Zum Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März 2021 sprechen wir mit Filmregisseurin und Autorin Mo Asumang (57) über Gespräche mit Neo-Nazis und Wege, wie man Rassist:innen begegnen kann.
Mo Asumang ist afrodeutsche Filmemacherin, Fernsehmoderatorin und Autorin. Sie ist in Kassel geboren, ihr Vater stammt aus Ghana, ihre Mutter aus Deutschland. Nachdem sie eine Morddrohung von einem Rassisten erhielt, entschied sich die heute 56-Jährige, aktiv gegen Rassismus vorzugehen. Ihre Herangehensweise ist unkonventionell: Sie setzt auf Konfrontation und spricht mit Neo-Nazis und Rassist:innen – auf der Straße, auf Demos, sogar in den USA beim Ku-Klux-Klan. Denn sie will verstehen, warum Rassist:innen so denken, wie sie denken. Ihre Erlebnisse dokumentiert sie zum Beispiel in dem Film "Die Arier" oder im Buch "Mo und die Arier". Im Jahr 2019 erhält sie das Bundesverdienstkreuz für ihre Arbeit.
EMOTION: Frau Asumang, gibt es einen Satz oder eine Frage, die Sie von weißen* Menschen einfach nicht mehr hören können?
Mo Asumang: "Wo kommst du her?" – Wenn ich vorher ganz normal deutsch mit jemandem gesprochen habe, dann finde ich die Frage eigentlich total unsinnig, weil offensichtlich bin ich dann ja deutsch. Ich finde es komisch, nur wegen der Hautfarbe einem anderen Land oder Kontinent zugeordnet zu werden. Man sollte den Menschen eher in die Augen schauen, mit ihnen sprechen. Dann erübrigt sich diese Frage eigentlich. Meistens weiß ich natürlich schon, was die andere Seite hören will. Dann sage ich: "Mein Vater kommt aus Ghana" und dann kommt der schlimme Satz: "Ach, du kommst aus Ghana". Es ist einfach unsinnig.
Rassist:innen leben keine Realität, die leben von einem Spruch zum anderen. Das muss man durchbrechen.
Mo AsumangTweet
Für Ihr Buch und Ihre Filme haben Sie mit Rechtsradikalen gesprochen, mit Neo-Nazis und Anhänger:innen des Ku-Klux-Klans. Sie wollen die Menschen verstehen und stellen Fragen. Lassen die sich auf sowas ein?
Ja, Leute, die eine extreme andere Meinung haben, die mich hassen und mir den Tod wünschen, lassen sich auf mich ein – weil sie spüren, dass ich tatsächlich was wissen will. Würde ich dahin gehen mit dem Gefühl, die (rhetorisch) plattmachen zu wollen, mich zu rächen oder ihnen irgendetwas Böses zu wollen, dann würde das nicht funktionieren. Es funktioniert wirklich nur, weil ich innerlich tatsächlich wissen will, was es für Menschen sind. Das spürt die andere Seite, sie merkt: "Oh, ich bin gefragt, was antworte ich jetzt?". In dem Moment haben sie oft das Gefühl, sie werden gesehen. Das ist vielleicht nur ein kleiner Punkt, aber letztendlich ist das ausschlaggebend.
Rassist:innen werfen Ihnen aber auch Dinge wie "Geh zurück nach Afrika!" an den Kopf, wie im Film zu sehen ist. Trotzdem bleiben Sie in solchen Situation sehr ruhig und geduldig. Wie machen Sie das, bei so viel Hass?
Weil ich die Rassist:innen analysiert habe. Ich habe mir die ganz genau angeschaut und zugehört und irgendwann festgestellt, dass sie einen aus der inneren Balance bringen wollen. Wenn das geschieht, geht das Ganze nach hinten los: Dann folgt ein böses Wort dem anderen. Das muss man aushalten, aber das geht nur, wenn man weiß, was die vorhaben. Wenn mir ein Tom Metzger (Anm. d. Red.: Tom Metzger ist ehemaliger Führer des Ku-Klux-Klans und Gründer der neonazistischen Organisation "Weißer Arischer Widerstand") sagt: "Dein Vater ist ein Gen-Entführer, der hat die Gene deiner weißen Mutter geraubt, um seine Rasse aufzuwerten", dann sitze ich da und weiß: Der versucht jetzt gerade, mich auf seine hassvolle Seite zu ziehen. Dann warte ich einfach ab. In den meisten Fällen haben Leute ja so eine Din-A5 Seite voll mit Sätzen und wenn die durchgerattert sind, ist erstmal Ruhe. Entweder hauen Sie dann ab, weil sie Angst haben und genau wissen, dass sie nicht weiter argumentieren können, oder aber das Gespräch fängt dann an, darauf warte ich immer.
