Berit Brockhausen ist eine der führenden Psychologinnen Deutschlands und Expertin für Beziehungen. Egal ob Sie Fragen zu Liebe, Familie, Freunden oder Nachbarn haben – hier bekommen Sie eine Antwort
Moral
Lea, 32: Eine gute Freundin hat einen ziemlichen Männerverschleiß. Es macht ihr Spaß, mit ihnen zu spielen und sie zu verletzen. Wenn ich Sie darauf anspreche, blockt sie ab. Ihr Verhalten beginnt mich anzuekeln.
Berit Brockhausen: Eine interessante Freundin haben Sie. War sie schon immer so? Dann hat Sie vielleicht genau das angezogen. Diese Frau ist kein liebes Mädchen, sondern ein Biest. Eine, die verletzen kann und die genau weiß, wo sie ansetzen muss, damit das Opfer wirklich leidet. Keine Chance, dass sie sich je von einem Mann demütigen, betrügen oder ausnutzen lässt. Möglicherweise war sie darin mal ein Vorbild für Sie? Doch jetzt widert es Sie an. Verständlich, denn wenn Sie Ihre Freundin gern haben, dann wünschen Sie ihr Glück und Zufriedenheit in ihren Beziehungen. Was Sie beschreiben, klingt aber eher verzweifelt als freudig. Statt Liebesglück sucht sie neue Opfer. So befriedigend der scheinbare Sieg sein mag, gewonnen hat sie nichts. Sie bleibt einsam und ist vermutlich nicht nur für Sie immer weniger liebenswert. Auch die Männer tun Ihnen leid. Doch wenn Sie Ihrer Freundin mit Moral kommen, macht sie dicht. Das ist nachvollziehbar, als Freundin müssen Sie parteiisch sein, und zwar nicht für die anderen. Doch niemand zwingt Sie, das mit einem Lächeln gutzuheißen. Packen Sie das liebe Mädchen in sich ein, und reden Sie von Biest zu Biest mit ihr. Sie hat so viel Potenzial, sie ist attraktiv, hat ein feines Gespür für Schwächen, ist selbstbewusst – wofür will sie das einsetzen? Was will sie wirklich? Eine Freundin, der es nur um die Zahl der Kerben in der Bettkante für erfolgreich abservierte Lover geht, ist für Sie kein Reiz mehr. Machen Sie deutlich, dass Sie darauf in Zukunft verzichten werden, wenn das so bliebe.
Familienbande
Anna, 26: Meine Eltern und ich haben ein sehr gutes Verhältnis, und ich schätze ihren Rat – oft so sehr, dass ich mehr auf sie als auf mich selbst höre. Wie schaffe ich es, mehr auf meine innere Stimme zu vertrauen?
Berit Brockhausen: Warum sollten Sie das tun, wenn Sie doch mit dem, was Ihre Eltern sagen, sehr zufrieden sind? Oder ist das auch so eine äußere Stimme, die Ihnen sagt, Sie sollten sich dringend abnabeln? Eine Stimme aus dem Chor der Ratgeberbücher, der Freundinnen, der Zeitschriftenartikel? Dann fangen Sie doch am besten damit an, indem Sie das alles ignorieren. Sie entscheiden! Und wenn der Rat Ihrer Eltern prima ist, pfeifen Sie auf den Rest. Oder ist es eine Stimme aus Ihnen selbst, die unzufrieden ist und gegen die Meinung der Eltern aufbegehrt? Wenn Sie auf diesen Teil hören, wird es unbequem: Sie müssen Verunsicherung aushalten und Entscheidungen treffen, ohne zu wissen, ob Sie sie später bereuen werden. Wollen Sie das? Dann brauchen Sie die Bereitschaft, Erfahrungen zu machen. Möglichst solche, die zeigen, dass Sie auch aus falschen oder leichtfertigen Entscheidungen langfristig etwas Gutes machen können. Dann müssen Sie nämlich keiner Stimme mehr vertrauen, ganz gleich, ob von innen oder außen, sondern nur noch sich selbst. Wenn Ihre Eltern es gut mit Ihnen meinen, werden sie Verständnis dafür haben, dass Sie jetzt erst einmal ein paar ausgewachsene Fehler machen müssen. Und wenn sie das nicht tun – ein Grund mehr, nicht auf sie zu hören. Denn sie meinen es anscheinend doch nicht so gut mit Ihnen.
Verbindung
Dörte, 44: Seit sieben Jahren hat mein Vater Blasenkrebs. Jedes Vierteljahr muss er wieder operiert werden. Er wird immer verschlossener. Weder meine Mutter noch mein Bruder oder ich wissen, wie wir ihn erreichen können.
Berit Brockhausen: Das ist schlimm. Und vielleicht auch nicht zu ändern. Selbst wenn alle Beteiligten es gut meinen. Ihr Vater verschließt sich möglicherweise,um Sie nicht mit seinen Ängsten, seiner Wut, seiner Verzweiflung und seinem Leid zu belasten. Während Sie, seine Angehörigen, darunter leiden, dass er sie ausschließt, und sich wünschen, ihm gerade in dieser belastenden Situation besonders nah zu sein. Doch Ihre gut gemeinten Versuche machen es ihm nur noch schwerer.Gibt es eine Möglichkeit, die Distanz, die er als Schutz braucht, zu respektieren und dennoch deutlich zu machen, dass Sie an ihm interessiert sind? Können Sie Ihr Interesse an ihm zeigen, am besten auf eine Art, die ihm guttut und ihn nicht belastet? Nicht immer sind Gespräche der richtige Weg. Gibt es etwas, was Sie gemeinsam tun können? Ein altes Hobby, das Sie mit ihm teilen können? Etwas Neues, das Sie gemeinsam finden? Vielleicht ist aber jetzt einfach nur dran, ihm zu zeigen, dass er Ihnen wichtig ist. Durch eine Umarmung, wenn das in Ihrer Familie üblich ist. Oder indem Sie sich einfach zu ihm ins Zimmer setzen, vielleicht sogar mit einem Buch, das Sie selbst lesen, aber signalisieren: Ich lasse dich nicht allein. Ich möchte jetzt mit dir zusammen sein. Du entscheidest, ob und wie du meine Anwesenheit nutzen willst. Für mich ist es auch völlig in Ordnung, einfach mit dir hier zu sitzen.
Berit Brockhausen ist eine der führenden Psychologinnen Deutschlands, Expertin für Beziehungen und Buchautorin. Lesen Sie hier das Interview zu ihrem Buch "Hoheitsgebiete".