Angst vor'm Gründen? Diese Learnings erfolgreicher Start-ups helfen dir beim Loslegen
25.02.2022
Judith Keßeler
Wer gründet, springt dabei früher oder später ins kalte Wasser – das kann einem ganz schön Angst machen. Doch du bist damit niemals allein! Wir haben die Gründer:innen vier erfolgreicher Start-ups nach ihren größten Zweifeln und wichtigsten Learnings gefragt.
Josephine Drews, Gründerin von FEMgmt
FEMgmt ist ein Künstler:innen-Management für Content Creator:innen aus dem Bereich Frauen, LGBTQIA+ und Diversity. Josephine Drews war 2020 die Erste, die ein Management mit diesem Schwerpunkt in Deutschland gründete. Dafür tauschte sie mitten in der Pandemie ihren sicheren Arbeitsplatz gegen die Selbstständigkeit ein. Auf ihrer Website schreibt die Anfang 30-Jährige, es sei die richtige Zeit gewesen für diesen Sprung, "weil es nötig und wichtig und unabdingbar ist, dass ich springe, denn ich will etwas verändern in dieser Branche."
EMOTION: Hattest du während der Gründung Zweifel? Wie bist du damit umgegangen?
Josephine Drews: Um direkt mit beliebten Start-up- und Gründungsmythen aufzuräumen, die im normalen PR-Narrativ viel zu oft vorkommen: Natürlich. Wer beim Beschreiten neuer Wege und dem Aufbau eines eigenen Business nicht auch Zweifel spürt, läuft meiner Meinung nach Gefahr, in viel schlimmere Fallen zu tappen, als jemand, der oder die eigene Vorgehensweisen kritisch hinterfragt. An der philosophischen Grundidee und dem Gedanken hinter meinem Management habe ich nie gezweifelt, nur an einzelnen "Wies". Um hier eine meiner Creatorinnen, Phenix, zu zitieren: "Warte nicht darauf zu denken, dass du es kannst. Fang’ an und dabei lernst du, es zu können." Habe ich Ahnung von Steuerdingen? Nein. Habe ich gute Menschen gefunden, die mir hier unter die Arme greifen und denen ich vertraue? Ja.
Learning by doing und die Bereitschaft, sich helfen zu lassen, sind meiner Meinung nach die beiden Grundpfeiler in der Gründungsphase.
Josephine Drews, Gründerin und Geschäftsführerin FEMgmtTweet
Welches sind deine wichtigsten Learnings aus der Gründung?
Vertraue auf dein Bauchgefühl. Du wirst vielen Menschen während der Gründung begegnen, die nur dein Bestes wollen. Zumindest versprechen sie das. Höre dann auf deine Intuition und wenn du bei einer Person zweifelst, dann lass es lieber sein. Versuche dabei aber dein Schubladendenken beiseite zu schieben und den Menschen wertfrei und offen zu begegnen. Das fördert Mehrwert und Synergien für alle Beteiligten und sorgt auch für echte Überraschungen.
Baue dir ein Netzwerk auf. Niemand weiß alles. Wenn du etwas nicht weißt, stelle Fragen und sprich aktiv Menschen an, die dir helfen können. Angst vor der eigenen Courage und falscher Stolz sind dabei nur Steine, die du dir unnötig selbst in den Weg legst. Je mehr du dich mit anderen Personen aus deiner Branche austauschst, desto mehr wirst du in den Köpfen der Menschen bleiben und das wird sich wiederum langfristig auszahlen.
Better done than perfect. Es ist immer besser, zu machen, zu handeln und hinterher zu schauen, was man eventuell hätte besser machen können, als ewig zu warten, zu feilen und alles in der Theorie zu verbessern, um dann in der Praxis zu sehen, das alles hinfällig ist. Just do it!
Glaub nicht alles, was dein Kopf denkt.Das Impostor-Syndrom ist völlig normal, aber dennoch ein fieser Begleiter während der Gründung. Zudem ist Deutschland kein Gründerinnen-freundliches Land. Sei deshalb darauf vorbereitet, dass es viele Nörgler und Bremser geben wird, die generelle Zweifel an allem anmelden, was du dir aufbauen willst. Zieh dein Ding durch und limitiere die Zahl der Leute, auf die du wirklich hören willst.
Was hättest du gerne früher gewusst?
Ich hätte gerne früher, bzw. vorher gewusst, wie sehr mir die Selbständigkeit gefällt und zu mir passt. Ich arbeite quantitativ deutlich mehr als vorher in "normaler" Lohnarbeit, aber es ist ein komplett anderes Gefühl und stärkt mich auf eine ganz andere Weise.
Was würdest du deinem früheren Ich in der Gründungsphase gerne sagen?
