Die Sehnsucht nach weniger wächst. Nicht erst seit Corona. Was bringt es eigentlich, sich bis zum Burn-out abzuarbeiten, nur um sich einen Lebensstandard zu schaffen, den wir aus Zeitgründen ohnehin nicht genießen können?
Die Generation Golf spürt den Druck der Digitalisierungswelle bis zum Burn-out, die Generation Z will erst gar nicht voll mitmachen und setzt gleich auf Teilzeit. Ist Downshifting der neue Weg für eine bessere Work-Life-Balance?
Ab ins Hamsterrad, Kinder!
Schon unseren Kindern bringen wir bei: Streng dich in der Schule an, dann wird später was aus dir. Der Traum von angesehenem Job, Haus, Garten und Segelboot hält sich hartnäckig in unseren Köpfen – und wir geben ihn fleißig weiter. Kaum wird der Nachwuchs eingeschult, verfallen selbst die Entspanntesten in Schnappatmung, wenn das Kind eine nicht ganz so ersehnte Note mit nach Hause bringt. Aber ist es nicht eigentlich viel mehr wert, wenn der Nachwuchs sich unbeschwert des Lebens freut und noch nicht in die Performance-Falle getappt ist?
Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach da zu sitzen und vor sich hin zu schauen.
Astrid LindgrenTweet
Vielleicht sollten wir im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte auch gleich mit der Downshifting-Erziehung beginnen. Weniger Besitz, mehr Zeit. Weniger Stress, gesünderes Leben. Fangen wir bei uns selbst an: Will ich bis zum Umfallen arbeiten oder geht auch weniger Job, mehr Leben?
Was ist Downshifting überhaupt?
Der Begriff Downshifting wurde bereits in den Neunzigerjahren von dem Wirtschaftsphilosophen und Mitbegründer der London Business School Charles B. Handy erfunden. Wörtlich übersetzt bedeutet „Downshifting“ soviel wie „Herunterschalten“. Downshifter wollen also ganz bewusst beruflich kürzer treten, reduzieren ihre Arbeitszeit oder verzichten auf Führungspositionen. Downshifting als eine Art Minimalismus im Beruf – zugunsten von Freizeit, Interessen oder Familie.
Funktioniert unsere Wirtschaft noch, wenn alle downshiften?
Traditionelle Führungskräfte schlagen schon die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ihnen Mittzwanziger gegenübersitzen, die eine 4-Tage-Woche fordern. Teilzeit-Mütter sind als Arbeitskräfte generell unbeliebt, denn wer nicht mit Präsentismus im Büro glänzen kann, strengt sich bekanntlich auch nicht genug an. Dabei hat eine Studie des amerikanischen Management-Gurus Morten Hansen, Professor an der UC Berkeley, der fünf Jahre lang die Arbeitsweisen von mehr als 5000 Managern und Arbeitnehmern untersucht hat, ergeben: Smarte Arbeitnehmer arbeiten weniger, dafür konzentrierter und selektiver. Studien wie die der Stanford Universität zeigen immer wieder, dass Vollzeit-Mitarbeiter*innen zwar vielleicht acht Stunden körperlich anwesend sind, aber sich nur zweieinhalb Stunden davon wirklich hochkonzentriert einem Projekt widmen.
Weniger arbeiten = effektiver arbeiten?
Ein Umdenken der Arbeitgeber zu mehr Flexibilität ist also gefragt. In Schweden gibt es schon seit längerem Pilotprojekte mit einem 6-Stunden-Arbeitstag. Der Ansatz: In dieser Zeit arbeiten die Mitarbeiter wirklich produktiv und konzentriert, gleichzeitig sorgt mehr Freizeit für eine bessere Lebensbalance, für weniger krankheitsbedingte Fehlzeiten und höhere Motivation. Auch in Deutschland gibt es schon Unternehmen, die Arbeitszeiten deutlich reduziert haben. Die Bielefelder IT-Agentur von Lasse Rheingans führte 2017 den 5-Stunden-Tag für ihre Mitarbeiter*innen ein. Rheingans schrieb über sein Erfolgskonzept, an das er mehr denn je glaubt, das Buch "Die 5-Stunden-Revolution".
Alle in Teilzeit – und wer zahlt die Rente?
Bauchschmerz-Argument Nummer eins beim Downshifting ist wohl die Altersvorsorge… Fürs Sammeln von Entgeldpunkten auf dem Rentenkonto ist die reduzierte Arbeitszeit nämlich ein absoluter Killer. Für Mütter (mehr als zwei Drittel arbeiten in Teilzeit) - und natürlich allen anderen, die schon in reduzierten Arbeitsmodellen arbeiten - ist es unbedingt ratsam, zusätzlich privat vorzusorgen. Gespart werden muss also vorerst an anderer Stelle – dem Lifestyle, sofern der es zulässt.
Jeder Dritte erwartet, dass in 15 Jahren das Modell der Vier-Tage-Woche in Unternehmen die Regel sein kann.
XING, New Work Trendbook, 2018Tweet
Wie kann Downshifting klappen?
1. Downshifting meint mehr als nur ‚weniger arbeiten‘. Oberste Regel ist das Priorisieren. Sich klar darüber werden, wovon man mehr oder weniger im Leben haben möchte.
2. Downshifting zieht Minimalismus und Nachhaltigkeit nach sich. Konzentrieren wir uns auf die Basis, fällt Überflüssiges meist weg. Weniger Konsum, weniger Wegwerfen, bewusster leben. Wir haben Minimalismus-Tipps für Einsteiger, die euch dabei helfen.
3. Aufschreiben! Klingt total antiquiert, kann aber helfen, die Kasse im Blick zu behalten. Eine Einnahmen-Ausgaben-Analyse à la Peter Zwegert kann deutlich machen, ob wir unsere Finanzen wirklich im Griff haben.
4. Gesunder Egoismus tut uns gut. Das Hamsterrad sieht von innen oft wie eine Karriere aus, hat aber auf alle denselben Effekt: Es laugt aus. Wer öfter mal die Füße still hält und an sich denkt, kommt auf neue Ideen, ist ausgeruhter und reflektierter. Das Überstunden-Konto ist kein inoffizieller Orden für Superheldentum. Es darf leer sein.
5. Wer nicht dauerhaft reduzieren will, probiert‘s mal aus: mit einem Sabbatical. Sonderurlaub, unbezahlte Freistellung, Lohnverzicht, Teilzeit, Arbeitsguthaben – es gibt viele Modelle, die eine Auszeit im Job ermöglichen. Einfach mal mit der Personalabteilung/ Chef*in sprechen, was möglich ist. Aber bitte klug vorbereiten, so ein Vorhaben stößt nicht immer auf Begeisterung.
Weiterlesen: