Was passiert, wenn ein Sturm durchs Leben fegt und mal eben die Gefühle entwurzelt, weiß Michalis Pantelouris ziemlich gut. Was ihm seitdem ziemlich klar geworden ist: Er will eigentlich wieder Wurzeln schlagen
Für einen Moment wusste ich wirklich nicht mehr, wo ich war. Es war der dritte Flughafen in zwei Tagen, und ich rief einen Freund an von der Liste der Menschen, die ich längst hätte zurückrufen müssen. Als er mich fragte, wo ich bin, musste ich nachdenken. "Ich stehe am Flughafen in ..." Ich blickte mich um nach einem Schild, wie man es auf Bahnhöfen finden würde, aber stattdessen sah ich überall Monitore mit Städtenamen von Zielen, zu denen Menschen gleich abreisen würden. Es waren nur Sekunden, bis es mir einfiel – ich war in Zürich und auf dem Weg nach Berlin, von ZRH nach TXL –, aber in diesen Sekunden war ich verloren, allein irgendwo auf dem Planeten.
Es heißt, wenn man vergisst, wo man herkommt, wird man nie den Weg finden dahin, wo man sein will. Und ich glaube, das stimmt. In diesem Moment wünschte ich mir nichts mehr als eine Rettungsleine, eine Verbindung zu einem Menschen, der mich verorten würde, einfach nur, weil er irgendwo ist und mir meinen Platz in der Welt zeigt, weil mein Platz in der Welt in jedem Moment relativ ist zu seinem. Ich wünsche mir das, was nur Liebe kann. Du kannst allein sein unter tausend Menschen, aber niemals, wenn dein Handy in der Tasche vibriert mit einer Nachricht, in der steht: Ich vermiss' dich. Und dann lächelst du, allein unter tausend, und denkst: Egal wie lange es dauert, ich komme zurück nach Hause zu dir.
Während es wahrscheinlich die größte Aufgabe im Leben ist, mit sich selbst klarzukommen, fühlt es sich für mich manchmal an, als wäre das der Versuch, gesund zu sterben: Mit mir im Reinen sterbe ich vielleicht glücklich, aber ich will doch all das Wilde, Gefährliche, Zärtliche, das es allein gar nicht gibt. Ich sehe vollkommen ein, dass es irgendwie vernünftig ist, gesund und ausgeglichen zu sein. Aber es ist nicht, was man sagen will, wenn man zurückblickt auf das, was man gelebt hat: Das war schon alles sehr vernünftig. Sondern lieber: Ich war jeden Tag meines Lebens verrückt nach dir.
Während des Fluges servierten sie Kirschrollen, Kaffee und eine winzige Tafel Schokolade, während ich mich fragte, wer gerade tausend Kilometer in einer fliegenden Röhre zurücklegte, um seinen einen Menschen im Arm zu halten, der ihm die Rettungsleine ist, der eine fixe Punkt auf der großen Kugel, auf der man ewig weitergehen kann, immer rundherum, solange man nicht auf etwas stößt, das einen festhält.
Als ich durch den schmalen Gang des Fliegers gehe, habe ich das Gefühl, die Gesichter werden glücklicher, je weiter man nach hinten kommt. Vielleicht liegt es daran, dass in der Businessclass nur die sitzen, die ihre Firma zu einem Kongress schickt. Wer seine letzten Euros für ein Billigticket zusammenkratzen muss, weil sein Herz brennt, sitzt eingepfercht auf dem Mittelsitz 38B. Und grinst. Weil er genau weiß, wo er sein will. Und irgendwann bin das wieder ich.