Sie berät Menschen, die mit ihrem Job Gutes tun wollen: Judith Hartmann von Talents4Good über das Arbeiten bei NGOs, Kulturschocks und die Frage nach dem Geld.
Will ich nicht eigentlich einen Job, der Sinn stiftet? Diese Frage stellen sich viele Menschen – und ihre Sehnsucht führt sie oft zu dem Sozialunternehmen Talents4Good mit Sitz in Berlin und München. Dort sucht, vermittelt und coacht man Menschen für den sogenannten Dritten Sektor – für Stiftungen, NGOs, Vereine und andere gemeinnützige Organisationen. Judith Hartmann arbeitet dort als Projektmanagerin.
EMOTION: Viele Menschen setzen sich zum Jahresbeginn neue Ziele. Habt Ihr jetzt Hochkonjunktur?
Judith Hartmann: Ich würde schon sagen, dass in den Wochen nach Silvester mehr Menschen anrufen und sagen: "Ich will mich beruflich verändern. Können Sie mal auf meinen Lebenslauf schauen, was meine Möglichkeiten wären?"
Was sind das für Menschen?
Oft ist den Menschen, die in unsere Workshops und Coachings kommen, etwas passiert im Leben, was sie auf diese Sinnfrage gebracht hat. Das ist häufig die Geburt von Kindern, es ist oft etwas im familiären Umfeld, wie Krankheit, bei dem man auf diesen Gedanken kommt: Was hinterlasse ich eigentlich der Welt?
Und ihre aktuelle Arbeit hat keine Antwort auf diese Frage?
Es gibt viele Menschen, die nicht oder nicht mehr wissen, wofür sie arbeiten. Die sehr lange einem Karrierepfad gefolgt sind, die gutes Geld verdient haben und auch lange Spaß an der Arbeit hatten. Und die aber irgendwie nicht mehr wissen, warum sie da morgens hingehen. Bei denen es nur noch um Quartalszahlen geht.
Was vermissen diese Menschen in ihren Jobs?
Viele sind so spezialisiert in ihren Funktionen, dass sie nicht mehr sehen, warum das eigentlich alles. Und wenn sie es sehen, dann sehen sie halt ein Auto oder eine Versicherungspolice und haben den Eindruck, das reicht nicht. Dafür hängt man sich 40 bis 60 Stunden die Woche rein. Da gibt es eine Desillusionierung.
Gibt es noch andere Motive?
In einer gewissen sozialen Schicht, in der man versucht, im privaten Leben nachhaltig zu leben, Bio zu kaufen, wenig zu fliegen, da nehmen Menschen eine fehlende Kongruenz wahr. Ich versuche privat ein guter Mensch zu sein und dann arbeite ich aber für ein Unternehmen, bei dem ich das nicht erkennen kann.
Ist das bei NGOs und Stiftungen anders?
Weniger Menschen im dritten Sektor stellen sich diese Sinnfrage. Es liegt auf der Hand, wenn ich in einer Kinderschutzorganisation arbeite, dass ich eine wertvolle Arbeit leiste. Und, was mir persönlich auch gefällt: Wenn ich in einer Umweltschutzorganisation arbeite, dann arbeite ich da in aller Regel auch mit umweltbewussten Menschen. Dann arbeite ich in einem Umfeld, das mich an meine eigenen Werte erinnert.
Das kann aber auch anstrengend sein, oder?
Klar, wenn ich meine Jacke mit dem Pelzkragen richtig kuschelig finde, im Büro aber von den Kollegen schief angeschaut werde und mich damit nicht wohl fühle, ist das vielleicht nicht das richtige Umfeld. Das versuchen wir in den Workshops und Coachings mit den Teilnehmenden herauszufinden.
Was soll ich mir überlegen, bevor ich wechsle?
Ich sollte mich fragen, zu welchen Themen ich mir vorstellen kann zu arbeiten. Mit was beschäftige ich mich, wenn mir keiner über die Schultern schaut? Was bringe ich eigentlich mit? Und zwar nicht: Was kann ich alles? Sondern: Was mache ich eigentlich gerne? Es bringt mir ja nichts, wenn ich in einem hochsinnhaften Arbeitsumfeld arbeite, aber mit einer Tätigkeit, die mir nicht liegt.
