Bedeutet Berufung gleich Stillstand oder ist es besser, weiterhin ein Nomadenleben zu führen? Das ist die Frage, die sich Franziska Rülke diesmal in ihrer Kolumne stellt.
"Wo ist denn eigentlich...?" "Was suchst du denn jetzt schon wieder?" fragt mein Leben. Ich bin ständig auf der Suche nach etwas: Sinn, Erfüllung, Glück. "Na die Berufung! Die muss doch hier irgendwo sein..." Wir stehen mitten in der Pampa und ich studiere die Landkarte, aber außer ein paar Talenten und Leidenschaften am Wegesrand finde ich nichts. "Bist Du sicher, dass es diesen Ort überhaupt gibt?" fragt mein Leben. "Es muss ihn geben, schließlich erzählen ja immer wieder Leute davon." Ich frage mich, warum mein Leben sich bei der Reiseplanung nie darum gekümmert hat. "Naja, ich dachte, wir finden da schon irgendwie hin." Haben wir aber bisher noch nicht. Wir haben unzählige Wege genommen, sind oft auch querfeldein gelaufen, aber an der Berufung sind wir nie vorbeigekommen.
"Ich habe das Gefühl, dass wir jetzt genug ausprobiert haben, meinst Du nicht?" frage ich. "Unser Lebensweg gleicht einer Serpentine. Wir müssen doch jetzt mal wissen, wo wir hin wollen." "Wir müssen gar nichts" patzt mein Leben zurück.
Auf Nebenstraßen durch die Berufswelt
Ich komme mir mittlerweile vor wie ein Landstreicher, der ohne Ziel durchs Land zieht und überall, wo es ihm gerade gefällt, etwas verweilt. "Aber das waren doch immer ganz schöne Stationen, wo wir so waren" sagt mein Leben. Wir haben uns durch das Land der Berufe etwas treiben lassen, sind nie der Hauptstraße gefolgt, sondern auf Nebenstraßen entlang immer nach dem Motto: Das sieht nett aus, lass uns da lang gehen.
Immer haben wir eine berufliche Bleibe gefunden. Meinem Leben war es dabei immer wichtig, dass das Gefühl und die Leute stimmten, das Feng Shui sozusagen. Ich habe mich stattdessen um die Hard Facts gekümmert wie zum Beispiel den Mietvertrag und ob das Ganze sicher war. Und dann haben wir uns für eine Weile häuslich eingerichtet.
Aber irgendwann wird es meinem Leben in jeder noch so schönen Hütte langweilig. Dann wälzt es sich wie ein bockiges Kind auf dem Boden und brüllt: "Ich will hier nicht mehr bleiben, es ist laaaangweiiiliiiig. Ich will was Neues. Was Spannendes. Und was zum Spielen." "Und Schokolade, ich weiß" ergänze ich dann. Also ziehen wir wieder los, folgen den Hinweisschildern, nehmen interessante Abzweigungen und finden in der nächsten Herberge etwas, was uns die Vorige nicht bieten konnte.
Bedeutet ankommen wirklich Stillstand?
"Ich bereue unseren beruflichen Streifzug nicht" sage ich, "aber ich möchte irgendwann auch mal ankommen". Da lacht mein Leben: "Angekommen sind wir, wenn wir tot sind." "Glaubst du denn nicht, es gibt das eine Haus, in dem man sich so wohlfühlt, dass man nie wieder ausziehen möchte, eines, in dem einfach alles stimmt?" frage ich hoffnungsvoll. "Ich glaube, dass ankommen Stillstand bedeutet. Und ich glaube an die Worte eines gewissen James H. Austin: 'Der Zufall bevorzugt die, die in Bewegung sind'."
Mein Leben redet sich heiß: "Natürlich wäre es bequem, in einer Herberge zu bleiben, die sicher und warm ist und in der man sich einigermaßen wohlfühlt. Aber solange ich weiß, dass der Weg vor der Tür weitergeht, dass es da draußen noch so viel zu entdecken gibt, solange kann ich nicht in meinem Sessel bleiben. Ich brauche die Herausforderung, ich will Berge erklimmen und Täler durchschreiten. Wer weiß, welche spannenden Orte wir noch entdecken, von denen wir vorher gar nichts wussten. Und vielleicht schickt uns der Zufall irgendwann auch zur Berufung."
Ich dachte immer, in unserem Alter sollte man es zu etwas gebracht haben. Und wenn es schon keine eigene Familie ist, dann wenigstens beruflicher Erfolg. "Jetzt kommst du wieder mit diesen belanglosen Floskeln! Wo nimmst du die nur immer her? Aus Frauenzeitschriften, oder was?", mein Leben verdreht die Augen, "Was heißt denn schon Erfolg? Das definierst doch nur du selbst für dich. DU musst zufrieden sein, darum geht's. Du bist die Einzige, vor der du dich rechtfertigen musst. Und außerdem: Solange wir uns auf dieser Reise nur um uns selbst kümmern müssen, weil wir eben keine Kinder im Gepäck haben, sollten wir diese Freiheit doch genießen." Da hat es mal wieder recht.
"Also findest du unser Nomadendasein nicht komisch?" frage ich. "Absolut nicht!", gibt mein Leben zurück, "ich finde, wir sind wenigstens unserem Bauchgefühl treu. Und an jeder Station lernen wir etwas dazu und wir entwickeln uns weiter. Vielleicht ist das ja die Berufung. Der Weg ist das Ziel." Es ist erstaunlich, wie rational mein Leben manchmal sein kann. Und wie forsch: "Jetzt hör auf, auf die Karte zu starren und guck lieber, ob du nicht einen Pfad siehst, auf dem wir unsere Fußstapfen hinterlassen können."
Noch mehr von unserer neuen Kolumnistin Franziska Rülke gibt es auf ihrem Blog zu lesen. Der heißt kontrolliertes Chaos und ist hier zu finden: kontrollierteschaos.com