Filterblasen, Datenkraken und Cyberstalking – im Netz lauern einige Gefahren, die uns alle etwas angehen. Was mit unseren Daten im Internet passiert und wie digitale Selbstverteidigung funktioniert, erklärt Datenexpertin Luise Görlach im Interview.
EMOTION: Frau Görlach, wofür setzen Sie sich ein?
Luise Görlach: Ich möchte Menschen dabei helfen, mehr Bewusstsein für das Thema Daten zu entwickeln. Dass sie sich damit beschäftigen, was ihre Daten sind, wo und wie diese erhoben werden, was mit ihnen im Internet passiert und inwiefern Daten Auswirkungen auf ihren Alltag haben. Unsere Realität wird von Daten bestimmt. Deswegen liegen Datenschutz und Datensicherheit mir sehr am Herzen. Meine Vorträge und Beratungen richten sich an unterschiedliche Zielgruppen, wie Frauenhäuser, Pädagog:innen und Jugendliche. Bei meiner Arbeit geht es auch darum, wie das Internet uns als Gesellschaft bestimmt. Ich möchte Menschen dazu anregen, zu hinterfragen, wie wir uns im Internet präsentieren wollen. Heute hat jede:r auch ein digitales Ich, das man ganz bewusst formen kann.
Lust auf eine Impulse, die Mut machen? Inspiration gibt's beim EMOTION Women's Day! Luise Görlach ist Expertin für digitale Selbstverteidigung und Speakerin beim EMOTION Women's Day am 19. Mai 2022. Beim EWD gibt sie Tipps für mehr Sicherheit im Homeoffice.
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Um welche Daten geht es, die von uns im Netz erhoben werden?
Es geht damit los, dass Daten davon gesammelt werden, welche Mausbewegungen wir machen oder bei welchem Bild wir anhalten, um es uns genauer anzugucken, wenn wir auf Instagram den Feed durchscrollen. Das bringt uns zum Problem der Filterblasen. Über den Algorithmus, der fortlaufend mit unseren Daten gefüttert wird, werden uns zukünftig mehr Dinge angezeigt, die uns vermeintlich gefallen. Und "vermeintlich" kann ich gar nicht oft genug betonen, da wir gar nicht wissen, in welche Kategorien wir gesteckt werden. Filterblasen schränken unseren Blick ein. Wir verlieren nicht nur die neutrale Sicht auf das Internet, sondern auch die neutrale Sicht auf die Welt. Weil das Internet nunmal unser Tor zur Welt ist. Schlimmstenfalls führt das dazu, dass wir nicht mehr offen sind für andere Meinungen, Lebensweisen und Lebensmodelle. Was wir in den letzten fünf Jahren beobachtet haben, ist, dass Menschen immer mehr zu Extremismus neigen, anfälliger für Populismus sind und schneller in Verschwörungstheorien abrutschen. Facebook, Instagram, der Twitter-Feed verstärken eine sehr selektive Wahrnehmung.
Filterblasen schränken unseren Blick ein. Wir verlieren nicht nur die neutrale Sicht auf das Internet, sondern auch die neutrale Sicht auf die Welt.
Luise Görlach, DatenexpertinTweet
Manchmal ist es schwierig, Gefahren überhaupt zu erkennen. Haben Sie ein Beispiel?
Datenkraken finde ich richtig gruselig. So werden große Technologiekonzerne bezeichnet, deren Geschäftsmodell vor allem darauf basiert, unsere Daten zu sammeln. Aufgrund unserer Daten erstellen sie dann Personas und verkaufen diese an Werbefirmen oder Unternehmen, die Werbung machen. Leider haben wir dabei immer weniger Kontrolle über unsere Daten.
Stimmt es, dass Datenkraken, wenn wir uns auf Social Media nicht ausloggen, mitverfolgen können, auf welchen anderen Seiten wir surfen?
Ja, das stimmt. Es ist sogar noch schlimmer. Selbst wenn man kein Profil in den sozialen Medien hat, sammeln sie trotzdem Daten. Etwa über Drittanbieter-Cookies. Und zwar immer wenn man Websites besucht, die beispielsweise einen Facebook- oder Twitter-Button auf ihrer Seite eingebunden haben. Informationen über die IP-Adresse, den aktuelle Standort und sogar über das Gerät werden dann an das Netzwerk gesendet. Aber die gute Nachricht ist, dass man diesen Datentransfer deaktivieren kann.
Was sagen Sie zu Menschen, die meinen: Ich habe auf Social Media nichts zu verstecken?
