Outing am Arbeitsplatz: Karriere und Psyche leiden, wenn die sexuelle Orientierung im Job versteckt wird. Wie wir eine tolerantere Unternehmenskultur schaffen.
Outing am Arbeitsplatz: Warum viele die sexuelle Orientierung verschweigen
Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihrem Partner sagen: „Du kannst nicht mit zum großen Sommerfest meiner Firma. Weil deine Anwesenheit meine Karriere gefährden könnte.“ Wie würden Sie sich fühlen? Laut einer Online-Befragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundesbestimmt in Deutschland genau dieses Gefühl den Arbeitsalltag von lesbischen, schwulen, bi- und intersexuellen, Trans- und Queer-Beschöftigten (LGBTQI+). Die Studie gibt an, dass ein Drittel der Schwulen und Lesben, 56 Prozent aller Bisexuellen und 70 Prozent aller Transsexuellen ihre sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz geheim halten. Eine Neurowissenschaftlerin erklärt, wie wir gemeinsam zu einer toleranteren Unternehmenskultur finden.
Blinder Fleck: Wie sich heterosexuelle Menschen unbewusst outen
Was anstrengender ist, als man im ersten Moment denkt. Sie wurden von Kollegen sicher schon mal gefragt, wie der Urlaub oder das Wochenende war. Mit wem Sie unterwegs waren. Wer Sie da gestern nach Feierabend abgeholt hat. Und ob Sie ein Bild von Ihrer Familie als Bildschirmschoner oder Sperrbild auf dem Handy haben. Für die meisten von uns sind solche Fragen vermutlich leicht zu beantworten. Und die Antworten sind nur einige Beispiele, wie sich heterosexuelle Menschen, meist unbewusst, aber doch ganz selbstverständlich, am Arbeitsplatz outen.
Diversity wird in vielen Unternehmen groß geschrieben
Das ist keine Belanglosigkeit: Die eigene Persönlichkeit ohne Angst vor negativen Konsequenzen entfalten und auch weiterentwickeln zu können ist entscheidend dafür, gute Leistungen zu bringen. Dr. Laura Wendt, Neurowissenschaftlerin und bei der Unternehmensberatung Kearney für Diversity und Inclusion zuständig, sagt, dass wir heute in einer hypervernetzten Welt leben: „Work-Life-Balance und die strikte Trennung von Arbeits-Ich und privatem Ich gibt es nicht mehr.“ Immer mehr Unternehmen schreiben sich auf die Fahne, dass sie wie eine große Familie sind. Und schaut man sich Unternehmenswebsites an, gehört für viele die leicht erkennbare Diversity zur Selbstdarstellung. Aber wird diese auch gelebt? Und was ist mit der Art von Diversity, die optisch nicht deutlich wird, wie die sexuelle Orientierung?
Wenn wir das Gefühl haben, dass unser Gesamt-Ich nicht akzeptiert wird, kann das zu mentalem Stress, Angststörungen, Depressionen und geringerer Arbeitsproduktivität führen.
Dr. Laura Wendt, NeurowissenschaftlerinTweet
Problematisch: Wer offen kommuniziert, wirkt sympathischer
„Dazuzugehören ist mit unser wichtigstes Bedürfnis“, sagt Wendt. Aktivitäten wie das Firmen-Angrillen oder das Feierabendbier können daher zu einem großen Stressfaktor werden. Hinzu kommt: Wer wenig Privates erzählt, weckt Misstrauen und vermittelt den Eindruck, nicht interessiert oder kommunikativ zu sein, irgendetwas zu verstecken. „Zahlreiche Studien zeigen, dass die Sympathieträger die Boni erhalten oder für Beförderungen vorgeschlagen werden“, sagt Wendt. Und es ist nicht nur, dass die Karriere darunter leidet: „Wenn wir das Gefühl haben, dass unser Gesamt-Ich nicht akzeptiert wird, kann das zu mentalem Stress, Angststörungen, Depressionen und geringerer Arbeitsproduktivität führen.“
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Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung
Laut der Studie der Antidiskriminierungsstelle gaben drei Viertel aller Befragten an, dass sie im Job schon sozial ausgegrenzt und gemobbt wurden. Jeder Zehnte wurde aufgrund seiner sexuellen Orientierung sogar entlassen, versetzt oder gar nicht erst eingestellt. Wendt ergänzt typische Erlebnisse aus den USA: „30 Prozent aller LGBTQI+ müssen schon im ersten Jobinterview blöde Sprüche ertragen.“ Feedback, wie „Ist kein Problem, dass du schwul bist, du siehst ja nicht so aus“, gehört auch dazu.
