Montage sind Trauertage, mittwochs sieht man ein kleines Licht am Ende des Arbeitstunnels und freitags wartet die Erlösung. Diese Einstellung macht auf Dauer nicht nur unglücklich, sie raubt dir auch qualitative Lebenszeit.
Der Begriff Work-Life-Balance klingt erst einmal ganz hip und vielversprechend. Etwas ist in Balance, also ausgewogen. Das ist eine gute Sache, oder nicht? Nicht wirklich. Denn man kann nur zwei Dinge in Waage bringen, die zunächst einmal voneinander getrennt sind. In diesem Fall Work und Life – Arbeit und Leben. Wenn Arbeit aber kein Leben ist, haben wir ein Problem. Sind wir dann jede Woche 40 Stunden klinisch tot? Natürlich nicht.
Arbeit als Leben? Was ist das?
Für viele fühlt es sich aber so an. Nur noch fünf Tage durch den endlosen Brei an sinnentleerter Arbeit kämpfen und dann ist endlich wieder Wochenende und Highlife angesagt. Das kollektive Verteufeln der Arbeit ist schon fast eine Art Volkssport mit einer gehörigen Portion medialer Unterstützung. Das wird besonders deutlich, wenn du das Radio anschaltest. Ob Beitrag der Redaktion oder Radiowerbung – der Ton ist derselbe: Am Montag wird die arbeitende Bevölkerung ausgiebig bemitleidet, mittwochs begeht man zusammen das "Bergfest" – ist also metaphorisch über den Berg, gerade so, als wäre die Arbeitswoche eine Krankheit, die es auszumerzen gilt – und freitags erwacht man fürs Wochenende aus dem Büro-Koma. Hurra!
Das kollektive Verteufeln der Arbeit ist schon fast eine Art Volkssport mit einer gehörigen Portion medialer Unterstützung.
Nicholas Pesch, SpeakerTweet
Die Euphorie erreicht den Höhepunkt, wenn nach dem Wochenende noch zwei Wochen Urlaub warten. Raus aus der Tristesse des Alltags und es sich mal richtig gut gehen lassen – wieder zu sich selbst finden. Versteh mich nicht falsch: Urlaub ist eine wunderbare Sache, er darf nur nicht als Ersatz für das restliche Leben fungieren. Als einzige Zeit, die dazu geeignet ist, glücklich und zufrieden zu sein. Bei durchschnittlich fünf bis sechs Wochen Urlaubsanspruch pro Jahr wäre das doch eine sehr traurige Bilanz. Deswegen gebe ich dir fünf Tipps, wie es schaffst, auch deinen Alltag so gelassen und zufrieden zu erleben wie die freie Zeit dazwischen.
1. Bau dir deine Oasen
Urlaub ist doch besonders deshalb toll, weil wir gefühlt endlich genug Zeit haben, um uns Dingen zu widmen, von denen wir wissen, dass sie uns gut tun. Ich sage bewusst deswegen "gefühlt", weil wir genau dasselbe auch in jeder anderen Woche im Jahr tun können. Gut, nicht die Auszeit am Golf von Mexiko vielleicht, aber all die anderen Dinge, die wir uns regelrecht für die freie Zeit "aufheben". Wir glauben an die Illusion, dass der Urlaub ein Refugium vom stressigen Arbeitsleben darstellt. Nur dann können wir uns erholen, uns etwas Gutes tun, mal weg aus der Routine, Sport machen.
Urlaub ist eine wunderbare Sache, er darf nur nicht als Ersatz für das restliche Leben fungieren.
Nicholas Pesch, CoachTweet
Versuch stattdessen, dir deine Glücksoasen in jeder einzelnen Woche zu gönnen. Sonst wird nämlich der Urlaub auch zum Stressfaktor, wenn die Wandertour gemacht, die drei Bücher gelesen, der Wellness-Termin genossen und die zwanzig besten Freunde in der Heimat besucht werden müssen. Nimm dir jede Woche eine Aktivität vor, von der du weißt, dass sie dich entspannt oder glücklich macht. Das kann die Joggingrunde mittwochs abends ebenso sein wie ein genussvolles Wannenbad mit Schaumzusatz und Lieblingsschmöker.
2. Räum den wichtigen Dingen Platz ein
Dieser gut gemeinte Rat gilt für alle Bereiche des Lebens: Entscheide, was dir wichtig – und auch was dir wichtiger und am wichtigsten – ist. Dafür ist es unerlässlich, innezuhalten und dich ganz ehrlich zu fragen: Welche sind meine tiefsten Bedürfnisse? Das herauszufinden, braucht Ruhe und intensive Beschäftigung mit dir selbst. Sobald du weißt, was deine individuellen Antreiber sind, kannst du starten und deinen Alltag danach ausrichten. Klar, manchmal ist es bequemer, einfach mit dem Strom zu schwimmen, aber happy wirst du so nicht. Wenn du zum Beispiel mehr für deine Gesundheit tun willst, dann hilft es dir nicht, zwei Mal im Jahr im Urlaub zehn Kilometer am Stück zu rennen. Wenn Gesundheit dein oberstes Ziel ist, dann tausch die Kantinenpommes mittags gegen einen schnellen Spaziergang oder geh montags zum Yoga und nicht zum Stammtisch – auch wenn alle anderen es nicht tun. Wenn Familie und Freunde dein oberster Antreiber sind, dann schau dich nach Jobs in deren Nähe um und mach abends mindestens zweimal die Woche pünktlich Feierabend.
