Migräne und ihre Ursachen – ein komplexes Problem. Jede fünfte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an der Reizverarbeitungsstörung Migräne. Expertin Bianca Leppert rät, sie anzunehmen statt zu bekämpfen.
Migräne - die Ursachen sind vielfältig
Migränepatienten haben nicht nur mit extremen Schmerzen zu kämpfen - sondern auch mit dem Unwissen der anderen und dem eigenen Perfektionismus. Was dagegen hilft - von Vorsorge bis Akzeptanz - erzählt Autorin und Betroffene Bianca Leppert aus eigener Erfahrung.
Mir hat oft zu schaffen gemacht, dass man eben keine lila Punkte auf der Stirn bekommt und nicht für alle sichtbar Schnupfen hat
Bianca LeppertTweet
Symptome von Migränepatienten
Hoffen, kämpfen, aushalten: Das ist ein vertrautes Mantra für Menschen mit Migräne. Kommt die Attacke, fühlt sich das an wie eine Magen-Darm-Grippe, man ist so schwach, dass der Körper nicht mehr mitspielt, und hat die stärksten Kopfschmerzen seines Leben – so beschreibt es jedenfalls Autorin Bianca Leppert. Die aus eigener Erfahrung weiß: Migränebetroffene gehen nicht nur einen langen Leidensweg, bis sie etwas finden, das Linderung bringt. Ihnen macht noch mehr zu schaffen: die Vorurteile der anderen und der eigene (Leistungs-)Anspruch, sich die Krankheit bloß nicht anmerken zu lassen.
Kopfschmerzen sieht man Betroffenen nicht an
Migräne zählt zwar zu den weltweit häufigsten Krankheiten und sorgt mit für die meisten Arbeitsausfälle – sie hat aber nach wie vor das Image der bequemen Ausrede, falls man keinen Bock auf Sex hat oder blaumachen will. Diese fehlende Akzeptanz und dass Migräne zum Club der „unsichtbaren“ Krankheiten gehört, macht es Betroffenen besonders schwer, über ihre Erkrankung zu reden. „Mir hat oft zu schaffen gemacht, dass man eben keine lila Punkte auf der Stirn bekommt und nicht für alle sichtbar Schnupfen hat“, sagt Bianca Leppert, die seit 20 Jahren mehrmals im Monat Migräne hat. Mit ihrem Podcast „Ich hab Migräne. Und was ist deine Superkraft?“ klärt sie über die Krankheit auf und hat auch ein Buch daraus gemacht. Von ihren Followern bekommt sie großen Zuspruch, viele schreiben, dass sie sich mit ihrem Problem endlich nicht mehr so alleingelassen fühlen.
Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass nur 40 Prozent aller Menschen mit Migräne die Krankheit überhaupt diagnostiziert bekommen. Für Bluthochdruck gibt es Messgeräte, bei Rückenschmerzen zeigt der Kernspin ein auffälliges Ergebnis. „Aber die Symptome während einer Migräneattacke sind nicht nachweisbar“, sagt Dr. Astrid Gendolla, Essener Neurologin mit der Zusatzqualifikation 'Spezielle Schmerz und Psychotherapie'.
Migräne mit Aura
Gerade Nichtbetroffene sollten da her wissen: Migräne wird, anders als beim Spannungskopfschmerz, schlimmer, wenn man den Kopf bewegt, läuft, hüpft, Treppen steigt. Die Schmerzen halten vier bis 72 Stunden an. Bei 15 bis 20 Prozent gehen den Schmerzen auch neurologische Ausfallsymptome voraus – die sogenannte Aura. Dabei kann es zu einseitigen Lähmungserscheinungen und Sprachstörungen kommen, bei einigen Menschen wird die Zunge taub, sie sehen zeitweise plötzlich doppelt oder auf einem Auge gar nichts mehr.
