Wie ködert man eigentlich das Glück? Das fragt sich nicht nur unsere Kolumnistin sondern auch viele andere, die auf der Jagd nach dem Glück sind
“Schau mal, wir sind zu einer Jagdgesellschaft auf einem edlen Landgut eingeladen“ überraschte ich mein Leben letzthin. “Na super, wo wir ja ein großer Fan davon sind, wehrlosen Tieren hinterherzujagen“, mein Leben schien nicht so begeistert. “Nein, nein, bei dieser Jagd geht es um etwas anderes“, erklärte ich, “es ist die Jagd nach dem Glück.“
Eine solche Gelegenheit darf man sich natürlich nicht entgehen lassen! Ich sah mich schon mit einer Trophäe aus unendlichem Glück zurückkehren. Ob das Glück wohl ein Geweih hat?, fragte ich mich, und ob man es auch köpfte, damit man es dann dekorativ über den Kamin hängen kann?
Mit einer Mischung aus Gespanntheit und Vorfreude kamen wir auf dem Landgut an und waren erstmal mächtig beeindruckt. Auf einem riesigen Areal aus Gutshaus und Garten und Stallungen tummelten sich schon Leute von Rang und Namen, allesamt mondän gekleidet und mit einem Sektkelch in der Hand. “Mein lieber Herr Gesangsverein!“, staunte mein Leben, “das ist ja wie auf einem Fürstenhof!“ Ich nahm mir gleich mal ein Häppchen vom dekadenten Büffet und blickte auf das Programm: '15 Uhr Happy Aperitif, 16 Uhr Beginn der Lauerjagd.'
“Die Jagd nach dem Glück ist also eine Lauerjagd“, sagte ich und mein Leben überlegte: "Heißt das, wir müssen uns dann irgendwo auf die Lauer legen, um die nichtsahnende Beute, also das Glück, dann in einem Überraschungsmoment zu überwältigen?“ “Ich glaube ja.“ “Aber“, mein Leben betrachtete die umstehende Jagdgesellschaft in ihren steifen Anzügen und bunten Kleidchen, “die sehen alle nicht so aus, als hätten sie Tarnkleidung an.“ “Wer weiß worauf das Glück so anspringt,“ gab ich zu bedenken. “Und was ist mit Ködern?“, fragte mein Leben, “haben wir Regenwürmer dabei?“ “So ein Quatsch!“ lachte ich, “Regenwürmer! Das Glück zieht man doch mit diesen Dingen hier an.“ Ich holte ein Hufeisen, ein vierblättriges Kleeblatt und einen Marienkäfer aus meiner Handtasche. "Der Schornsteinfeger hat wohl nicht mehr reingepasst, was?“, frotzelte mein Leben.
Die Jagd nach dem Glück ist eröffnet
Da ertönte das dumpfe Tröten des Jagdhorns und ein Herr im Frack eröffnete die Jagd: “Meine Damen und Herren, bitte nehmen sie sich nun einen Köder ihrer Wahl aus den bereitgestellten Töpfen und suchen sie sich damit ein entsprechendes Plätzchen hier in unserem wunderbaren Lounge-Bereich. Und seien sie unbesorgt, zwischendurch wird unser Personal sie weiter mit Sekt und Häppchen versorgen.“ Die Menge setzte sich fröhlich schnatternd in Bewegung, bis sie sich vor den Köder-Töpfen wieder staute. Erst da sahen wir, um was für Köder es sich handelte. Die Damen staksten vorrangig zu den Behältern mit 'Shopping/Konsum' sowie 'Selbstoptimierung', während die Männer öfter bei 'Statussymbolen', 'Geld' und 'Macht' zugriffen. Dabei tauschten sie sich über ihre neuesten Errungenschaften aus, zeigten sich stolz Bilder ihrer Autos, Yachten und Häuser oder begutachteten die teuer erstandenen Schuhe und Kleidchen. Die etwas kleineren Behälter mit Natur, Dankbarkeit und Liebe blieben unangetastet. Dann setzten sie sich auf die im Garten verteilten Loungemöbel, legten ihren Köder in die danebenstehende Falle und orderten einen weiteren Aperol.