Wenn der Controller also eigentlich das Controllen satt hat, dann sollte er auch nicht in einer NGO controllen?
Genau, da wäre meine Vermutung, dass das nicht lange gut geht. Sinn alleine reicht ja auch nicht.
Was ist noch wichtig?
Geld. Bewerberinnen und Bewerber tun sich einen großen Gefallen, in sich reinzuhören, was brauche ich finanziell wirklich zum Leben? Selbst wenn ich schon gesagt habe, ich kann Abstriche machen, was ist denn der Betrag, der monatlich auf meinem Konto eingehen muss, über den ich mich dann auch nicht jeden Monat wieder ärgere? Gleichzeitig sollte man aber auch schauen, was eine Organisation neben dem reinen Gehalt bietet, etwa flexible Arbeitszeiten oder die Möglichkeit, regelmäßig Sabbaticals zu machen. Eine ehemalige Bankmanagerin erzählte mir neulich, sie hätte für ihren neuen Job in einem Sozialunternehmen auf über die Hälfte ihres Gehalts verzichtet, könne aber jetzt ihren Hund mit ins Büro bringen. Für sie war das ein guter Deal.
Worauf muss ich mich bei dem Gehalt einstellen?
Es kommt auf die Branche an, mit der man es vergleicht. Neulich war eine Teilnehmerin aus der Filmbranche in meinem Workshop, die hat sich total entspannt, als sie die Gehaltsbänder gesehen hat. Aber vergleicht man es mit mittelständischen Unternehmen oder großen Konzernen, gibt es auf jeden Fall einen Unterschied. Wir haben den Eindruck, dass es im Einsteigerbereich noch recht nah beieinander ist. Aber ab so fünf bis acht Jahren Berufserfahrung geht es relativ stark auseinander. Das liegt natürlich unter anderem daran, dass viele NGOs gar nicht so viele Aufstiegsmöglichkeiten haben, weil sie zu klein sind.
Meines Erachtens kann man von diesen Gehältern gut leben. Und es sagen viele, die gewechselt haben: Ich habe dafür auf anderen Ebenen so viel bekommen, mir geht es gut.
Gibt es denn eine Art Kulturschock, wenn man die beiden Welten zusammenbringt?
Ja, und solche Kulturschocks können positiv und negativ sein. Sehr positiv wird von Wechslern genannt, dass sie eine größere Autonomie haben, mit der sie ihre Arbeit gestalten können. Und dass sie mit ähnlich enthusiastischen Kollegen an einem Strang ziehen, egal ob für Kinderrechte oder gegen das Bienensterben. Wir hatten neulich einen Stiftungsvorstand zu Besuch, der zuvor in der Industrie gearbeitet hat, der sagte: Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben richtig spannende geschäftliche Meetings, ich treffe lauter inspirierende Menschen, die Welt verändernde Dinge planen.
Und negativ?
Wo Leute durchaus einen Schock erleiden können, ist, dass es häufig sehr partizipative Strukturen gibt. Weil das zur DNA der Organisation gehört. Bestimmte Prozesse dauern deswegen länger.
Was wir auch öfter hören, ist, dass bestimmte Prozesse als nicht effizient wahrgenommen werden. Das kennt man anders. Aber in einer Stiftung, die stabil jedes Jahr ihr Kapital ausgeschüttet bekommt, sind optimierte Strukturen erst mal nicht so ein Thema. Und Menschen aus der Wirtschaft können da auch einen großen Mehrwert bieten, weil sie Projektmanagement in einem Professionalisierungsgrad gewohnt sind, von dem viele Organisationen profitieren. Die Falle, in die man da nur nicht tappen darf als Quereinsteiger, ist, das schon zu antizipieren und zu denken: „So Leute, dann räume ich euch mal den Laden auf.“ Ohne überhaupt zu schauen, was vielleicht schon gut läuft. Darauf reagieren Leute aus NGOs zu Recht allergisch.
Mehr über die Arbeit der Vermittlung Talents4Good erfahrt Ihr auf http://www.talents4good.org/
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