3. Von All-tag zu Neu-tag
Im Urlaub und auf Reisen begegnen uns ständig neue Menschen, Dinge, Sehenswürdigkeiten. Wir lassen die Routinen unseres alltäglichen Lebens hinter uns. Der Reiz des Neuen sorgt dafür, dass wir uns leicht, locker und lebendig fühlen. Dafür musst du allerdings nicht diverse Ozeane überqueren. Unbekanntes kannst du auch immer wieder zu Hause erfahren. Es geht darum, die Welt um dich herum mit neuen Augen zu sehen. Wechsel mal den Bäcker oder auch nur die Kaffeesorte am Morgen, fahr mit dem Bus, statt mit dem Auto zur Arbeit, unterhalte dich mit einem Kollegen, den du noch nicht gut kennst.
4. Wenn nichts mehr geht, gehst du
Alle Ratgeber und Tipps der Welt werden dir nicht helfen, wenn du mit deinem Job an sich unzufrieden bist. Wenn er nicht zu dir passt und du dich jeden Morgen zur Arbeit schleppst, wirst du in diesem Arbeitsumfeld mit ziemlicher Sicherheit nicht glücklich werden. Dann wirst du es auch nicht schaffen, Erholung und Zufriedenheit in deinem Job zu erfahren und die Urlaube werden die einzig glückliche Zeit für dich bleiben. Welcher Job zu dir passt, kannst du mithilfe des japanischen Igikais herausfinden. Vier Kernfragen helfen dir dabei:
- Was liebe ich?
- Was kann ich gut?
- Wofür werde ich entlohnt?
- Was braucht die Welt?
In der Schnittstelle dieser vier Kreise liegt der ideale Beruf für dich.
5. Höre in dich hinein
Du hast es mit Sicherheit schon herausgelesen: Ich bin kein Fan von schnellen One-size-fits-all-Lösungen. Die gibt es nämlich nicht. So wie es dich mit all deinen Facetten nur genau einmal gibt, existiert auch eine Lösung, ein Jobmodell, eine Beschäftigungsart, die genau für dich richtig ist – und vielleicht für niemanden sonst.
Um die zu finden, musst du dich trauen, genau in dich hineinzuhören und deinen Blick auf dich selbst zu schärfen. Dabei hilft dir Meditation. Viele Menschen würden das Meditieren gerne als letzte Reißleine vor dem Burn-out nutzen. Nach dem Motto: Wenn nichts anderes mehr funktioniert, keine Gespräche mit Freunden oder Kollegen, dann spring ich eben ein- oder zweimal auf die Matte und finde so wieder zu meinem inneren Glück. So funktioniert es leider nicht.
Meditation kann und wird dir helfen, unnötige Busyness zu erkennen, dich selbst wieder klarer zu sehen und somit auch deine Ziele eindeutiger abstecken zu können, aber Geistestraining ist kein One-Hit-Wonder. Wenn du den Weg gehen möchtest, wird sich dein Blick auf das Hier und Jetzt klären, auf deine Ziele und Bedürfnisse, aber wie auch beim körperlichen Training stellen sich die Erfolge nicht nach einmaliger Ausführung ein. Es ist ein kontinuierlicher Prozess.
Geistestraining ist kein One-Hit-Wonder.
Nicholas Pesch, Autor und SpeakerTweet
Als Fazit bleibt also: Wenn du endgültig Schluss machen willst mit einem Leben für Wochenende und Urlaub (und nicht nur schmerztablettenmäßig die Symptome bekämpfen), ist es wichtig, zu definieren, was genau du am Urlaub so schätzt. Zeit für die Familie, Zeit für Sport, einfach nicht zur Arbeit gehen zu müssen, für die du eigentlich keinen Sinn mehr erkennst? Hast du das herausgefunden, kannst du deine Erkenntnisse Stück für Stück in den Alltag übertragen. Dann ist Freizeit zwar immer noch schön – der Rest aber auch!
Nicholas Pesch, Jahrgang 1966, wirkt als Autor, Speaker und Coach. Seit vielen Jahren ist der studierte Sozialwissenschaftler als Berater für Personalentwicklung im deutschen und internationalen Umfeld tätig. Die Kombination seiner eigenen Erfahrungen als Führungskraft sowie seine langjährige Tätigkeit als Berater und Coach sind die Basis seiner Arbeit als Experte für Veränderungsprozesse und Persönlichkeitsentwicklung. Pesch ist überzeugt, dass jeder die Fähigkeit in sich trägt, sein gesamtes Leben in sinnerfülltes Sein zu verwandeln. In seinen Vorträgen und Seminaren wirkt er authentisch, motivierend und gleichermaßen einfühlsam wie konfrontativ. Mehr zu Nicholas Pesch finden Sie hier: www.nicholaspesch.com