Body-Positivity statt Body-Hate: Zu Beginn des Jahres ist er bei vielen besonders schlimm. Nicht mehr bei unserer Autorin, die neuerdings lieber auf ihre innere Stimme hört und sich okay findet.
Der beste Zeitpunkt für Body Positivity: Januar!
Jedes Jahr im Januar fühlen wir uns verlässlich fett, unsportlich ungesund - sogar wenn sich Weihnachten auf der Waage gar nicht wirklich nachweisen lässt. Auch Rike Drust hat dann immer gelitten - doch neuerdings ist alles anders geworden...
Früher: Gesundheit? Egal, hauptsache dünn!
Früher um diese Zeit fand ich mich hässlich und fett. Früher um diese Zeit bereute ich, dass ich in den vorherigen Wochen alles gegessen hatte, was eigentlich verboten war. Das Männchen in meinem Hinterstübchen hatte sich auch einiges einverleibt, aber leider ausschließlich Bewertungen über meinen Körper und Anforderungen aus Beauty-Magazinen. Zu Jahresbeginn brüllte es deshalb noch lauter als sonst: "Jetzt wird es höchste Zeit für die Bikinifigur, du fette Schnecke!" Das Männchen brüllte selbst, als ich zehn Kilo weniger wog. Damals war ich auch nach der Weihnachtsschlemmerei noch dünn, fand mich aber trotzdem zu dick. Sofort aß ich weniger, also richtig wenig, und um den Hunger zu kompensieren, rauchte ich mehr, also richtig viel. Dass das nicht gesund war, war mir total egal, hauptsache dünn.
Heute: Gewicht egal, hauptsache gesund!
Heute ist es umgekehrt: Mir ist egal, ob ich dünn bin, Hauptsache, ich bin gesund. In puncto Ernährung und Lebensweise richte ich mich nun nach meiner inneren Stimme und nicht mehr nach den von Beauty-Magazinen kreierten Jahreszeiten. Für mich ist der Dezember kein Cheat-Monat, in dem ich mir die Dominosteine reinhaue wie Erbsen. Für mich ist von Januar bis Juni nicht die Zeit, in der ich mich in den Bikini hungere, um von Juli bis November zu versuchen, mein Gewicht zu halten, beziehungsweise zu trainieren, um bloß nicht skinny fat zu werden.
Ich tue, was meine innere Stimme mir sagt
Ich mache inzwischen das ganze Jahr, was meine innere Stimme mir sagt. Das klingt meist wie: "Iss mal und merk selber, was das Essen so mit dir macht." Selber merken fällt mir viel leichter, als zu machen, was andere vorschreiben. Dann versuche ich nicht mehr, tagsüber so wenig wie möglich zu essen, während ich die ganze Zeit an Essen denke, was dazu führt, dass ich kurz vorm Abendbrot vorm Kühlschrank stehe und alles Mögliche in mich reinstopfe (und beim Abendbrot ebenfalls reinhaue, weil dann ist es ja eh egal).
Mein Körper merkt, was ihm guttut
Wenn es aber keine Regeln gibt, wegen deren Nichteinhaltung ich mich schlecht fühlen kann, sondern nur einen Körper, der genau merkt, was ihm guttut, dann wühle ich mir eben nicht mehr die ganze Tafel Schokolade rein, sondern nur ein paar Stücke. Und seit ich Sport mache, um gesund zu bleiben, und nicht mehr, um dünn zu werden, hample ich keinen Fitnessmenschen mehr hinterher, die mir entgegenpowern, dass Training erst effektiv wird, wenn es wehtut. Mein derzeitiger Lieblingssport ist ausführliches Spazierengehen. Klingt vielleicht langweilig, ist aber voll herrlich.
Body Positivity heißt: Dem eigenen Körper gegenüber entspannt sein
Wie gern würde ich jetzt verraten, wie ich zu dieser Einstellung gekommen bin, aber ich weiß es selbst nicht genau. Vielleicht hat es sich mit den Kindern und dem Älterwerden eingeschlichen. Ich weiß, dass ich vor Kurzem nackt vorm Spiegel stand und mich wunderte, dass ich nicht mehr automatisch meinen Körper kritisierte. Mein früheres Ich hätte bei meinem jetzigen Anblick hektisch in eine Tüte geatmet.
Unser Lesetipp zum Thema vorzeitige Wechseljahre:
Frühe Wechseljahre können hart sein. Nicht nur die richtige Therapie kann helfen, auch ein positiver Umgang damit hilft.
Mein Leben heute: viel schöner!
Mein heutiges sieht die zehn Kilo mehr, den Bauch, in dem sich zwei Kinder breitgemacht haben, und die Haut, die auch schon mal straffer war, aber es sieht keine Fehler, sondern eine okaye Frau. Mein Leben ist viel schöner geworden, seit ich keinem Gewichtsziel mehr hinterherhungere und dauerfrustriert bin, weil ich es nicht erreiche.
Ich bin jetzt die Frau, die sich okay findet
Diäten und Ernährungstrends ignoriere ich, weil ich mich schöner und gesünder finde, wenn ich auf meine innere Stimme höre. Ich weiß übrigens, dass es sich um meine innere Stimme handelt, weil keines der Beauty-Magazine jemals zu mir sagen würde: Du bist okay. Die würden tausend optimierbare Dinge an mir finden. Ich bin jetzt die Frau, die sich okay findet. Die Gemüse mag und zu Kale weiter Grünkohl sagt. Die sich über ein Kompliment für ihr großes Blutbild genauso freut wie über eines für ihr Aussehen. Die zu Jahresbeginn dem Männchen im Hinterstübchen den Fuckfinger zeigt und dann in wenigen Sekunden die Bikinifigur erreicht. Weil sie den Bikini einfach anzieht.
Rike Drust lebt in Hamburg und schreibt Bücher ("Muttergefühle").