Wegen zu hoher Ansprüche und Angst vor Herzschmerz an der Beziehungsfront gleich ausgemustert? Das kann unserer Kolumnistin Franziska Rülke nicht akzeptieren
Letztens war es soweit. Ich wurde zur Beziehungs-Musterung einberufen. Man wollte prüfen, warum ich meinen Dienst an der Beziehung noch nicht angetreten hatte. Diese allgemeine Beziehungspflicht scheint mir ja mittlerweile doch etwas veraltet und sollte meiner Meinung nach abgeschafft werden, aber offensichtlich geht man immernoch davon aus, dass ein Mensch ohne Partner nicht gefechtsfähig sei. Also wollten sie mal checken, was denn mit mir nicht stimmte.
Erste Runde: Diagnose "Bindungsangst"
Ich musste meinen Liebes-Lebenslauf mitbringen und einen psychologischen Eignungstest ausfüllen. Dann saß ich einem steifen Herrn im grauen Anzug gegenüber, der die Ergebnisse durch seine schmale Brille begutachtete und nebenbei seine hässliche Krawatte glatt strich. Er säuselte lesend vor sich hin: “Ah ja, ich sehe schon, sehr lange Single, Wunsch nach Unabhängigkeit, mangelnde Kompromissbereitschaft, Angst vor Kontrollverlust, Unverbindlichkeit, hohe Ansprüche, Angst vor Verletzung. Das ist eindeutig.“ Er nahm einen enormen Stempel von seinem Schreibtisch und drückte ihn auf die erste Seite meiner Akte: "Sie sind untauglich", stellte er in kühlem Ton fest und legte meine Akte beiseite. Ich protestierte: “Wie bitte? Sie wollen mich ausmustern? Einfach so?“ “Ihre Symptome sind unzweideutig. Sie haben Bindungsangst.“ “Und woran genau machen sie das fest?“, wollte ich wissen, denn die Methoden hier schienen mir etwas dubios. “Nun, ihrem Liebes-Lebenslauf entnehme ich, dass sie bis auf einige Affären noch keine feste Beziehung hatten.“ “Ach“, hakte ich ein “und eine Beziehung zu einem vergebenen Mann ist also keine Beziehung, oder wie?“ “Nein, das zählt nicht,“ gab der Experte in Grau zurück, “vielmehr ist das ein weiteres Zeichen dafür, dass sie sich nicht wirklich binden wollen.“ “Ich glaub' ich spinne“, dachte ich und fragte etwas süffisant: “Achso", wie nennen wir das dann? Ein wechselseitiges Verhältnis?“ Er ignorierte meine Anspielung: “Sie können und wollen sich nicht festlegen, das ist in ihrem Test deutlich geworden.“ “Hören sie mal, ich kann mich nicht mal festlegen, wenn ich ein Stück Butter oder eine Packung Kekse kaufen will. Und da habe ich wenigstens etwas zur Auswahl“ echauffierte ich mich." Er blieb unbeeindruckt: “Sie sind nicht die Einzige mit zu hohen Ansprüchen. Das ist ein allgemein bekanntes Problem, diese ewige Suche nach dem Besten. Das wird vielen zum Verhängnis.“
Zweite Runde: Aufgeben ist keine Alternative
Ich gab noch nicht auf: “Wieso tun eigentlich immer alle so, als ob täglich vor der Tür eine Palette mit Männern stünde, bei denen man an allen etwas auszusetzen hat. Dem ist nicht so. Bevor ich mich also für oder gegen etwas entscheiden kann, muss es erstmal vorhanden sein.“ “Das mag sein“, gab der steife Herr steif zurück und strich sich wieder über die Krawatte. Langsam bekam ich das Gefühl, sie hatten mir hier einen Roboter vor die Nase gesetzt. “Sie lassen ja aus Angst vor Verletzung erst gar niemanden an sich heran“, floskelte er weiter. Ich wurde latent aggressiv: “Angst vor Verletzung? Jeder Mensch hat doch Angst vor Verletzung! Oder würde Sie es etwa erheitern, wenn ich Ihnen mal eben das Herz aus der Brust riss?“ fragte ich ihn und dachte gleichzeitig “Wahrscheinlich hast du gar keins, du Korinthenkacker.“ “Und bevor Sie jetzt noch nach Gründen in meiner Kindheit suchen“, fuhr ich fort, “ich hatte eine glückliche Kindheit, mir hat es nie an Liebe und Fürsorge gemangelt, also sparen Sie sich die Frage.“ Er schaute mich pikiert an. Aber ich war noch nicht fertig: “Sie bescheinigen mir also Beziehungsunfähigkeit, weil mir noch niemand begegnet ist, für den ich mein Single-Dasein aufgeben würde. Da hätte ich dann jetzt mal eine Frage. Was ist mit den Menschen, die in einer Beziehung leben, nur, um nicht allein sein zu müssen. Oder die, die sich die ganze Zeit streiten und sich das Leben gegenseitig zur Hölle machen, sind die beziehungsfähiger?“ Stille. Er saß noch immer stocksteif auf seinem Stuhl. Nur seine Hand verriet eine gewisse Unruhe, denn statt die Krawatte zu streicheln, fummelte er nun nervös mit den Fingerspitzen daran herum.
Dritte Runde: Ich bin nicht Beziehungsunfähig!
Ich begann, Spaß an der Sache zu finden: “Ich werd' ihnen jetzt mal was sagen. Etwas, was ihr verbeamtetes Spatzenhirn anscheinend noch nicht bedacht hat und was ihre dämlichen Küchenpsychologie-Tests nicht gemessen haben“, ich holte tief Luft und knallte ihm die Wahrheit auf den Tisch: “Ich kann gar nicht beziehungsunfähig sein, denn ich habe Beziehungen zu sehr vielen Menschen. Gute sogar. Ich habe eine wunderbare Beziehung zu meiner Familie. Ich habe herzliche Beziehungen zu lustigen Menschen, die ich Freunde nenne. Freunde, die mir zuhören und mir ihr Herz ausschütten, Freunde, die sich freuen, wenn ich nach langer Reise wiederkomme und mich mit Blumen vom Flughafen abholen, Freunde, die sich um mich kümmern, wenn ich krank bin und Freunde, die mit mir mit der Zahnbürste in der Hand “Ti amo“ im Badezimmer grölen. Ich habe dauerhafte und erfüllende Beziehungen zu Menschen in weit entfernten Städten, ja sogar auf anderen Kontinenten. Und stellen sie sich vor, ich habe sogar eine Beziehung zu meinen Topfpflanzen.“ Ich erhob mich von meinem Stuhl und baute mich vor seinem Schreibtisch auf. “All diesen Menschen gegenüber habe ich mich geöffnet, zu denen habe ich Vertrauen, da lasse ich Nähe zu, auf die habe ich mich festgelegt.“
Ich starrte ihn an und hatte das Gefühl, er wurde etwas kleiner in seinem Stuhl. “Die Beziehung zu meiner besten Freundin hält übrigens seit 30 Jahren. Also erzählen sie mir nicht, ich sei beziehungsunfähig!“, schnauzte ich heraus. Dann sah ich meine Akte, nahm sie in die Hand und zerriss sie vor seinen Augen. “Wissen sie was ich glaube? Ich glaube, die einzige Beziehung, die sie jemals hatten, ist die zu ihrer Krawatte. Und die sollten sie auch mal ausmustern.“ Mit diesen Worten dreht ich mich um, ging erhobenen Hauptes zur Tür und schaute ihn noch ein letztes mal mit einem zufriedenen Grinsen an: “Schönen Tag noch.“
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