Man muss aber auch dazu sagen, dass man bei Leuten wie Tom Metzger, diesen Hasspredigern, nicht wirklich eine Chance hat, irgendwann in ein normales Gespräch zu kommen. Ich fokussiere mich dann eher auf die Leute in der Mitte der Gesellschaft, denn da funktioniert es nach demselben Prinzip und man hat tatsächlich die Chance, dass danach ein Gespräch anfängt.
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Wie können wir es denn in unserer Gesellschaft schaffen, dass wir solche Gespräche fördern? Auch im Alltag?
Als ich mich anfangs mit dem Thema auseinandergesetzt habe, habe ich gemerkt, dass ich eigentlich immer nur rhetorisch besser sein wollte. Und dann habe ich gedacht: "Oh man, schau doch mal in den Spiegel, da siehst du jemanden, der mit den selben Mechanismen arbeitet". Denn Rassist:innen sind ja die, die sich immer besser stellen. Das wollte ich vermeiden. Es macht keinen Sinn, wenn ich genauso bin und die in eine Schublade packe oder wenn ich versuche, besser zu sein. Das ist ja kein Kampf, sondern es ein aufeinander Zugehen. Und wenn die andere Seite das nicht schafft, dann muss man eben selbst den ersten Schritt machen. Da muss man sich leider erstmal durchwurschteln und ein bisschen was ertragen. Das kann auch nicht jeder.
Es macht keinen Sinn, wenn ich genauso bin. Das ist ja kein Kampf, sondern es ein aufeinander Zugehen.
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Ich denke vor allem an diese Alltagsrassismus-Situationen: Man sitzt mit der Familien am Tisch und der Onkel sagt etwas rassistisches. Wie reagiert man da am besten?
Man sollte sich darauf besinnen, seine Meinung zu sagen, aber ganz ruhig. Und dann nachbohren und den anderen einfach fragen: Was hast du da gesagt? Wie meinst du das? Weil oft gibt's da gar keine Erklärung. Oft ist es einfach so eine Plattitüde, irgendein blöder Spruch. Und dahinter kommt dann einfach gar nichts mehr. Man hört ja zum Beispiel oft sowas wie: "Die Geflüchteten sollen doch alle im Meer ertrinken". Wenn du dann aber nachbohrst und fragst: "Wie soll das denn aussehen, das Ertrinken? Beschreib mir das doch mal. Beschreib mir doch mal die Hand der Mutter, die gerade versucht, ihr Baby zu retten", dann kommst du in eine Realität. Und Rassist:innen leben keine Realität, die leben von einem Spruch zum anderen. Das muss man durchbrechen.
Sie sind auch mit einem Aussteiger aus der rechten Szene befreundet. Ist er ein Mutmacher dafür, dass ein Umdenken bei rassistischen Menschen möglich ist?
Absolut. Chris ist selbst wirklich durch die Hölle gegangen, weil er durch einen Alt-Nazi-Nachbarn seit seinem 9. Lebensjahr in der Szene war. In dieser hassvollen Gesellschaft ist natürlich alles nur negativ gepolt: Die anderen sind schuld, die anderen nehmen uns was weg. Da ist ja nichts Positives an dieser rassistischen Ideologie. Das hat ihn viel Kraft gekostet und er ist dadurch depressiv geworden. Der ausschlaggebende Moment war, als ihn ein Mädchen auf der Straße gefragt hat: "Warum bist du eigentlich ein Nazi?". Und dann eben auch die Gespräche mit mir. Er sagt mir immer, dass er sich wahnsinnig freut, dass ich ihn bei unserem Kennenlernen nicht in eine Schublade gepackt, sondern erst mal zugehört habe. Dadurch konnte er sich verändern.
Am 21. März ist der Internationale Tag gegen Rassismus, an dem sicherlich auch wieder der rassistische Mord an George Floyd im Mai 2020 ins kollektive Gedächtnis gerufen wird. Wie hat Sie das Ereignis beschäftigt?
Nach dem ersten Schock habe ich mich eigentlich sofort gefragt: Wer ist Derek Chauvin, der Mörder von George Floyd? Wie ist der aufgewachsen und wie hat der eigentlich den Entschluss gefasst, Rassist zu sein? Ich verstehe "Black Lives Matter" auch so, dass man eben auch lernt, auf andere Menschen zuzugehen.
*Um zu verdeutlichen, dass die Kategorien Schwarz und Weiß soziale Konstrukte sind, schreiben Antirassismus-Aktivist:innen „Schwarz“ groß und „weiß“ kursiv. Dem schließen wir uns an.
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