Unsere Arbeit nimmt uns emotional manchmal ganz schön mit. Aber haben extreme Gefühle eigentlich Platz im Job? Ulrike Krasemann, Systemischer Coach und Wirtschaftsmediatorin, ist sich sicher: Wir dürfen uns nicht verstellen.
Wenn in einer Beziehung die Fetzen fliegen, ist das ganz normal. Im Joballtag dagegen haben Gefühle oftmals keinen Platz. Dort dreht sich alles um Zahlen, Umsatz, Präsentationen und Abgabeterminen. Emotionen sind da nur hinderlich. Oder? Coach Ulrike Krasemann ist der Meinung, dass unsere Gefühle zu uns gehören, uns authentisch machen und uns sogar dabei helfen, erfolgreich zu sein.
Wut, Tränen, schlechte Laune – haben solche oder überhaupt Emotionen Ihrer Meinung nach im Job etwas zu suchen?
Wut, Tränen und schlechte Laune sind grundsätzlich ein Indikator für unerfüllte Bedürfnisse. Und da die meisten Menschen nicht wissen, welche Bedürfnisse sie haben – wir laufen ja zu 90 Prozent unbewusst durch den Tag – können sie diese auch nicht sachlich kommunizieren. Das Ende vom Lied ist, dass ihre Botschaft schnell missverstanden wird. Es kommt also irgendwann unweigerlich zu einer Überreaktion. Deshalb ist es essentiell, dass Mitarbeiter, aber besonders Führungskräfte, sich mit sich selbst auseinandersetzen und ihre eigenen Emotionen lesen lernen.
Müssen wir uns verstellen und im Arbeitsumfeld jemand anderes sein als privat?
Auf keinen Fall. Das wäre, wie ein Hirnforscher es mal genannt hat, "kontrollierte Schizophrenie". Als würden wir jeden Tag zur Arbeit gehen und einen Teil unseres Seins, nämlich unseren emotionalen und intuitiven Anteil, zu Hause lassen. Darüber hinaus wäre es doch auch ein volkswirtschaftlicher Wahnsinn, wenn ich als Unternehmen nur 50 Prozent des Mitarbeiterpotentials bekäme. Unser Arbeitsplatz sollte ein Ort sein, wo wir Ganzheit finden.
Noch dazu kann es doch nicht gut sein, sich auf Dauer zu verstellen oder?
Allerdings. Und es ist auch konditionell nicht zu schaffen. Wenn wir immer gegen unsere Werte verstoßen und Dinge tun, die uns nicht gut tun, dann werden wir irgendwann krank. Der Körper geht in die Dekompensation. Das kann Burnout, Depression, Bandscheibenvorfall, Tinnitus oder andere Krankheiten zur Folge haben.
Sie glauben, dass sich mit Empathie und Empfindsamkeit keine Gehaltserhöhung aushandeln lässt. Warum eigentlich nicht?
Meiner Erfahrungen nach haben immer diejenigen, die eine schnelle Lösung parat hatten, die Gehaltserhöhung bekommen, nicht die empathischen und empfindsamen Kollegen. Mittlerweile weiß ich allerdings, dass jeder auf seine Art an sich zweifelt, ängstlich oder verletzbar ist. Wenn wir diesen Teil verdrängen, verlieren wir den Kontakt zu unserem wahren Wesenskern und dazu, was uns wirklich wichtig ist. Wenn wir das über Jahre praktizieren und uns nicht um unser Innerstes kümmern, wehrt sich unser Körper und wir bekommen – wie bereits angesprochen – irgendwann ein extremes körperliches Signal.
Welche Gefühle sind es dann, die uns helfen, mehr Geld zu verdienen?
Wenn ich es schaffe, mich in meiner Ganzheit einzubringen, mit all meinen Fähigkeiten, dann schaffe ich einen Mehrwert für das Unternehmen und werde mit Bestimmtheit auch mehr Geld verdienen! Aber: Um authentisch zu werden, muss ich erst einmal rausfinden, wer ich bin und wofür ich stehe.
Authentizität im Job – ist das überhaupt möglich?
Definitiv! Authentizität bedeutet ja nur, dass ich klar bin in dem, was ich will und was ich nicht will. Dann sollte ich in der Lage sein, so zu kommunizieren, dass mich mein Umfeld versteht. Letzteres ist besonders herausfordernd und braucht Bewusstheit, Entschlossenheit und etwas Übung.
Wie lässt sich der ideale Mitarbeiter – aus Sicht eines Chefs – beschreiben? Sachlich, effektiv und immer gut gelaunt?
Das klingt eher nach einem Roboter (lacht). Nein, ich glaube der ideale Mitarbeiter denkt differenziert. Er ist nicht angepasst, sondern handelt autark. Es geht vielmehr um Bewusstheit. Das kann auch mal bedeuten, dass der Mitarbeiter unbequem wird, weil er sieht, dass die angedachte Lösung zwar die Schnellste, aber nicht die Beste im Sinne des Ergebnisses ist. Und es geht um Selbstverantwortung. Denn wir können ja bekanntlich nicht die anderen ändern, sondern nur uns selbst.
Ihr Rat zum Schluss: Wie gehe ich am besten mit Emotionen im Beruf um?
Wenn etwas passiert, was Dich innerlich aufwühlt, ärgert oder verletzt, dann würde ich Folgendes raten:
1. Am besten erst einmal nichts tun. Das ist nicht ganz leicht auszuhalten, ist aber nützlicher als einen Konflikt durch eine emotionale Antwort-E-Mail weiter anzuzünden.
2. Pause machen, vor die Tür gehen, frische Luft schnappen. Einmal bewusst atmen, damit wieder Leben ins Hirn kommt. Denn Stress lähmt unser Denken.
3. Sich bewusstmachen, dass der Konfliktpartner auch einen Kontext hat, den ich nicht in seiner ganzen Tragweite kenne.
4. Persönliches Gespräch suchen. Das Ziel ist es, den Kontext zu erfragen, um sich anzunähern und wieder eine gute Beziehung herzustellen. Aber Vorsicht vor Fettnäpfchen! Wir neigen oft dazu, Recht haben zu wollen. Also: Aufrichtiges Interesse zeigen, Fragen stellen und den anderen zu Wort kommen lassen.
Ulrike Krasemann ist Systemischer Coach und Wirtschaftsmediatorin. Sie hat über 20 Jahre lang als Projektleiterin und Marketing-Beraterin auf Agentur-, Verlags- und Unternehmensseite gearbeitet. Diese Erfahrung hilft ihr dabei, sich in Situationen hinein zu denken. Als Coach begleitet sie Frauen in Führungspositionen. Mehr Informationen findest Du unter www.ulrikekrasemann.de