Mehr Frauen sind von Migräne betroffen
Niemand weiß, was eine Attacke aus löst und wieso sie wieder aufhört. Man weiß aber, dass Migräne direkt im Hirn entsteht und zwei Mechanismen den Schmerz auslösen: „Die Blutgefäße engen und weiten sich und Schmerzbotenstoffe werden auf die Hirnhaut ausgeschüttet; dann versuchen andere Zellen, diese Botenstoffe abzuräumen: Das nennt man neurogene Entzündung“, sagt Gendolla. Ungeklärt ist, warum Migräne zwischen dem 20. und 45. Lebensjahr öfter auftritt, ab dem 55. langsam abklingt und deutlich mehr Frauen als Männer betrifft. Studien zeigen lediglich Tendenzen, worauf man Migräne zurückführen könnte. Mädchen und Jungen sind noch gleich oft betroffen, ab der Pubertät verschiebt sich das Verhältnis zu 3:1. Das werde dem Abfall von Hormonen im weiblichem Zyklus zugeschrieben, sagt Gendolla, „aber Frauen haben ja nicht nur während der Menstruation Migräne. Gute Gründe gibt es dafür also eigentlich nicht.“
Wie Migräne mit psychischen Problemen zusammenhängt
Häufig tritt Migräne zeitgleich mit Depressionen, Angst und Schlafstörungen auf. „Wird das eine behandelt, wird oft auch das andere besser“, sagt Astrid Gendolla. Patienten würden häufig aber auch gar nicht merken, wie viel ganz normalen Alltagsstress sie runterschlucken. Ihrer Erfahrung nach sind Menschen mit Migräne überdurchschnittlich leistungsbereit und würden alles geben, um das Attackenrisiko zu minimieren. Vermutlich würde ihnen zu Hause nie der Kaffee ausgehen – so gut seien sie organisiert, für den Fall, plötzlich komplett ausgeknockt zu sein.
Ich sehe es so: Ich brauche nicht nur Superkräfte, um den Alltag trotz Schmerzen zu bewältigen. Ich habe auch die Fähigkeit, dass mein Gehirn Reize intensiver wahrnimmt als bei anderen Menschen.
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Ursachen für Migräne
„Das Migränehirn tut sich schwer, wichtig von unwichtig zu unterscheiden“, so Gendolla. Die Antennen seien immer ausgefahren. Wer erkennt, auf welche Reize er besonders reagiert, kann die Häufigkeit der Attacken positiv beeinflussen. Bei Bianca Leppert lösen bestimmte Gerüche Migräne aus, zu wenig oder zu viel Schlaf oder eine verpasste Mahlzeit. Aber: Diese Sensibilität ist keine Schwäche mehr für sie. „Ich sehe es so: Ich brauche nicht nur Superkräfte, um den Alltag trotz Schmerzen zu bewältigen. Ich habe auch die Fähigkeit, dass mein Gehirn Reize intensiver wahrnimmt als bei anderen Menschen.“
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Bei Migränepatienten sind immer alle Antennen ausgefahren. Allerdings ist es ein Irrglaube zu denken, man wird Migräne für immer los, wenn man alle Trigger vermeidet. Das setzt Betroffene oft zusätzlich unter Druck. „Passt man nicht auf, gerät man schnell in den Teufelskreis, Angst vor der Angst zu haben“, sagt Leppert.
Migräne - Was hilft?
Auch Gendolla findet es wichtig, sich als ohnehin leistungsorientierter Mensch nicht noch mehr zu kontrollieren und schmerzfreie Tage zu genießen. Beeinflusst die Migräne das Leben je doch so sehr, dass man befürchtet, seinen Job zu verlieren, oder dass man sich nicht auf eine Beziehung einlassen kann, ist eine Verhaltenstherapie sinnvoll.
Prophylaxe beginnt mit nicht medikamentösen Strategien: Entspannungstechniken, Sport, drei Mahlzeiten am Tag, genug trinken, ein regelmäßiger Schlafrhythmus. Gendolla rät, „auch mal das Smartphone wegzulegen“. Vorbeugend wirken zudem Akupunktur und konventionelle Therapien mit Betablockern, Antidepressiva, Antiepileptika. Seit 2011 ist Botox für chronische Migräne zugelassen, also bei mindestens acht Migräneattacken mit 15 Kopfschmerz tagen im Monat. Ganz neu ist die Behandlung mit Antikörpern. Die immunisieren nicht gegen Migräne, aber der Wirkstoff blockiert die Schmerzrezeptoren auf der Hirn haut. Selbstzahler zahlen dafür bis zu 800 Euro im Monat. Die Krankenkasse über nimmt einen Teil der Kosten nur, wenn keine andere Behandlung funktioniert.
Eine Balance für sich zu finden, ohne sich alles zu verbieten, ist nicht einfach, aber wichtig.
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Die Migräne akzeptieren statt bekämpfen
Im Umgang mit der Migräne war für Bianca Leppert aber der wichtigste Schritt, sie zu akzeptieren: „Sonst läuft man stets der Hoffnung hinterher, nur noch nicht die richtige Therapie oder das richtige Medikament gefunden zu haben, um für immer geheilt zu sein. So habe ich auch gelernt, liebevoller mit mir selbst umzugehen.“ Eine lustige Party früh zu verlassen, weil das besser für sie ist: Zieht sie jetzt selbstbewusst durch. Aber sie trinkt auch mal ein Glas Wein, obwohl das Migräne triggern kann – zur Not hat sie ja noch ihre Tabletten. „Eine Balance für sich zu finden, ohne sich alles zu verbieten, ist nicht einfach, aber wichtig.“