Tupoka Ogette ist Anti-Rassismus-Coach und besucht viele Unternehmen, um Offenheit und Toleranz voranzubringen. Doch ein Problem unserer Gesellschaft ist, dass das Thema Diversity zu einseitig gesehen wird
Ich lese gerade das Buch "Unter Weißen. Was es heißt, privilegiert zu sein" des ZEIT-Reporters Mohamed Amjahid. Ein persönliches, analytisches, schlaues Buch über Rassismus in Deutschland, auch in der Arbeitswelt. Und besonders in der deutschen Medienwelt, in der man den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund auf maximal drei Prozent schätzt. Das Buch hat mich zum Nachdenken gebracht: Haben wir als Frauen in den letzten Jahren das Thema Diversity zu einseitig gedacht?
Darüber sprach ich mit Tupoka Ogette. Ihr Buch "exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen" ist gerade bei Unrast erschienen, ein sehr empfehlenswertes Arbeitsbuch, mit vielen interaktiven Möglichkeiten. Die Berlinerin ist Trainerin, Coach und Autorin, sie gibt u.a. Antirassismus-Workshops in Firmen.
EMOTION: Was ist Ihre Utopie von Diversity?
Tupoka Ogette: Wir haben es mit einer Wirtschaft zu tun, die sehr männlich und sehr weiß war und ist. Und haben uns dann erstmal darum gekümmert, dass wir mehr Frauen in Entscheidungsprozesse bekommen. Aber Vielfalt trifft viele Aspekte: Wie viele Menschen of Colour sind präsent? Wie viele schwarze Menschen? Wie heteronormativ sind wir? Alle Aspekte, die gesellschaftlich wirksam sind, spielen für mich eine Rolle. Und für mich reicht auch nicht das Vorhandensein von Vielfalt. Der zweite Schritt muss sein, zu klären, welche Machtverhältnisse herrschen, welche Konflikte und Vorurteile gibt es?
Sie schreiben, dass weiße Menschen oft sagen: "Ja, wieso, wir haben doch aber einen schwarzen Mitarbeiter…"
Ja, wenn das stimmen würde, dass Menschen nicht rassistisch sind, nur, weil sie einen schwarzen Freund oder Kollegen haben, dann würde es auch bedeuten, dass heterosexuelle Männer nicht sexistisch sein können, wenn sie verheiratet sind. Wir entscheiden uns nicht bewusst für Rassismus oder Sexismus. Wir wachsen auf und atmen diese Sozialisierungsformen ein.
Sie geben Tipps für einen rassismuskritischen Alltag. Wie könnte man in einer Firma starten?
Der Fisch stinkt vom Kopf her. Das heißt, ich komme vor allem in Firmen, wo die Leitung sagt, wir haben den Anspruch, an den Barrieren in unserem Kopf zu arbeiten. Wenn so eine Stimmung im Unternehmen herrscht, dann öffnen sich Menschen. Das zweite Ziel: Eine Gesprächskultur entwickeln. Denn im Alltag sagen alle: "Nee, ich bin nicht rassistisch und ich will da nicht drüber reden", aber es passiert ständig und dann haben wir diese Kluft, dass wir nicht drüber sprechen. Um das abzubauen, müssen wir sehen: Wo steckt der Teufel? Wie wird Rassismus reproduziert? Im Englischen sagt man: To get comfortable with the uncomfortable. Zum Dritten muss man schauen, wie man strukturell Dinge ändern kann. Facebook z.B. hat alle seine Mitarbeiter zu einem solchen
Workshop geschickt und auch mehrfach. Ja, wir wollen uns auseinandersetzen und das hat was mit Scham und unangenehmen Gefühlen zu tun, aber wir brauchen das. Und im Kontext der Firma darf das nicht so ein Randthema sein, wo man sagt, ach, machen wir doch mal die Genderbeauftragte zur Diversity-Beauftragten.
"exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen" von Tupoka Ogette, Unrast Verlag, 18,80 Euro
Beschäftigen sich denn deutsche Firmen mit dem Thema Rassismus?
Das Thema Diversity ist auf dem Schirm. Firmen haben verstanden, dass Vielfalt im Team eine superwichtige Ressource ist für ihre Wettbewerbsfähigkeit, für Erfolg und positives Arbeiten. Das Thema Rassismus dagegen ist in vielen Kontexten, auch in der Firmenwelt, tabuisiert. Vielfalt wird gerne genommen, der Begriff klingt positiv, aber bei Rassismus haben wir noch einen langen Weg vor uns.
Sie schreiben in Ihrem Buch "Exit Racism", dass weiße Menschen in einem "Happyland" leben. Was meinen Sie damit?
Ja, so hat es der Manager eines Kommunikationsunternehmens genannt. Happyland ist ein Bewusstseinszustand. Menschen, die von Rassismus nicht betroffen sind, sind damit aufgewachsen zu denken: Rassismus ist ganz böse, das verurteilen wir, das ist irgendwie in der rechten Ecke und hat mit mir nichts zu tun. Aber wenn man sich mit Rassismus beschäftigt, merkt man: die Sprache, die ich benutze, ist rassistisch, meine Kinder- und Schulbücher waren rassistisch. Ich kann nicht mehr darin verharren, dass Rassismus nichts mit mir zu tun hat. Dann lebt man nicht mehr im Happyland.
Warum buchen Firmen Sie als Coach?
Verantwortliche stellen fest: Wir haben ja schon Vielfalt und wir haben unterschiedliche Menschen, wir haben sogar Frauen und sogar einen schwarzen Mitarbeiter und trotzdem knirscht es. Niemand will hier rassistisch sein, aber trotzdem ist es so, dass wir von dieser versprochenen Ressource Vielfalt noch nicht profitieren. Woran liegt das? Da komme ich ins Spiel und wir arbeiten gemeinsam daran, herauszufinden, wie tief Rassismus und andere Diskriminierungsformen sitzen. Und was auch Self-fulfilling Prophecy macht.
Wie funktioniert Self-fulfilling Prophecy in diesem Kontext?
Ich hatte mal einen Kunden mit einem arabischen Hintergrund, der erzählte: "Hier sagen immer alle, 'Südländer' seien so emotional. Den ganzen Tag strenge ich mich jetzt an, bloß nicht laut zu werden, bloß nicht zu sicher aufzutreten, nur, damit es nicht heißt, ach, so sind die." Wenn man sich selbst beschneidet, dann kann man nicht aus seinen Vollen schöpfen.
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