Fake News – eine Definition, Beispiele, wie du sie erkennst und am besten damit umgehst – all das weiß Autorin Ingrid Brodnig.
Irreführende Informationen, Hetzjagden, Lügen und Propaganda – "Fake News" haben mittlerweile eine zentrale Rolle in den sozialen Medien eingenommen. Aber ein erster Schritt gegen diese Verbreitung von Lügen ist bereits getan. Ende Juni hat der Bundestag das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) beschlossen. Wichtigster Beschluss: Internet-Konzerne müssen härter gegen solche Falsch- und Hass-Meldungen vorgehen. Das Gesetz sieht außerdem vor, dass Facebook, Twitter und Co "Fake News" binnen 24 Stunden löschen, ansonsten drohen den Unternehmen hohe Bußgelder.
Eine Frau, die ebenfalls schon lange Aufklärung in diese Richtung betreibt, ist Ingrid Brodnig. Die österreichische Kolumnistin und Autorin schildert in ihrem aktuellen Buch "Lügen im Netz. Wie Fake News, Populisten und unkontrollierte Technik uns manipulieren", detailliert die Problematik, mit der wir tagtäglich im Netz konfrontiert sind.
EMOTION.DE: Warum erkennen wir Falschmeldungen nicht leichter, sondern halten sie sogar für wahr?
Ingrid Brodnig: Richtig erfolgreiche Falschmeldungen verwenden Feindbilder: Da wird etwas Unwahres über einen Politiker, den ein Teil der Bevölkerung nicht mag, verbreitet oder über Minderheiten, vor denen manche Angst haben. Weil diese Falschmeldungen genau zu den Ängsten, Sorgen oder auch Vorurteilen passen, die Menschen haben, werden sie sehr unreflektiert geteilt. Wir alle sind dafür anfällig, eher auf das hereinzufallen, was uns gut in den Kram passt – und Fälscher können genau solche Meldungen erfinden.
In Ihrem Buch steht der Satz "Angry People click more". Was hat es damit auf sich?
Das ist der zweite, wesentliche Grund, warum Falschmeldungen so gut funktionieren: Sie lösen gezielt Wut aus. Wir wissen aus der Politikwissenschaft, dass Wut eine extrem aktivierende Emotion ist. Politische Werbung, die Wut auslöst, wird auf Facebook mehr als doppelt so oft geklickt verglichen mit neutralen Botschaften. Das fand der Forscher Timothy Ryan heraus. Irreführende Meldungen im Netz sind deswegen so stark sichtbar, weil sie Menschen in Rage und zum Klicken bringen. Emotionalisierende Inhalte erhalten im Schnitt auch mehr Likes. Und dann kommt noch die Technik hinzu. Auf Facebook gilt als Faustregel: Je mehr Likes ein Beitrag auf Facebook hat, desto größer ist Beitragsreichweite. Genau deshalb besteht die Gefahr, dass gerade wütendmachende Beiträge ein Massenpublikum erreichen.
Wir alle sind dafür anfällig, eher auf das hereinzufallen, was uns gut in den Kram passt
Ingrid Brodnig, AutorinTweet
Wodurch entstehen Ihrer Meinung nach falsche Berichte und News und welche Personen stecken dahinter?
Natürlich gibt es Falschmeldungen, die durch journalistische Pannen oder andere Missverständnisse entstehen. Wenn es aber um gezielt irreführende Beiträge geht, dann haben diese zwei Gründe: Profitgier oder Ideologie. In den USA wurden sogenannte Fake News, also komplett erfundene Beiträge, publiziert, damit Menschen auf diese skandalös klingenden Meldungen klicken und die Betreiber dieser Webseiten dann Geld mit Onlinewerbung verdienen. Im deutschsprachigen Raum stammen viele irreführende Meldungen eher von politisch motivierten Seiten, die äußerst tendenziös berichten. Gerade im rechten Spektrum ist eine neue Nische "alternativer Medien" entstanden, die sich bewusst als Gegenmodell zum etablierten Journalismus inszenieren – aber mitunter unseriös berichten.
In Ihrem Buch gibt es viele Beispiele zu politischen Falschmeldungen. Gibt es in Zeiten politischer Umbrüche besonders häufig "Fake News"?
Gute historische Untersuchungen fehlen meines Wissens nach, aber ich kann anekdotisch antworten: Ja, es scheint, als würden Umbruchsphasen besonders viele Gerüchte oder gar Fake News hervorbringen. Nehmen wir das Ende des Kommunismus: In Tschechien startete die Samtene Revolution im Jahr 1989 mit einer Falschmeldung. Es hieß, in Prag sei der Student Martin Šmíd auf einer Demonstration von der Polizei getötet worden. Das stimmte nicht – aber es brachte den Stein ins Rollen und tausende Menschen auf die Straße. Auch hier konnte man sehen, dass auch Falschmeldungen Menschen mobilisieren. Besonders unbehaglich ist außerdem, dass natürlich auch Regime mit Desinformation arbeiten: Gerade in der dunkelsten Phase der deutschen Geschichte, dem Nationalsozialismus, wurden Fake News eingesetzt, um Vorurteile zu schüren und letztlich auch den Genozid an den Juden zu rechtfertigen. Eine der bekanntesten Fälschungen "Die Protokolle der Weisen von Zion" wurde von den Nazis sogar als Unterrichtsmaterial eingeführt. Die Geschichte zeigt, wie ernstzunehmend Falschmeldungen sind.
Wenn es um gezielt irreführende Beiträge geht, haben diese zwei Gründe: Profitgier oder Ideologie.
