine Strähne hinter das linke Ohr, die dort in Wahrheit die ganze Zeit festsitzt. Eine nervöse Geste, und sie fällt mir nur auf, weil meine Schwester neben mir schon seit zehn Minuten unbewusst mit dem Finger gegen ihr Weinglas klopft. Wenn man genau hinsieht, dann sind alle anwesenden Frauen nervös, und man möchte sofort Schriftsteller werden, wenn man das sieht.
Später im Saal, als er wirklich vorn auf der Bühne sitzt und Fragen beantwortet, kauern sie auf den vordersten Stuhlkanten und wiehern bei jeder noch so vorsichtig lustig gemeinten Bemerkung des Meisters, als hätten sie nie etwas Komischeres gehört. Sie sind alle verliebt. Und ich kann das verstehen: Er ist wirklich klug und hat einen guten Humor, und sein Buch ist eins, nach dem man sich verstanden fühlt mit all den verworrenen, unangenehmen Gefühlen, von denen man sicher ist, niemand sonst fühlt sie so.
Die Frau mit den glücklichen Haaren sitzt schräg links vor mir und glüht die ganze Zeit. Sie hat ein Buch auf dem Schoß und hält es mit dem Unterarm, zärtlich, wie man ein Kind hält. Das Buch handelt von Unglück und Trauer, und für einen Moment stelle ich mir vor, die Frau wäre meine Frau und sie hielte unser Kind auf dem Schoß und würde glühen, weil sie das Gefühl hat, ich könnte sie verstehen. Dann lacht sie, weil der Schriftsteller etwas Lustiges gesagt haben muss, ein bisschen zu laut, als lachte sie vor allem, damit er es hört und glücklich ist. Ich wünsche mir, dass das einer für sie tut: Ihr zeigt, dass sie glücklich sein darf. Weil sie ist, wie sie ist.