Aus Stereotypen und Klischees werden Mikroverletzungen
Damit dieser Umgang weniger unbeholfen wird, sei es laut Wendt wichtig, im Team zu fragen: Wie reden wir miteinander und übereinander? Wie verhalten wir uns? Sätze wie „Boah, ist das schwul!“ verletzen, auch wenn sie nicht diskriminierend gemeint sind. Die Stimmlage anzupassen, wenn man etwa mit Schwulen spricht, sollte ebenfalls ein No-Go sein. Aus Stereotypen und Klischees entstehen diese sogenannten Mikroverletzungen schnell.
Wie das Umfeld auf ein Outing reagiert
Ändert sich etwas, wenn Menschen sich outen? „Das nimmt auf jeden Fall den Druck, ständig Energie dafür aufbringen zu müssen, in zwei parallelen Welten unterwegs zu sein“, sagt Laura Wendt. Aber man weiß eben nicht, ob das Umfeld dann auch sein Verhalten ändert. Oft werden nach dem Outing Grenzen überschritten: Das beginnt vermeintlich harmlos, wenn der schwule Kollege gefragt wird, wie die Brüste im neuen Top aussehen, oder als neuer bester Fashion-Freund bezeichnet wird. Nicht selten werden Bisexuelle gefragt: „Also bist du offen für alles?“ und Schwule: „Führt ihr auch eine offene Beziehung?“
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Medien beeinflussen 'Unconscious Biases'
Viele, die LGBTQI+ hören, hätten eben sofort das Bild halbnackter Körper auf Paraden und Sexpartys im Kopf, erzählt Wendt. Deshalb sei der Einfluss der Medien nicht zu unterschätzen. Die haben einen großen Anteil an Unconscious Biases – unseren unbewussten Stereotypen. Und daran, welche Attribute bestimmten Personengruppen zugeschrieben werden: ob der bisexuellen Kollegin etwa unterstellt wird, dass sie egoistisch sei und man ihr nicht trauen könne.
Wir haben nicht nur Aufklärung im Unternehmen und ändern unsere Kultur – wir wissen auch, dass diese Menschen einen steinigeren Weg haben.
Dr. Laura Wendt, NeurowissenschaftlerinTweet
Was eine tolerante Unternehmenskultur ausmacht
Für mehr Offenheit und Toleranz empfiehlt Wendt, intern ein Netzwerk zu gründen und das als Unternehmen stolz nach außen zu tragen. Zur Sensibilisierung können Trainings und Workshops angeboten werden, wie sie selbst es für Kearney macht. Auch Siemens, Vodafone und Otto haben LGBTQI+-Netzwerke. Bosch hat 2006 „RBgay“ gegründet und stellt so sicher, dass es in allen Unternehmensbereichen verbündete Mitarbeiter gibt, die dafür sorgen, dass Vorurteile und Diskriminierungen angesprochen werden können. „LGBTQI+-Netzwerke drücken aus: Wir haben nicht nur Aufklärung im Unternehmen und ändern unsere Kultur – wir wissen auch, dass diese Menschen einen steinigeren Weg haben. Und deswegen unterstützen wir sie, machen Veranstaltungen, lassen sie zu Wort kommen und lernen von ihnen, was sie trifft und wie wir sie besser integrieren und fördern können“, sagt Wendt über „Proud“, Kearneys Netzwerk. Eingeladen sind dort übrigens immer alle Mitarbeiter. Da es nicht nur um die Förderung von Vielfalt geht, sondern auch um Inklusion – und das beinhaltet eben jeden.