Mein Leben und ich hatten uns mit unseren Glücks-Devotionalien in eine Blumenwiese am Rand gesetzt und beobachteten das Spektakel aus der Ferne. So ganz geheuer war uns diese Jagd nach dem Glück mittlerweile nicht mehr. Da saßen sie nun alle auf ihren Lounge-Inseln, jeder für sich, und warteten auf das Glück. Doch das Glück kam nicht. Manchmal schreckte jemand auf und griff freudig zur Falle, doch da war nichts. Er hatte wohl nur das vermeintliche Glück gesehen. Nach einer Weile begannen die ersten, auf die Inseln der Nachbarn zu schielen. Man konnte sehen, wie sie an ihren eigenen Ködern zweifelten und mit Neid auf die Köder der anderen blickten. Manche standen genervt auf und holten sich weitere Köder dazu, stellten also mehrere Fallen gleichzeitig auf. Da wollten die anderen natürlich mithalten. So begannen sie, sich gegenseitig zu übertrumpfen. “Von so einer Unruhe würde ich als Glück mich lieber fernhalten“, sagte mein Leben und legte sich rücklings ins Gras. Wir schauten den Wolken beim Fliegen zu und lauschten dem Summ- und Brummkonzert der umherschwirrenden Insekten, während uns die Sonne den Bauch wärmte. War das nicht auch schon Glück, fragte ich mich gerade, als uns jemand antippte.
Das wahre Glück
Wir drehten uns um. Da stand jemand, oder besser etwas. Eine Art Buddha, ein riesiger Wonneproppen mit einer sonnigen Aura, der aber entgegen seiner Statur eine enorme Leichtigkeit und eine beruhigende Zufriedenheit ausstrahlte. Mir wurde warm ums Herz. Er lächelte uns an und sagte mit Blick auf die Jagdgesellschaft: “Sie versuchen es immer wieder. Aber ich bin doch keine Beute. Also, bevor das hier zu einer Hetzjagd wird, kommt mal mit!“ Dann gab er uns zu verstehen, ihm Richtung Gutshaus zu folgen, “Aber unauffällig!“. Mein Leben schaute mich an, ich zuckte mit den Schultern und dann taten wir, wie uns geheißen. “Ich glaube, das ist das Glück“, flüsterte mein Leben mir aufgeregt zu, während wir hinter den Hecken entlangschlichen. Ich hätte nie gedacht, dass ich dem Glück mal unauffällig folgen würde.
An der Nordseite des Gutshauses führte eine schmale Treppe hinunter zu einer kleinen, modrigen Holztür. Am Griff hing ein Schild: “Leid und Bedürfnisse müssen leider draussen bleiben“ stand da in krakeliger Schrift. Dann führte uns das Glück hinein in das, was früher wohl mal die Räume der Bediensteten waren. Plötzlich fanden wir uns mitten in einer ausgelassenen Party wieder. Man hörte Lachen, Jauchzen und Pfeifen, Leute tanzten, Gläser klirrten. Es ging zu wie auf einer griechischen Hochzeit. Jeder, an dem wir vorbei gingen, strahlte uns an oder umarmte uns sogar. Es war eine unglaublich herzliche Atmosphäre. Das Glück geleitete uns direkt zur Bar. “Happy Hour“, sagte es, “alle Getränke gehen aufs Haus.“ Die Karte war überschaubar und bestand nur aus Glückscocktails: Dopamin, Serotonin, Oxytocin. Der Barkeeper drückte uns ein Glas in die Hand und das Glück prostete uns zu “Schön, dass ihr da seid!“. Ich nahm einen kräftigen Schluck und schaute mich um. “Übrigens“, sagte das Glück, “vergleichen ist hier unten verpönt. Hier zählt nicht, was du bist oder was du hast, sondern was du denkst.“ Plötzlich begann die Menge auf der Tanzfläche zu johlen und zu klatschen. Sie gruppierte sich um einen Tänzer, der in der Mitte der Tanzfläche einen wilden Breakdance hinlegte. Das Glück begann herzhaft zu lachen und klärte uns auf: “Das ist die Gesundheit, die dreht immer voll auf, wenn ich in ihrer Nähe bin.“ Ja, so tanzt man, wenn man glücklich ist, dachte ich und merkte, wie meine Beine im Takt der Musik zu wippen begannen. Ob die Cocktails schon wirkten?
