Lena Meyer-Landrut ist die Steffi Graf des Pop... und sie ist groß geworden. Wie die Sängerin wirklich ist, erklärt sie am besten selbst. Denn wir haben mit ihr gesprochen.
Man hat keine Wahl: Man wird von Lena Meyer-Landrut, 27, mitgerissen. Von ihrem Witz, der übersprudelt, sobald während des Shootings ein paar Sekunden Zeit sind. Dann pflanzt sie sich auf die Küchentheke der Villa in Cannes, wo sie gerade für L’Oréal Paris auf dem Filmfest als Markenbotschafterin unterwegs ist, und erzählt eine lustige Anekdote. Oder mimt, mit einer Oversize-Brille auf der Nase, "Dr. Hase", inklusive herausblitzender Schneidezähne. Dass sie uns sofort mit "Hallo, ich bin Lena" entgegenspringt, wundert da nicht. Siezen wäre bei Lena einfach seltsam gewesen.
EMOTION: Man kennt dich als fröhliche Leni, die online viel von sich teilt. Neulich hast du dich aber bewusst mal rausgezogen und mit nachdenklichen Posts aus dem Studio zurückgemeldet. Was war los?
Lena Meyer-Landrut: Ich habe Zeit ohne das Insta-Game gebraucht. Ich habe einfach gemerkt, dass wenn ich konzentriert und kreativ arbeiten will, es mal gut ist, keine Ablenkung zu haben. Ich wollte ins Studio und mich ganz auf die Musik fokussieren.
Ich habe für dieses Heft eine Geschichte geschrieben, wie es ist, sich von seinem Handy zu trennen. Der Griff passiert ja völlig automatisiert. Ist dir die Trennung nicht sehr schwergefallen?
Es ist ein totaler Automatismus. Wenn ich vor der Auszeit mal getrackt hätte, wie viel Zeit ich in den Apps verbringe, wären sicher ein paar Stunden zusammengekommen. Jetzt zücke ich nicht mehr sofort das Handy, um aus jedem schönen Moment eine Story zu machen. Ich fotografiere auch weniger, mein Bewusstsein hat sich verändert.
Ich habe so eine angeborene Naivität.
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Und deine neue Nachdenklichkeit?
Es wird gerade so getan, als sei das etwas Negatives, als wäre ich traurig. Im Gegenteil: Mir geht’s megagut! Aber sobald es mal in einem Post etwas mehr ist als "I love the sunshine", wird das sofort als total tiefgründig ausgelegt. Dabei habe ich mich nur entschieden, meine Ge- danken aufzuschreiben. Ich weiß, dass ich immer dann am glücklichsten bin, wenn ich ehrlich bin. Für mich heißt das: impulsiv und authentisch.
Aber ist das nicht das, was sich durch Instagram total verschiebt?
Instagram macht das kaputt, natürlich. Deshalb war es für mich auch gut, zu merken, dass es mir so besser geht. Das heißt aber nicht, dass ich keinen Spaß mehr habe. Ich mag es, gestylt und geschminkt zu werden, auf Veranstaltungen zu gehen und davon Selfies zu posten, das gehört zu mir. Aber ich finde es auch schön, die Leute daran teilhaben zu lassen, was sonst noch in mir vorgeht.
Ich weiß, dass ich immer dann am glücklichsten bin, wenn ich ehrlich bin.
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Du hast Ende 2017 die Veröffentlichung deines Albums verschoben. Kannst du solche Entscheidungen gut treffen?
Ja, ich bin ziemlich gut in Bauchgefühl. Wenn irgendwas nicht geht, dann sträubt sich in mir alles. Eigentlich gut, weil ich mir so immer sicher sein kann. In der Regel bin ich ziemlich klar, was "Ja" und was "Nein" ist. Ich kann dieses ökonomische Businessdenken nur, wenn es sich richtig anfühlt. Geld ist mir aber schon wichtig, weil es Sicherheit bedeutet. Ich komme aus einer Familie, wo die Kohle nicht in der Badewanne lag.
Du hast in einem Interview gesagt, dass der kreative Prozess diesmal anstrengend ist. Kannst du sagen, warum?