Die Frage ist immer, vor wem man Daten schützt. Vor wem habe ich nichts zu verbergen? Die wenigsten werden etwas vor der Polizei zu verbergen haben. Als Datenbündel kann unsere digitale Identität in alle möglichen Hände geraden. Technisch ist es längt möglich, dass Versicherungen unsere Bewegungsprofile kennen oder die Bank unseren Amazon-Warenkorb. Glücklicherweise haben wir in Europa die Datenschutzgrundverordnung, die wirklich gut ist und uns schützt. Dadurch müssen Unternehmen in Bezug auf die Datenverarbeitung transparenter sein. In vielen Bereichen wird ja nicht umsonst gesagt, dass kein Whatsapp oder Google-Produkte genutzt werden dürfen, weil die Server in den USA stehen und somit nicht geschützt sind.
Als Datenbündel kann unsere digitale Identität in alle möglichen Hände geraten. Technisch ist es längst möglich, dass Versicherungen unsere Bewegungsprofile kennen oder die Bank unseren Amazon-Warenkorb.
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Wenn wir über unser digitales Ich nachdenken, sollten wir darüber nachdenken, woraus es besteht. Es geht nicht nur um Dinge, die wir hochladen. Wo wir vielleicht meinen, dass es doch gar nicht so schlimm ist, wenn die ganze Welt weiß, was wir zum Mittag gegessen haben. Es geht auch um Metadaten. Soziale Netzwerke wissen ganz genau, mit welchem Gerät, wann, wo und wie ein Foto aufgenommen wurde. Diese Daten sind viel interessanter, weil sie sich gut kategorisieren und verkaufen lassen. Es gibt natürlich Apps, um Metadaten von Bildern zu entfernen. Aber wer macht sich diese Mühe? Wenn es um die IP-Adresse geht, möchte ich sie zum Beispiel verbergen, wenn ich mir einen Flug buche. Bin ich mit einem Apple-Gerät in Berlin Mitte unterwegs, wird mir nämlich systematisch ein teurerer Flug angezeigt, als würde ich mit einem Android-Gerät in Neukölln einen Flug buchen. Da können wir einfach Geld sparen und schon allein deswegen lohnt es sich, diese Daten zu verbergen. Sie haben eben nicht nur einen Einfluss darauf, wie wir im Internet agieren, sondern auch auf die analoge Welt. Leider verbinden die meisten Datenschutz damit, dass sie noch mehr Passwörter anlegen müssen. Im Grunde sind es aber nur Kleinigkeiten, die sich mit zwei, drei Klicks ändern oder vermeiden lassen.
Was kann man sofort umsetzen für mehr Sicherheit im Netz?
Die absolute Basis ist der Mindshift von "Ich habe nichts zu verbergen" hin zu "Wen geht das eigentlich etwas an?" Dieser gesunde Zweifel ist die optimale Voraussetzung für mehr digitale Selbstverteidigung. Weiter geht es damit, einen Browser zu haben, der die Daten nicht ständig weiterleitet. Da empfehle ich Brave. Firefox ist auch super, aber da muss man mehr in den Einstellungen machen. Generell gilt es, Google-Produkte vermeiden. Auch wenn ich weiß, dass das schwer ist. Mittlerweile gibt es allerdings zu jedem Google-Produkt eine ganz gute Alternative. Dann hilft es, sich mehr damit auseinander zu setzen, wer die Datenkraken sind und was sie machen. Das Ziel ist nicht, sie zwangsläufig alle zu vermeiden, sondern bewusst zu hinterfragen, was mit den Daten passiert und welche Folgen das hat. Sowohl im Browser als auch in den Einstellungen des Geräts, mit dem man online ist, kann man die Weiterleitung von Cookies an Drittanbieter unterbinden. Direkt am Laptop, Smartphone oder Tablet kann man in gerade einmal fünf Minuten super viel verändern. Zum Beispiel indem man in den Datenschutzeinstellungen nachguckt, welche Apps welche Berechtigungen brauchen und welche ausgestellt werden können, weil die App auch ohne sie funktioniert.
Google Maps muss keine Zugriffe auf meine Kamera und mein Mikrofon haben.
Luise Görlach, DatenexpertinTweet
Was sollten Menschen, die im Homeoffice arbeiten, besonders beachten?