“Ich freue mich immer so, wenn meine Freunde eine Party für mich veranstalten“, erzählte das Glück, “da komme ich einfach gern. Auch ohne Köder.“ Wir verstanden sofort. “Ich werde euch mal allen vorstellen.“ Und so nahm uns das Glück ins Schlepptau und steuerte durch das Getümmel. “Ich mag es ja, wenn ordentlich was los ist“, sagte es und tanzte im Vorbeigehen mit den Umherstehenden, wobei seine füllige Mitte mächtig in Wallung geriet. Nach und nach lernten wir nun die Freunde kennen, mit denen sich das Glück also gerne abgab: da war der Sport, die Selbstbestimmung und der Sex, wir machten außerdem Bekanntschaft mit dem Sinn, der ausfüllenden Beschäftigung und einem Typen namens Flow, den wir aber nicht stören wollten, weil er gerade so in einer Sache versunken war. Um das Catering kümmerte sich die gesunde Ernährung und in einer kleinen Seitennische saß die Entspannung, die uns auf eine kurze Meditation einlud. Außerdem tummelten sich noch die Dankbarkeit, die Natur und einige funktionierende soziale Beziehungen auf der Party. Alle schienen auf ihre Art eine besondere Beziehung zum Glück zu haben und man merkte sofort, wie gut sie sich verstanden.
Am Ende der Tour warfen wir noch einen Blick in einen winzigen Nebenraum, in dem eine Art Privatparty “Das ist die Fete für das kleine Glück“, sagte das große Glück, “da sind dann so Gäste wie ein Bad im Meer, ein Blumenstrauß, das Lächeln, usw.“ Auch hier war die Stimmung ausgelassen, wenn auch etwas gemäßigter. Die Cocktails hatten inzwischen ihre volle Wirkung entfaltet und wir tanzten selbstvergessen mit der Menge in einem Gefühl von völliger Zufriedenheit und Zeitlosigkeit. Es hätte ewig so weitergehen können, doch irgendwann merkten wir, wie sich der Raum langsam leerte. Das Glück kam mit einem verständnisvollen Lächeln auf uns zu und führte uns zur Tür. “Das Gehirn ist nicht dafür gemacht, dauernd glücklich zu sein. Das würde dazu führen, dass ihr verhungert. Das wäre doch schade. Also hat jede Party mal ein Ende. Aber die nächste kommt bestimmt!“, sagte das Glück und drückte uns zum Abschied grinsend einen Glückskeks in die Hand. “Happy Heimweg! Und denkt daran, es kommt immer auf die Gäste an!“, rief uns das Glück nach und schloss die alte Tür.
Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.
Erasmus von RotterdamTweet
Mein Leben und ich waren noch etwas trunken von Glückseligkeit, wir hatten bestimmt drei Promille und lächelten grundlos vor uns hin. Da sahen wir, dass draußen im Park die Jagdgesellschaft noch immer auf ihren Lounge-Inseln saß und wartete. Allerdings hatten sie jeglichen Glamour verloren. Stattdessen wirkten sie zutiefst frustriert, einige tigerten herum und traten wütend gegen ihre Fallen, andere hatten ihren Frust im Prosecco ertränkt, wieder andere pöbelten das Personal an und schimpften auf den Veranstalter. Den malerischen Sonnenuntergang bemerkte niemand. Ohne uns abzusprechen, wussten wir, was zu tun war. Wir gingen auf sie zu, mein Leben räusperte sich und rief lautstark in einem Ton höchster Seriosität: “Also wenn sie das Glück suchen, das lag da gerade eben noch auf dem Rücken der Pferde.“ Mein Leben hob den Finger und zeigte Richtung Stallungen. Alle Blicke folgten dem Finger. Es herrschte totale Stille. Plötzlich sprang der erste auf und lief wie von der Tarantel gestochen los. Keine zwei Sekunden später war die ganze Meute in Bewegung. Die Hetzjagd nach dem Glück hatte begonnen. Als alle weg waren, nahmen wir uns genüsslich noch ein Häppchen vom Tablett. Mein Leben zog einen Flachmann aus der Tasche. “Ich hab uns ein bisschen was von den Glückscocktails abgefüllt“, sagte es schelmisch und prostete mir zu. “Na so ein Glück!“, grinste ich.
Noch mehr von unserer Kolumnistin Franziska Rülke gibt es auf ihrem Blog zu lesen. Der heißt "Kontrolliertes Chaos" und ist hier zu finden: kontrollierteschaos.com. Und Sie können jetzt auch Fan auf Facebook von ihr werden.