Outing oder Nicht? Das sagen LGBTQI+
Ich oute mich nicht aktiv. In meinem letzten Job habe ich mich ganz bewusst gegen ein Outing entschieden, obwohl die Hälfte meiner Kollegen ebenfalls schwul war. Schlechte Erfahrungen hatte ich vorher keine gemacht, aber ich denke einfach, dass es keinen Unterschied für meine Mitmenschen machen sollte, ob ich jetzt hetero- oder homosexuell bin. Verheimlicht habe ich es aber auch nicht. Kollegen, die Freunde geworden sind, haben natürlich mitbekommen, dass ich einen Freund habe. Irgendwann hat es aber mal jemand auf der Arbeit ausgeplaudert, was mich dann doch ziemlich genervt hat. Denn ab diesem Zeitpunkt wurde regelrecht danach gesucht, welche Klischees ich bediene. (Andrés, 28)
In jedem Land ist es anders. Beruflich bin ich viel unterwegs. In unserem Pariser Büro muss man gar nicht darüber reden, ob queere Leute akzeptiert sind – so normal ist das. Anders ist es in meinem Heimatland Spanien. Da wurde mir neulich erst gesagt, dass ich meine Bisexualität geheim halten sollte, wenn ich hier irgendwann noch mal arbeiten wolle. Dabei mache ich meinen Job gut, wie alle anderen auch. Vielleicht strenge ich mich sogar noch mehr an, denn ich möchte eine tolle Karriere haben – und meiner Familie beweisen: Ich kann sein, wer ich bin, und für die Leute ist das okay. Manchmal kommt es vor, dass mir Menschen, die ich erst seit zwei Minuten kenne, Fra- gen über mein Sexleben stellen. Das ist unangenehm. Aber wenn ich von Kunden brutal diskriminiert werde, reagiere ich da nicht drauf. Denn bei Sprüchen wie: „Du bist gay, du hast es nicht verdient, hier zu sein“, läuft man mit Abwehr nur gegen eine Wand – und das ist es, was wehtut. In solchen Fällen greift aber unser LGBTQI+-Netzwerk ein. (Maria, 35)
Die Unterstützung war groß. Ich bin eine lesbische Transfrau und gehe offen damit um. Da ich einfach nicht mehr als Mann leben konnte, habe ich mich Anfang des Jahres – nach dem Motto „Take it or leave it“ – via E-Mail an alle geoutet. Darin stand zum Beispiel mein neuer Name und ein kleines bisschen zum Hintergrund meiner Geschichte. Bis auf wenige Ausnahmen war die Akzeptanz und Unterstützung groß – vor allem von zwei wundervollen Kolleginnen, die mir bei diesem Schritt zur Seite standen. Und ohne die Unterstützung meiner Frau hätte ich das nicht geschafft. Im Unternehmen hat sich für mich bisher nichts geändert. Doch wer weiß, was es für zukünftige Jobangebote bedeutet? Wir kennen ja den Gender Pay Gap und die strukturelle Diskriminierung von Frauen. (Laura, 32)
Meine Kollegen schätzen das Vertrauen. Ich glaube, dass ich es als lesbische Frau in einem männlich dominierten Umfeld leichter habe. Im Job gab es noch nie ein Problem mit meiner Homosexualität. Meine Kollegen sagen mir, dass sie es schätzen, dass ich ihnen das Vertrauen schenke, indem ich offen sage, dass ich lesbisch bin. Als ich 2003 bei Bosch anfing, war ich sehr zurückhaltend – wobei es sicher normal ist, erst mal zu schauen, auf welches Terrain man sich begibt. Auf Tagungen oder Dienstreisen geht es beim Bier ja auch mal ums Private. Einem Kollegen, mit dem ich viel zusammenarbeite, habe ich als Erstem erzählt, dass ich nicht mit einem Mann, sondern einer Frau zusammen bin. Bei neuen Kollegen sage ich neutral „meine bessere Hälfte“, bis man sich besser kennt. (Silke, 40)
Dr. Laura Wendt ist Neurowissenschaftlerin und Global Leader of Culture & Inclusion bei der Unternehmensberatung Kearney. Auf emotion.de erklärt sie auch drei Probleme, die Frauen im Job ausbremsen - und wie wir sie lösen.
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