Im Management muss ein Umdenken zu mehr Diversität stattfinden, fordert Ana-Cristina Grohnert. Denn Diversität tut nicht nur Menschen gut, sie sorgt auch dafür, dass Unternehmen erfolgreicher werden.
Ana-Cristina Grohnert hat es als eine von wenigen Frauen bis in die Vorstandsetage großer deutscher Unternehmen geschafft. Sie war Personalvorstand bei der Allianz Deutschland und Managing Partner bei der Big-Four-Beratungsgesellschaft
EMOTION: Liebe Frau Grohnert, Sie setzen sich für eine diverse Arbeitswelt mit einem offenen Mindset ein. Wie weit entfernt sind wir davon in der Realität noch?
Ana-Cristina Grohnert: Wir sind aktuell – auch wegen Corona – in einer riesigen Transformation der Wirtschaft. Wir sehen in Studien deutliche Erfolge bei den Unternehmen, die sich auf die Reise hin zu einer diversen Arbeitskultur begeben haben. Ich beschäftige mich seit 15 Jahren mit dem Thema und beobachte innerhalb dieser Change-Prozesse, dass Vielfalt ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor ist. Bei denen, die sich nicht an den Diversity-Commitments der Charta (zum Beispiel dem Schaffen von Mitarbeitendennetzwerken, attraktiven Arbeitsplätzen für Frauen, einer offenen Unternehmenskultur und Flexibilität) beteiligen, geht es langsamer voran. Obwohl sich viel verändert hat, bewegen wir uns leider noch im Schneckentempo. Es gibt immer noch Unternehmen, die das Thema nicht auf der Agenda haben.
Sie kämpfen als Vorsitzende der Charta für Vielfalt für Diversität. Was tun Sie da konkret?
Die Charta der Vielfalt ist 2006 entstanden, um die Transformation der Arbeitswelt hin zur Diversität voranzubringen. Die Charta bietet eine Plattform, die Unternehmen auf dem Weg zur Diversität begleitet und eine Möglichkeit bietet, sich auszutauschen. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit Politik und Wissenschaft, zunächst Awareness zu schaffen – das kann durch Diversity-Tage oder Konferenzen entstehen. Wir wollen das Thema ganz oben auf die gesellschaftliche Agenda stellen und Unternehmen vernetzen, die Vielfalt hoch halten. Wir treten nicht an die Unternehmen heran, sondern die Menschen aus Unternehmen kommen auf uns zu.
"Die Transformation der Gesellschaft spiegelt sich in der Wirtschaft wider."
Wie können wir verkrustete Strukturen der Arbeitswelt aufbrechen? Denn der Großteil der Arbeitgeber:innen scheitert ja sogar schon daran, rund 11 Millionen Müttern flexible und gerechte Arbeitsmöglichkeiten zu gewähren.
In den meisten Unternehmen ist in den letzten 15 Jahren schon einiges passiert. Das Problem sind aber die Rollenbilder in der Gesellschaft. Die Frage ist, inwieweit sich in den Köpfen von Führungskräften die Akzeptanz durchsetzt, dass flexible Arbeitsmodelle funktionieren, und dass Menschen, die gerade nicht vor Ort sind, ihren Beitrag leisten. Virtuelles Führen ist eine unglaubliche Herausforderung in unserer Gesellschaft. Durchbrechen können wir das nur durch Öffentlichkeit und politischen Druck. Die meisten Unternehmen erkennen, dass sie das Arbeitspotenzial ihrer weiblichen Arbeitskräfte noch gar nicht voll ausnutzen. Der Fachkräftemangel, die öffentliche Diskussion, dass man viel zu viele Frauen dadurch verliert, lässt die Unternehmen aufwachen.
Was können Frauen im Job anders machen? Und was speziell Mütter?
Ich arbeite daran, dass die Mehrheitsgesellschaft sich ändert, nicht die einzelne Frau. Mentoring, Rhetorik für Frauen, Personal Branding – das schiebt immer die Verantwortung auf das Individuum. "Ich muss mich verändern" darf nicht das To-Do sein. Es ist Aufgabe der Gesellschaft und der Arbeitswelt, Frauen den Rahmen zu schaffen, sich entwickeln zu können. Das Thema 'Sichtbarkeit' ist ein allgemeines Karriereinstrument, aber für Frauen und Männer.
