Tina Sohrab setzt sich für Inklusion in der Beauty-Branche ein. Die blinde Make-up Artist zeigt uns, wie wir uns nicht von unserem Weg abbringen lassen, unsere Träume leben und warum ihre Perspektive in der Beauty-Branche nicht fehlen darf. Am 8. Mai ist sie Speakerin beim EMOTION Women's Day.
Ursprünglich wollte Tina Sohrab Juristin werden. Sie hat immer die Mutter einer Freundin bewundert. Die war Anwältin, taff und selbstbewusst, wusste, was sie will und wie man durchsetzt. Doch dann nahm das Leben für Tina einen anderen Lauf. Von Geburt an hat sie eine Netzhauterkrankung. "Meine Eltern hatten große Angst, dass ich irgendwann erblinden könnte", sagt sie, "die Ärzte haben das immer verneint und meinten, wenn ich erblinden sollte, dann erst in hohem Alter." Umso härter traf es sie, als sie buchstäblich über Nacht erblindete. Da war sie 15.
Make-up ist für Tina Sohrab viel mehr als etwas rein Visuelles
Als blinde Frau komme es ihr häufig so vor, als wäre sie unsichtbar. "In der Vergangenheit wurde ich oft bemitleidet, teilweise nicht für voll genommen und es passierte mir oft, dass jemand mit meiner Begleitperson über mich sprach, obwohl ich direkt danebenstand", sagt Tina: "Man traute mir Dinge nicht zu oder fand sie nicht nötig, weil ich ja eh nicht sehen könne." So habe zum Beispiel ihr Wunsch, sich zu schminken, viele irritiert. Aber warum sollte Tina sich nicht wie ihre Schwestern und Freundinnen für Make-up interessieren? Wenn sie Make-up trägt, fühlt sie sich selbstbewusster: "Ich habe gemerkt, dass ich anders auftrete und von meinem Umfeld ganz anders wahrgenommen werde."
Unabhängigkeit ist Tina sehr wichtig, deswegen hat sie sich früh vorgenommen, zu lernen, wie sie sich selbst schminken kann. Zuerst schminkte sie sich mit den Fingern, nutzte dann aber immer häufiger auch Pinsel und Schwämmchen zum Auftragen des Make-ups. Für Inspiration suchte sie damals auf YouTube nach Anleitungen. "Bei den Tutorials musste ich mir immer die Hälfte zusammenreimen oder konkret nachfragen, wie die einzelnen Schritte gemacht werden", sagt Tina: "Stell dir vor, du sitzt da als Blinde und hörst: 'Ich nehme jetzt den Pinsel, dann gehe ich da rein und trage das da auf.' Da frage ich mich: Womit gehst du jetzt wo rein und was machst du damit?" Diese Infos haben ihr gefehlt – und diese Lücke wollte sie füllen. Seit 2016 dreht Tina Sohrab blindengerechte Beauty-Tutorials. Der Unterschied zu anderen Videos: Sie beschreibt jeden Schritt sehr detailliert. Dass das allen hilft, lässt sich ahnen, wenn man weiß, dass der Großteil ihrer Community sehende Menschen sind.
Sie geht ihren ganz eigenen Weg
Beauty und Make-up wurden mehr und mehr zu ihrer Leidenschaft. "Ich kam an einen Punkt, an dem es mir wichtig war, eine professionelle Ausbildung zu haben", sagt die 30-Jährige. Sie hat dann einfach die Deutsche Pop Akademie in ihrer Heimatstadt Hannover angeschrieben, einen Link zu ihren Videos angehängt und gesagt, dass sie den Traum hat, Make-up Artist zu werden. "Ich glaube, die waren erstmal perplex", sagt Tina, "Anfang 2018 habe ich dann die Rückmeldung bekommen, dass es eine Dozentin gibt, die sich vorstellen könnte, mich im Einzelcoaching zu unterrichten." Beauty-Expertin Miriam Jacks hat damit den Grundstein ihrer Arbeit gelegt.
"Anfangs hatte ich große Angst, belächelt zu werden oder dass alle denken, ich mache das alles nur, um Aufmerksamkeit zu bekommen", erzählt sie. Aber Miriam Jacks habe ihr unmissverständlich klargemacht, dass sie an ihrem Traum festhalten und sich von nichts und niemanden davon abbringen lassen solle. "Ich war oft überfragt, wie das überhaupt funktionieren soll. Aber ich habe einfach weitergemacht", sagt Tina, für die Geduld die größte Herausforderung ist.
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Zuerst stellte sie sich vor, dass sie mit der Ausbildung auch andere Menschen schminken könne – so, wie es bei Make-up Artists üblich ist. Aber das fühlte sich für Tina nicht richtig an: "Wenn ich mir selbst die Foundation auftrage, spüre ich über meine Haut, ob ich es gleichmäßig verteilt habe. Bei einer anderen Person kann ich das nicht kontrollieren." Aber wer sagt denn, dass es immer der klassische Weg sein muss, einen Beruf auszuüben? Tina hat sich ganz bewusst dafür entschieden, die Ausbildung zur Make-up Artist zu machen, um alle Techniken an sich selbst zu lernen. Ihre Skills nutzt sie dafür, ihr Wissen an andere weiterzugeben, etwa über Workshops für Menschen mit einer Sehbehinderung.
Ihre Perspektive darf in der Beauty-Branche auf keinen Fall fehlen
Ihr nächster großer Traum ist es, für mehr Inklusion in der Beautybranche zu sorgen. Auch heute schon leistet sie Aufklärungsarbeit. Sie wünscht sich, dass Inklusion auch wirklich im alltäglichen Leben mitgedacht wird. "Wenn es um Beauty-Themen geht, werden Menschen mit Behinderungen ja komplett außen vor gelassen", sagt sie. Doch Brands, wie die von Selena Gomez, hätten Produkte so konzipiert, dass man sie leichter greifen könne, damit hat Gomez auf ihre eigene Autoimmunerkrankung reagiert (Anm.d.R.: Selena Gomez ist an Lupus erythematodes erkrankt). Aber das sei noch immer eine Ausnahme. "Ich will der Industrie keinen Vorwurf machen, weil wir Menschen mit Behinderung auf die gesamte Bevölkerung bezogen eine kleinere Zielgruppe sind", sagt Tina: "Aber wir sind eine Zielgruppe." Detailliertere Produktbeschreibungen, QR-Codes oder auch Blindenschrift auf den Verpackungen würden laut Tina Menschen, die nicht oder nur eingeschränkt sehen können, sehr helfen. Sie selbst tüftelt bereits an eigenen Ideen und Konzepten.
Ab und zu spielt sie mit dem Gedanken, irgendwann vielleicht doch noch Jura zu studieren: "Wer weiß, wie lange es dieses Social-Media-Game noch geben wird?" Ob mit Jura-Studium oder ohne, für viele Menschen ist sie heute schon das Vorbild, das sie damals als Jugendliche hatte: Eine taffe, selbstbewusste Frau, die weiß, was sie will und sich durchsetzt.