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In Deutschland wurde vor kurzem das NetzDG beschlossen. Kritiker des Gesetzes sehen die Gefahr einer Einschränkung der Meinungsfreiheit. Teilen Sie diese Sorge?
Die Sorge ist berechtigt, dass es zu einem "Overblocking" kommen könnte: Also dass große Plattformen wie Facebook im Zweifelsfall gemeldete Postings eher löschen, um Geldbußen zu verhindern. Dementsprechend wichtig ist es, dass in nächster Zeit vom Staat evaluiert wird, ob diese Gefahr eingetreten ist. Es gibt aber einige Aspekte des Netzwerkdurchsetzungsgesetz, die ich positiv finde: Zum Beispiel ist es sehr gut, dass Facebook, YouTube und Twitter künftig vier Mal im Jahr Bericht erstatten müssen. Dabei müssen sie kommunizieren, wie viele Kommentare wegen Hassrede ihnen gemeldet worden sind und wie viel Personal sie für die Prüfung dieser Meldung einsetzen. Diese Zahlen legten die IT-Unternehmen bisher nicht offen und es ist gut zu wissen, wie viel sie gegen Verhetzung oder üble Nachrede im Netz tun – beides ist in Deutschland verboten.
Wie erkenne ich am besten irreführende oder sogar falsche Informationen?
Oft werden einem auf Facebook spektakulär klingende Meldungen von Webseiten eingeblendet, die man gar nicht kennt. Wenn man auf so einer Seite landet und sich fragt, ob diese seriös ist, empfiehlt es sich, den Namen dieser Seite zu googeln. Das ist ein total simpler Trick – aber er funktioniert: Gerade bei sehr unseriösen oder einschlägig bekannten Webseiten, wird eine Google-Suche prompt warnende Artikel zum Vorschein bringen. Zweitens ist es wichtig, bei Fotos skeptisch zu sein: Oft nehmen Fälscher uralte Bilder aus dem Netz und behaupten, man würde einen schockierenden aktuellen Vorfall sehen. Unlängst kursierte das Foto einer Frauenleiche auf Facebook, es hieß, darauf sei eine vergewaltigte Flüchtlingshelferin aus Deutschland zu sehen. Das stimmte nicht: Tatsächlich war dieses Bild mehr als sechs Jahre alt und zeigte einen Kriminalfall aus Schweden. Bei solchen Tricksereien mit Bildern kann man folgendes tun: Auf der Google-Bildersuche lassen sich Fotos auch hochladen und die Suchmaschine zeigt einem dann, wo die Aufnahme im Web schon überall aufgetaucht ist. Dabei kommt oft heraus, dass ein Foto schon seit Jahren im Netz kursiert.
Und wie gehe ich dann damit am besten um?
Jeder kann etwas gegen Falschmeldungen tun. Zum Beispiel kann man einen Screenshot (Bildschirmaufnahme) der falschen Behauptung machen und diese selbst auf Facebook posten und genau erklären, warum die Äußerung falsch ist. Außerdem kann man irreführenden Meldungen Faktenchecker-Seiten wie Mimikama.at melden – die berichten über solche Betrügereien im Netz und haben ein großes Publikum. Ein Tipp: Aufklärung funktioniert als Bild besonders gut. Zum Beispiel zeigte eine Untersuchung der Politologen Jason Reifler und Brendan Nyhan, dass Korrekturen stärker wirken, wenn die richtige Information als Grafik gebracht wird. Hat man zum Beispiel neulich in der Zeitung eine spannende Infografik über die Kriminalstatistik gesehen, lohnt es sich, das Bild herauszusuchen und zu posten. Wir Menschen reagieren auf solche Bilder viel eher und verstehen komplexe Inhalte in Grafiken besser. Das kann eben auch der Aufklärung dienen.
3 Tipps, wie du Falschmeldungen besser erkennst
Facebook reagiert auf Fake News, in dem die Link-Vorschau nicht mehr geändert werden kann. Ist das in Ihren Augen eine effektive Maßnahme?
Ein guter Schritt! Das Problem ist nämlich, dass viele Menschen zwar die Überschriften und Vorschau-Texte auf Facebook lesen, aber nicht die Meldung selbst. Und so haben Fälscher dann die Vorschau-Texte von seriösen Meldungen adaptiert und irreführende Behauptungen in der Vorschau verbreitet. Viele User haben nie die Originalmeldung genau durchgelesen und bemerken den Schwindel nicht. Es war auch für etablierte Medien bisher ärgerlich, dass ihre Texte so in ein schiefes Licht gerückt wurden. Diese technische Änderung auf Facebook wird das Problem der Irreführung nicht als Ganzes lösen, aber es verhindert zumindest diese Möglichkeit des Schwindelns.
Was ist sonst noch nötig, um so viele Falschmeldungen zu verhindern?
Es ist wichtig, jene Falschmeldung zu korrigieren, die tatsächlich ein großes Publikum erreichen. Hierfür gibt es Analyse-Tools, die erkennen, wenn ein Artikel im Netz sehr populär wird: Faktenchecker können mithilfe solcher Software rechtzeitig bemerken, dass eine irreführende Information stark gelikt und geteilt wird – und möglichst rasch mit realen Fakten kontern. Wir wissen aus Untersuchungen, dass Faktenchecks wirkungsvoll sind: Eine Studie aus Frankreich zeigte beispielsweise, dass Korrekturen den Wissensstand von Menschen wieder verbessern. Teilnehmer der Untersuchungen bekamen falsche Behauptungen der Rechtspopulistin Marine Le Pen angezeigt und anschließend auch eine offizielle Korrektur. Es zeigte sich: Die Korrektur führte sehr wohl dazu, dass Menschen dann die richtige Information glaubten.