Was ich allen Neu-Gründer:innen und meinem früheren Ich gerne und eindringlich sagen will: Schaff dir deinen eigenen Arbeitsrhythmus. Nine to five ist nur gelernt, nicht in Stein gemeißelt. Mach Pausen. Mach mehr Pausen als du glaubst, machen zu müssen, iss gute Dinge und beweg dich. Wenn dein Hirn auf Hochtouren läuft und ständig gechallenged wird, muss es einen Tank haben, der voll ist. Ein Akku, der nie aufgeladen wird, geht kaputt und nützt niemandem – am wenigsten dir selbst.
Madeleine von Hohenthal und Benjamin Wenke, Gründer:innen von Bracenet
BRACENET hat es sich zur Aufgabe gemacht, unsere Meere von Geisternetzen, also alten Fischernetzen, die als Müll im Meer die Umwelt und vor allem Tiere gefährden, zu befreien. Die Netze werden recycelt und zu neuen Produkten verarbeitet. Fünf Tonnen Geisternetze hat BRACENET bereits upgecycelt, durch den Verkauf der Produkte kamen bereits über 185.000 Euro Spendengelder zusammen. Madeleine von Hohenthal und Benjamin Wenke gründeten BRACENET 2015, nachdem ihnen beim Tauchen im Urlaub unzählige Geisternetze begegneten. Zunächst war BRACENET ein Projekt neben ihren sicheren "Hauptjobs" in großen Unternehmen, zwei Jahre später kündigen beide und stiegen voll ein.
EMOTION: Hattet ihr während der Gründung Zweifel? Wenn ja, wie seid ihr damit umgegangen?
Madeleine von Hohenthal & Benjamin Wenke: Definitiv, Zweifel vor diesem lebensveränderten Schritt gehören einfach dazu. Ist die Idee oder das Projekt noch so gut, kann keiner vorab in die Zukunft schauen und wissen, welche Hürden, äußeren Einflüsse, Probleme, etc. auf einen zukommen. Das gute an den Zweifeln ist, sie helfen einem dabei, immer wieder an der Idee zu feilen und den Schritt zu wagen, wenn man glaubt, dass man alles bedacht hat.
Welches sind eure wichtigsten Learnings aus der Gründung?
Im besten Falle gründet man nicht ganz allein. Eine:n Sparringspartner:in an der Seite zu haben hilft immens. Man kann sich mit jemanden austauschen der oder die im gleichen Boot sitzt und die Vision teilt. Es wird einem gerne vermittelt, dass man, wenn man gründet, sein bisheriges Leben, samt Freunden, Familie und Freizeit für die kommenden Monate ganz hinten an stellen sollte. Wenn man sich jedoch 24/7 nur mit der Realisierung seiner Idee befasst, bekommt man sehr schnell einen Tunnelblick und die Motivation geht verloren. Deshalb ist es wichtig, ab und zu durchzuatmen einen gewissen Abstand zu seinem Projekt zu haben, um wieder den Blick für’s Wesentliche und die Vogelperspektive einzunehmen.
Wenn man sich 24/7 nur mit der Realisierung seiner Idee befasst, bekommt man sehr schnell einen Tunnelblick und die Motivation geht verloren.
Madeleine von Hohenthal & Benjamin Wenke, Gründer:innen von BRACENETTweet
Was würdet ihr eurem früheren Ich in der Gründungsphase gerne sagen?
Dem früheren Ich würden wir gar nichts sagen – denn es ist sehr hilfreich zu Beginn eine gewisse Naivität zu haben und mögliche Hürden und Probleme auszublenden, die einen sonst vielleicht vor dem finalen Gründungsschritt abschrecken würden. Außerdem war im Nachhinein jeder einzelne und noch so ärgerlicher Fehler ein wichtiges Learning für die Zukunft.
Sophie Rönnau und Christina Rüschhoff, Gründerinnen von Einhorn-Coaching
Einhorn-Coaching bietet Coachings, Weiterbildungen und Persönlichkeitsentwicklung für Teams und Einzelpersonen an. Das Besondere dabei: Das Ganze findet nicht drinnen vor dem Flipchart statt, sondern draußen auf dem Land, direkt vor den Toren Hamburgs, in lockerer Atmosphäre, mit Pferden, Bier und Lagerfeuer. Die beiden Gründerinnen führen Einhorn-Coaching seit 2019 neben ihren alten Jobs und hatten schon Mitarbeitende großer Konzerne, aber auch Start-ups und Kita-Teams auf "ihrer Wiese".
EMOTION: Hattet ihr während der Gründung Zweifel? Wenn ja, wie seid ihr damit umgegangen?
Sophie Rönnau & Christina Rüschhoff: Nein, hatten wir tatsächlich nie. Anfangs waren wir noch zu dritt und unsere Mitgesellschafterin war voll von Zweifeln – im Coaching würde man von "Bedenkenträgerin" sprechen. Wir haben viel Zeit und Energie investiert, um ihr die Ängste zu nehmen – aber das funktioniert einfach nicht. Du kannst jemanden nicht zu einer Gründung überreden. Deshalb würden wir sagen: Respekt zu haben ist gut und gesund. Aber wenn du wirklich Zweifel hast, sind diese vielleicht auch berechtigt und du solltest schauen, ob es für dich wirklich das Richtige ist. Wir sind heute jedenfalls zu zweit sehr viel stärker und schneller unterwegs – auch wenn das keine leichte Entscheidung war.
