Alle reden über Quiet Quitting. Warum es auf lange Sicht nicht glücklich macht, nur noch Dienst nach Vorschrift zu machen, erklärt Job- und Life Coach Dr. Anne-Katrin Petsch.
Dienst nach Vorschrift – das kann seine Berechtigung haben. Wenn andere Lebensbereiche vermehrt Kraft und Aufmerksamkeit fordern zum Beispiel. Quiet Quitting kann auch, wie der Name vermuten lässt, eine mentale Vorbereitung auf eine Kündigung sein. Ein Dauerzustand sollte das stumpfe, leidenschaftslose Abarbeiten allerdings nicht sein. Weil es unglücklich macht.
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Der Mensch will wachsen
"Der Mensch möchte wachsen und sich weiter entwickeln, das ist in ihm angelegt", ist Anne-Katrin Petsch überzeugt. Sie coacht Menschen, die sich in ihrem privaten oder beruflichen Leben Veränderung wünschen. Das Bedürfnis nach Weiterentwicklung spielt dabei oft eine Rolle. Dennoch ist der Wunsch, um jeden Preis Karriere zu machen und das eigene Leben der Arbeit zu "opfern", bei den meisten Menschen kleiner geworden. Besonders junge Menschen können sich einen 9-to-5-Job kaum mehr vorstellen, das zeigte die Studie "Jugend in Deutschland" von Simon Schnetzer und Klaus Hurrelmann. Doch andere Studien zeigen: Zu wenig Arbeit beziehungsweise zu viel Freizeit machen auch nicht glücklicher. Mit der Zufriedenheit und der Menge an Freizeit verhält es sich wie ein umgekehrtes U: Die Zufriedenheit ist bei sehr wenig und sehr viel Freizeit gering und bei einem Mittelmaß am höchsten. Zwei bis fünf Stunden soll die richtige Menge sein. Petsch sagt dazu: "Es kommt dann auch auf die Art der Freizeit an. Wenn ich diese produktiv verbringe, kann mich das auch zufrieden machen." Entscheidend für das Wohlbefinden ist ein Gefühl von Produktivität und Selbstwirksamkeit.
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Ziele machen glücklich
Das erklärt auch, warum berufliche Weiterentwicklung gut tut. Denn nur so können wir Aufgaben ausführen, die unseren Fähigkeiten entsprechen und uns nicht langweilen. Petsch sagt, hinter dem Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung stecke auch immer der Wunsch, das Leben selbst zu gestalten. Weil wir uns im besten Fall in die Richtung entwickeln, in die wir wollen. Vor der Weiterentwicklung steht im besten Fall die Frage: "Wie möchte ich arbeiten und leben?" Um uns in genau die Richtung entwickeln zu können, brauchen wir klare Ziele. "Eine eigene Zukunftsvision kann eigentlich nicht zu groß sein", so Petsch. Aber der Weg zur Erfüllung dieser Vision sollte mit kleinen Unterzielen gepflastert sein. "Dann macht auch der Weg zum Ziel Freude", sagt Petsch. Denn "Ziele machen uns dann glücklich, wenn diese mit unseren Werten übereinstimmen". Es geht also darum, sich zu fragen, was man denn wirklich erreichen will.
"Was war beruflich die schönste Zeit?"
Wenn allerdings die berufliche Weiterentwicklung nicht nach den eigenen Bedürfnissen ausgerichtet ist, sondern nur einem äußeren Erwartungsdruck folgt, macht das nicht glücklich. Petsch ist davon überzeugt, wenn jemand nie zufrieden ist, obwohl er oder sie immer wieder neue Erfolge schafft, dann handele es sich vermutlich eher um ungesunden Perfektionismus als das gesunde Streben nach Weiterentwicklung. Woran merke ich dann, dass ich aufgrund fehlender Weiterentwicklung unzufrieden bin? "Da stelle ich meinen Klienten die Frage: Was war die schönste Zeit in deinem beruflichen Leben? Was war da anders? Was gab es damals, was es jetzt nicht mehr gibt?", sagt Petsch. Sie erzählt von einem Klienten, der in einem großen, angesehen Unternehmen gearbeitet hat und dort schnell die Karriereleiter nach oben geklettert ist. Er hatte eigentlich alles erreicht, was er wollte, war aber unzufrieden. Durch die Fragen von Anne-Katrin Petsch kam er darauf, dass er zu Anfang seiner Unternehmenslaufbahn wahnsinnig glücklich war, weil er viele Leute kennen gelernt hatte, von denen er Neues gelernt hat. Jeder Tag hatte sich für ihn wie eine Weiterentwicklung angefühlt. "So sind wir darauf gekommen, dass meinem Klienten neue Impulse, also inhaltliche Weiterentwicklung fehlten", sagt Petsch.
Eine Vision, die sich gut anfühlt
Berufliche Weiterentwicklung muss sich eben nicht immer in mehr Gehalt oder Verantwortung zeigen. Anne-Katrin Petsch ist dafür selbst ein gutes Beispiel. Über 15 Jahre hat sie als Anwältin gearbeitet, spürte aber irgendwann den Wunsch nach neuen Herausforderungen und hat sich neben dem Beruf in ihrer Freizeit mit Life Coaching beschäftigt. Mit der Zeit wurde daraus ihr Beruf, den sie jetzt in Vollzeit ausübt. Und wie finden wir nun dieses Ziel und die Richtung in die wir uns weiter entwickeln wollen? Petsch ermutigt dazu, groß zu träumen. "Ich frage meine Klient*innen: Wie würde ein perfekter Arbeitstag aussehen? Mit wem, wo und wann würden Sie arbeiten?" Es geht darum, eine Vision zu finden, die uns gut fühlen lässt. Je attraktiver diese ist, desto motivierter sind wir. Die Frage, die wir uns laut Petsch also stellen sollten, lautet: "Wie wäre es, wenn es wirklich schön wäre?"
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