Die Tipps zur digitalen Selbstverteidigung können alle nutzen. Aber natürlich hat es eine andere Gewichtung, ob ich als Privatperson im Internet unterwegs bin oder als Unternehmen. Wenn es um personenbezogene Daten von unseren Kontakten geht, sind wir eine Art Treuhändler, der die Daten im Interesse seiner Kontakte verwalten sollte. Klicke ich als Privatperson an, dass Whatsapp mein Telefonbuch nutzen kann, dann hat Marc Zuckerberg die Nummer meiner Oma. Vielleicht ist das nicht ganz so schlimm, auch wenn ich finde, dass es ihn nichts angeht. Aber wer den Zugriff auf das Telefonbuch als Unternehmen freigibt, hat dann super sensible Daten freigegeben, die plötzlich auf US-Servern liegen, wo es keine klaren Regelungen beziehungsweise Einblicke gibt, wie Daten verarbeitet oder weitergegeben werden. Deswegen ist es wichtig, sich auch im Homeoffice mit Datenschutz zu beschäftigen, da es ganz andere rechtliche Konsequenzen gibt, wenn ich in meinem Unternehmen Whatsapp nutze und das bei der Datenschutzbehörde ankommt. Das kann richtig teuer werden.
Heute haben viele Kinder schon früh ein eigenes Smartphone. Worauf sollten Eltern besonders achten?
Kinder verbringen heute viel größere Teile ihres Lebens online. Das bedeutet, dass von der Kindheit an Daten von ihnen erhoben werden. Das macht sie noch viel gläserner als die, die so wie ich erst mit Anfang 20 im Internet unterwegs waren. Die Einflüsse, die das Internet auf Kinder hat, sind außerdem sehr viel größer. Weil Kinder anders formbar sind, ein anderes Bewusstsein für Gefahren haben, neugieriger sind und mehr nach Vorbildern suchen. Das bringt uns zurück zu den Filterblasen. Nicht zuletzt rechte Parteien nutzen das, um Nachwuchs zu rekrutieren. Wir sollten Kinder deshalb schon von Kleinauf dafür sensibilisieren, dass das Internet-Ich auch Teil des analogen Ichs ist. Das können wir nicht mehr voneinander trennen und sollten das auch gar nicht versuchen. Natürlich können wir dem Kind verbieten, das Internet zu nutzen, bis es 18 ist. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass das funktioniert? Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir gemeinsam mit Kindern, Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften überlegen, wie wir die Medien so nutzen können, dass sie uns dienlich sind und gleichzeitig ein Bewusstsein für die Gefahren entwickeln.
Ist Selbstschutz im Netz eigentlich auch ein feministisches Thema?
Ja. Gerade wenn es um digitale Mündigkeit geht, ist das ein großes Thema. In meiner Arbeit mit Frauenhäusern habe ich ganz oft die Erfahrung gemacht, dass viele Frauen dazu neigen, digitale Geräte dem Partner zu geben. Damit sich der Mann um die Einstellungen des Smartphones kümmert. Die Überzeugung, dass Technik Männersache sei, hängt mit klassischen Rollenbildern zusammen. Leider sagen viele Frauen von vornherein, dass sie nichts von Computern verstehen. Das müssen sie aber nicht.
Die Überzeugung, dass Technik Männersache sei, hängt mit klassischen Rollenbildern zusammen. Leider sagen viele Frauen von vornherein, dass sie nichts von Computern verstehen.
Luise Görlach, DatenexpertinTweet
Wenn sich andere um die Einstellungen des Smartphones kümmern, kann dieses Vertrauen schnell missbraucht werden. Wie erkennt man, ob man von Cyberstalking betroffen ist?
Das ist schwer zu erkennen, weil es immer darauf ankommt, wer stalkt und was die Person will. Will die Person meinen Standort herausfinden? Könnte sie sich über mein Google Maps einloggen? Bei so etwas ist es relativ schwer zu sagen, was genau passiert, weil Cyberstalking viel subtiler stattfinden kann. Frauen sind signifikant häufiger von Cyberstalking betroffen als Männer. In den allermeisten Fällen geht das Stalking vom Ex-Partner oder Partner aus. Da kann man sich eigentlich nur an konkrete Hilfsstellen wenden, etwa an die Haeksen und an das "FRIEDA-Frauenzentrum" wenden, die sich in diesem Bereich engagieren, beraten und Präventionsangebote machen. Bis man da die Polizei überzeugt, irgendetwas zu machen, dauert es erfahrungsgemäß ewig. Und deshalb ist es wichtig, selbst aktiv zu werden. Zum Beispiel indem man sich über digitale Selbstverteidigung informiert und einige grundlegende Schritte beachtet.
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