Welches sind eure wichtigsten Learnings aus der Gründung?
Trau dich, frühzeitig über deine Geschäftsidee zu sprechen und dich zu vernetzen. Wir haben den Eindruck, dass viele Menschen erst mit ihrem Thema „raus gehen“, wenn alles perfekt zu Ende gedacht ist. Dabei sind Reaktionen und Fragen deines Umfelds doch wertvolles Feedback, das du nutzen kannst. Und wir sind sicher: niemand wird dir deine Ideen klauen, also hab keine Angst. Was für uns auch gut funktioniert hat: "Nebenher" gründen – also parallel zu einer Festanstellung. Das nimmt viel Druck raus und eröffnet einen unbeschwerten Gestaltungspielraum.
Was würdet ihr eurem früheren Ich in der Gründungsphase gerne sagen?
High five! Nein, im Ernst: Wir würden unseren früheren Ichs sagen, dass wir furchtbar stolz sind: Ihr habt euch nicht abhalten lassen und eure Idee Schritt für Schritt verfolgt. Habt viel Geld in die Hand genommen, die richtigen Entscheidungen getroffen und aus schlechten gelernt. Lasst euch von niemandem verunsichern. Nicht jede:r findet gut, was ihr da macht. Aber die meisten eben schon – also, go for it!
Nina Julie Lepique, Gründerin von femtasy
Die Streamingplattform femtasy.com bietet erotische Hörgeschichten, zugeschnitten auf die sexuellen Bedürfnisse von Frauen. Nina Julie Lepique gründete femtasy 2018 gemeinsam mit ihrem Partner Michael Holzner. Um ihre Idee zu verwirklichen, kündigte sie ein Jahr vor der Gründung, mit 23 Jahren, ihren gut bezahlten Job und untersuchte zum Start der Streaming Plattform die Bedürfnisse potenzieller Nutzer:innen mit unterschiedlichsten sexuellen Orientierungen und Lebensstilen.
EMOTION: Hattest du während der Gründung Zweifel? Wenn ja, wie bist du damit umgegangen?
Nina Julie Lepique: Die Gründungsphase ist emotional extrem intensiv auf verschiedenen Dimensionen und natürlich haben mich in der Zeit auch viele Herausforderungen umgeben. Allerdings war für mich von Beginn an klar, dass die Idee und die Mission hinter femtasy sinnvoll und echt stark sind. Diese tiefe Überzeugung hat mich die meisten echten Zweifel schnell verwerfen lassen. Ich würde behaupten, dass meine größten Sorgen zu Beginn ganz operative Themen betroffen haben, wie zum Beispiel, "wie finden wir genügend Talente die für uns unsere Audioaufnahmen einsprechen", oder "wie bekommen wir für wenig Geld einen ersten Protoypen der Website gebaut, der dann auch Investoren überzeugt". Im Laufe der Gründung und mit wachsendem Erfolg haben sich die Herausforderungen natürlich verändert und sind teilweise strategischer geworden. In Summe begegne ich Herausforderungen immer mit einer gesunden Portion Struktur und Lösungsorientierung, sowie meinem festen Glauben, dass die Idee zu gut ist, um an solchen Themen zu scheitern.
Welches sind deine wichtigsten Learnings aus der Gründung?
Neben den ganzen Klassikern:
The power of a community! Sich möglichst früh mit anderen Gründer:innen zusammenzutun, die wahrscheinlich gerade ähnliche Probleme haben oder hatten, hilft total, um möglichst schnell zu lernen und Lösungen zu finden.
User Research ist in der frühen Phase für femtasy extrem mächtig gewesen. Im Nachhinein war es eines meiner größten positiven Learnings, wie lange wir von den Erkenntnissen des umfangreichen Researches vor unserem Launch gezehrt haben und wie nachhaltig es uns Fokus für die ersten Monate gegeben hat.
Ein weiteres Learning war für mich, wie hilfreich die Zusammenarbeit mit Medienmarken im Rahmen unsere Launches war. PR hat uns in den ersten zwölf Monaten einen richtig guten Boost gegeben und uns geholfen, uns zu etablieren. Hier war es für mich auch sehr lehrreich zu sehen, wie verschiedene Journalist:innen die Gründungsgeschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten.
Was hättest du gerne früher gewusst?
Ich hätte gerne früher den Erfolg von company value-basiertem Recruiting (Anm. der Red.: Auswahl von Personal auf Grundlage individueller Werte und Verhaltensweisen, die mit den Unternehmenswerten übereinstimmen) gekannt, um mich früher und stringenter daran zu halten.
Was würdest du deinem früheren Ich in der Gründungsphase gerne sagen?
Ich würde meinem früheren Gründungs-Ich bestimmt sowas sagen wie: "Vertraue deiner Intuition beim Thema Recruiting – und zwar immer".