Auch das hat mit Authentizität zu tun. Ich habe nach etwas gesucht, was mich erfüllt. Ich wollte nicht einfach was fürs Ansehen oder den Ruhm machen. Wenn man unzufrieden ist, kommen plötzlich so viele Gefühle und Themen hoch. Ich habe mich mit Sachen wie Demut beschäftigt und nehme mir die Zeit, die ich brauche. Das ist wirklich Glück, dass ich das kann. Dass ich so frei sei kann.
Ja, ich bin ziemlich gut in Bauchgefühl.
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Ist es nur Privileg oder auch Druck?
Nein, überhaupt nicht. Wenn man seinem Herzen folgt, wird automatisch das Richtige passieren. Auf der Suche wird man es irgendwann spüren. Manchmal geht es schnell, dann wieder langsam, es ist ein Prozess. Manche erleben die Erleuchtung nach fünf Jahren, manche kommen nach zehn erst an den Punkt, wo ihre eigentliche Reise beginnt. Klingt alles ziemlich reflektiert und im besten Wortsinne selbstbewusst.
Woher kommt das?
Ich war schon immer so. Manchmal kommt man vom Weg ab, wird nach links oder rechts gepustet oder sieht Dinge, von denen man denkt, dass man das machen sollte oder es so sein müsste. Ich lasse mich schon sehr wenig lenken. Dieses Bewusstsein für mich, meine Intuition und das Echte, das habe ich von meiner Mutter mitbekommen. Ich wurde so erzogen und versuche daher selbst, Leute nicht in Schubladen zu stecken.
Hast du das Gefühl, dass es Frauen schwerer gemacht wird, dieses Selbstbewusstsein zu zeigen?
Bei mir heißt es oft, ich sei zickig und arrogant. Manchmal macht es wohl auch mein Ton. Gerade wenn ich unsicher bin und denke, jetzt musst du extrastark sein, kommen Dinge schon mal falsch raus. Aber grundsätzlich glaube ich, dass wir langsam in einer Zeit ankommen, wo alle normal sein können und weniger kämpfen müssen. Dadurch können wir auch gelassener mit unserer Stärke umgehen. Es ist so weit, dass wir sagen können: Nee, das möchte ich nicht!
Manchmal will ich mich auch einfach nur verstecken.
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Aber hast du nicht das Gefühl, dass man dann gleich als zickig gilt?
Klar, nonstop. Aber egal ob Mann oder Frau, man muss sich abgrenzen. Am Ende hilft es nur, direkt und transparent zu sein. Und wenn man sagt: "Das mache ich nicht, weil sich das für mich nicht gut anfühlt, aus den und den Gründen", gibt man dem Gegenüber die Chance es nachzuvollziehen, und die Situation ist erledigt.
Was tust du, wenn du merkst, du kommst beim Songschreiben nicht weiter?
Ich flippe aus. Manchmal will ich mich auch einfach nur verstecken. Aber um ehrlich zu sein, flippe ich regelmäßig aus, ich bin nicht sehr geduldig. Leider habe ich nicht wirklich ein Rezept für solche Phasen, ich geh dann mit Kiwi raus, meinem Hund, lese Bücher oder gucke Serien. Ich liebe es auch, den Kopf auszuschalten und faul zu sein.
Du wirkst so voller Energie. Kannst du das denn überhaupt?
Ich kann das sehr gut! Während der Arbeit im Studio ist es nicht so angesagt, aber sonst ist es ein super Gegenpol. Ich stehe morgens auf, hole den Rechner ins Bett, netflixe, mach mir was zu essen, gehe mit dem Hund raus und wieder zurück ins Bett – schon ist der Tag vorbei.
Mark Forster hat dich die "Steffi Graf des Pop" genannt, du bist quasi deutsches Kulturgut. Hattest du jemals das Gefühl, dass dieser Status dich in deiner Entwicklung ausbremst?