"Diversity ist nicht nur ein sozialer, sondern auch ein wirtschaftlicher Weg: Wenn Unternehmen die richtigen Bedingungen schaffen, bekommen sie immer die besten Leute."
Sie plädieren in Ihrem Buch „Das verborgene Kapital“ für werteorientierte Unternehmensführung und zukunftsorientierte Wertschöpfung - wie kriegen wir die in traditionelle Unternehmen rein?
Wir wünschen uns eine neue, empathische, gesunde und wachsende Gesellschaft. Arbeitgeber, die so agieren, sind attraktiv – besonders für Frauen und junge Menschen. Diversität ist auch ein Wirtschaftsfaktor, denn diverse Teams machen ein Unternehmen erfolgreicher. Ein Team ist dann erfolgreich, wenn jede:r, der dazu gehört, sich gesehen und aufgehoben fühlt. Deshalb ist es auch für Unternehmen, abgesehen von der sozialen Verantwortung, so wichtig, den einzelnen Menschen in den Vordergrund zu stellen.
"Nicht die einzelne Frau hat die Aufgabe, sich zu verändern, sondern die Gesellschaft muss sich ändern."
Inwieweit hat Corona die Arbeit der Charta weiter erschwert?
Wir merken nicht, dass das Thema Diversität insgesamt stagniert. Aber Corona hat einen Beitrag dazu geleistet, dass es für die Frauen im Beruf unglaublich schwierig geworden ist. Wir müssen jetzt global nochmal mehr darauf aufmerksam machen, dass Frauen benachteiligt werden. Die Awareness für Gleichstellung ist zwar größer geworden, aber die Benachteiligung genauso. Die Unternehmen müssen jetzt noch mehr machen.
Sie waren im Vorstand der Allianz, beraten seit Jahrzehnten Unternehmen. Welche Eigenschaften haben Ihnen zum Erfolg verholfen?
Ich bin menschenorientiert, ich bin neugierig und liebe Lebensgeschichten. Ich habe immer wieder mit neuen Menschen an verschiedenen Projekten gearbeitet, habe unterschiedliche Unternehmenskulturen kennengelernt. Das permanente Lernen in über 30 Jahren hat mich weitergebracht. Dieser Weg war für mich die Erfüllung.
"Mütter sind super Führungskräfte und wahnsinnig stressresilient. Diese Qualitäten wurden jahrelang unterschätzt."
Wie war es, als Mutter von drei Kindern eine solche Karriere zu machen?
Es war eine Lernreise. Mein Mann uns ich haben immer gleichberechtigt entschieden und flexibel in der Familie agiert. Mir ist viel Feedback begegnet, auch Negatives. 80% haben mich entsetzt gefragt, 'was machen denn ihre Kinder' und 20% waren aufgeschlossen und neugierig. Die Verteidigungsposition war anstrengend. Irgendwann habe ich mich den Neugierigen geöffnet und aus meiner Perspektive erzählt – damit es auch für andere selbstverständlicher wird. Es ist aber nicht leicht gewesen. Mit den eigenen Schuldgefühlen musste ich auch umgehen lernen. Wichtig ist, sich nicht irritieren zu lassen, von denen, die einem das eigene Lebensmodell aufzwingen wollen.
Buchtipp: "Das verborgene Kapital. Wie wir Wertschöpfung neu erfinden müssen." von Ana-Christina Grohnert
Wie können Unternehmen, wie kann die Wirtschaft zukunftsfähig bleiben und angesichts einer komplexen Realität dauerhaft gutes Geld machen? Indem wir alte Muster hinter uns lassen: weg vom kurzfristigen Gewinndenken, vom reflexhaften Personalabbau zur Kostensenkung, von Monokulturen in der Führungsetage. Ana-Cristina Grohnert zeigt in ihrem Buch auf, was sich ändern muss und wie der Übergang zu einer zukunftsorientierten Wertschöpfung aussehen kann.
"Das verborgene Kapital", Campus Verlag, 2021, 264 Seiten, 27,95 EUR.
Das verborgene Kapital existiert für mich auf drei Ebenen. Auf der individuellen Ebene sind es die Potenziale, die in jedem und jeder von uns stecken. Im Unternehmen ist es die Summe aller, die Vielfalt der Individuen und ihrer Potenziale. Und auf der gesellschaft- lichen Ebene ist es der Mehrwert, der durch das Prinzip Kooperation statt Konflikt entsteht.
Ana-Cristina Grohnert in "Das verborgene Kapital"Tweet
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