In der Rückschau findet man immer etwas, von dem man sagen kann, das hätte besser laufen können. Das hat doch jeder! Ich glaube, die Dinge passieren so, wie sie passieren sollen. Man muss nur sensibel dafür sein, was mit einem passiert, anstatt mit Scheuklappen rumzulaufen. Wenn etwas schiefgeht, bin ich der Typ, der sagt: "Jot, is passiert, musste halt morgen anders machen." Läuft es dann immer noch nicht, muss man sich fragen, warum. Aber ich bin auch niemand, der sich verleugnet. Man kann von Kim Kardashian halten, was man will, aber es gibt ein Interview, da wird sie nach dem Sex-Video gefragt, und eine ihrer Schwestern sagt: "Darüber reden wir nicht!" Kim aber meint: "Mir ist das nicht peinlich. Ich habe das gemacht, deshalb bin ich überhaupt hier."
Also bei dir war es kein Porno, sondern der ESC.
Mich fragen die Leute immer, ob es mich nicht nervt, "Satellite" zu singen. Nein, es nervt mich überhaupt nicht! Im Gegenteil. Alle können mitsingen und sich immer daran erinnern, was sie an diesem Abend gemacht haben. Für mich war das eine total wichtige, prägende Zeit. "Satellite" war der Anfang von allem.
Um ehrlich zu sein, ich flippe regelmäßig aus, ich bin nicht sehr geduldig.
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Urteilst du auch weniger über andere, weil du weißt, wie sich das anfühlt?
Kann schon sein, dass das eine Konsequenz ist. Aber ich war schon in der Schule kein Kind, das sich nur mit einer bestimmten Gruppe von Leuten umgeben hat. Ich war nie cool und auch nie uncool. Ich war immer dazwischen, mal bei den Coolen dabei und dann habe ich wieder meine Karohose rausgeholt.
Nach der Berlinale empfahl dir eine Redakteurin öffentlich, mehr zu essen und dich zurückhaltender zu kleiden.
Ich versuche immer, mich nicht dazu zu äußern. Aber manchmal tue ich es dann doch, weil ich dieses Magersuchtsthema nicht so im Raum stehen lassen will. Ich kann einfach nicht glauben, dass das immer wieder eine News wert ist. Was mich dabei wirklich stört, ist, dass jüngere Mädchen auf die Idee kommen könnten, das sei ein Thema für mich, und dass sie dem nacheifern müssten.
Ich war nie cool und auch nie uncool. Ich war immer dazwischen.
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Hattest du dadurch je selbst einen komischen Blick auf deinen Körper?
Zero. Ich wiege seit zehn Jahren das Gleiche, plus minus zwei Kilo. Ich bin die Letzte, die Nein zu einem Croissant sagt. Ich bin Genussmensch, mache aber auch viel Sport. Ich mag es, stark zu sein. Ich möchte, dass mein Körper möglichst lange gesund ist und funktioniert.
Wie lange hast du gebraucht, um zu verstehen, dass dein Erfolg nicht nur Glück war?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn ich das wirklich aufdröseln würde, säßen wir noch lang hier. Für mich ist das immer Thema, aber ich versuche, nicht zu viel von mir selbst zu halten. Klar, ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, hatte Glück, und trotzdem ist es nicht aus Versehen passiert. Hätte ich gar nichts damit zu tun gehabt, säße ich heute nicht mehr hier.
Hast du eine Idee von der Welt, in der mal deine Kinder aufwachsen sollen?
Schon, aber ich bin auch jemand, der seine Meinung schnell ändert. Deshalb macht es keinen Sinn, groß Pläne zu machen. Vielleicht bin ich Selbstversorgerin oder unterrichte zu Hause, aber es kann auch ganz anders kommen, da will ich mich jetzt nicht festlegen. Die Fähigkeit sich zu erlauben, sich umzuentscheiden, ist leider nicht sehr deutsch. Dabei lernt man jeden Tag dazu, und es wäre verrückt, das nicht anzuwenden.
Könntest du dir was anderes vorstellen als Musik?
Keine Ahnung, ob ich mit achtzig noch Musik mache oder das jemand hören will. Ich weiß noch nicht mal, was ich nächstes Jahr mache. Wenn Spanien oder Frankreich sagen, wow, wir lieben deine Musik, wir müssen ein Album machen – vielleicht tue ich es dann. Vielleicht floppt es aber auch monströs und ich mache ein Nagelstudio auf.