Hinterher ist man meistens schlauer. Das weiß auch Marie-Sophie von Bibra, Head of Global Growth Operations bei Readly. Ihre wichtigsten Karriere-Tipps und was sie ihrem 18-jährigen Ich heute gerne sagen würde...
Die Sache mit den eigenen Erwartungen
Wenn ich an meine ersten Bewerbungen zurückdenke, kann ich das so zusammenfassen: Ich habe mich unterschätzt und vergeblich versucht, meine Zukunft perfekt zu planen. Ich war frisch von der Uni und hatte alle Optionen offen, doch ich war völlig verunsichert von den Erwartungen, von denen ich dachte, dass sie meinen Weg bestimmen sollten.
"Mit 28 bin ich wahrscheinlich schwanger"
Ich hatte so viele Fragen. Wie kann ich einen Job finden, der mir einen schnellen beruflichen Aufstieg ermöglicht, am besten bevor ich 28 bin, da ich dann wahrscheinlich schwanger und mindestens ein Jahr in Elternzeit sein werde? Oder wie kann ich schon jetzt einen Weg einschlagen, der mir später einen leichteren Wiedereinstieg ermöglicht? Jetzt bin ich 30, nicht verheiratet, nicht schwanger, stolz darauf, wo ich mit meiner Karriere jetzt stehe und habe große Pläne. Ich habe mich erfolgreich von den Unsicherheiten und Erwartungen gelöst, die ich mit 18 hatte, und bin auch nicht die Frau geworden, von der ich dachte, dass ich sie sein müsste.
Hätte ich das früher gewusst...
Das ist es, was ich meinem 18-jährigen Ich heute sagen möchte, woran ich die Frauen in meinem Leben erinnere und was ich mit dir teilen möchte. Wenn ich es herunterbreche, sind es fünf einfache Wahrheiten, die mich geleitet haben. Ich schreibe das jetzt im Bezug auf die Karriere, aber natürlich gelten sie für Leben und Arbeit gleichermaßen:
Tipp 1: Nicht zu viel nachdenken
Nachdenken, aber nicht zu viel nachdenken ist mein Motto. Ich bin der Typ, der über alle möglichen Szenarien, Ergebnisse und Konsequenzen nachdenkt – das tue ich immer noch, aber ich arbeite daran, mehr loszulassen. Wenn es um neue Jobs oder neue Aufgaben und Herausforderungen geht, haben wir nur die Gewissheit, dass man eben nicht weiß, wie es laufen wird. Anstatt gegen dieses Gefühl anzukämpfen und über jeden möglichen Aspekt nachzudenken, sollte man sich selbst vertrauen und sich auf das Gefühl des Unbekannten einlassen. Als sich meine Rolle bei Readly erweiterte, hatte ich genau dieses Gefühl. Werde ich in der Lage sein, in dieser neuen Rolle vom ersten Tag an alles richtig zu machen? Die Antwort ist nein, denn sie ist neu. Aber ich muss es nicht vom ersten Tag an perfekt können. Ich kann mich darauf verlassen, dass ich lerne und in die neue Aufgabe hineinwachse. Und genau das ist geschehen. Wie das Sprichwort sagt: "Get comfortable with being uncomfortable" - und genau daran müssen wir uns erinnern.
Tipp 2: Sei mutig und unterschätze dich nicht
Jede, vor allem Frauen, kennt das Gefühl, eine Stellenanzeige zu lesen, die Anforderungen zu überfliegen und das ungute Gefühl zu haben, dass der eigene Lebenslauf und die eigene Erfahrung für vier der zehn Kriterien nicht perfekt sind – und dass man sich deshalb gar nicht erst bewerben sollte. Weil wir glauben, nicht gut genug zu sein, die Zeit der Recruiterin oder des Recruiters zu verschwenden, oder einfach keine Chance zu haben. Es gibt zahlreiche Studien über die sogenannte "Confidence Gap", die Unterschiede zwischen dem Selbstvertrauen von Männern und dem von Frauen aufzeigen. Die Ursache dafür ist tief in unseren Gesellschafts- und Bildungsstrukturen verwurzelt – in der Art und Weise, wie wir Männer für ihr Potenzial und Frauen eher auf Basis ihrer Erfahrung bewerten, oder darin, wie Mädchen verstärkt beigebracht wird, Regeln zu befolgen und immer höflich zu sein. Es ist also keine Überraschung, dass es diese Unsicherheiten gibt und dass sie schwer zu überwinden sind. Die Realität ist jedoch, dass man sich in vielen dieser Fälle bewerben sollte. Und man sollte mutig sein, egal ob es sich um einen neuen Job, eine neue Aufgabe oder ein völlig neues Arbeitsgebiet handelt. Jeder hat mal irgendwo angefangen, und genau das kannst auch du.
Tipp 3: Konzentriere dich bei jedem Schritt auf das Lernen
Selbst während ich diesen Artikel schreibe, zieht sich ein roter Faden durch alle Tipps, nämlich die Erkenntnis, dass wir aus jeder Erfahrung Wertvolles lernen. Was wir dabei individuell beeinflussen können, ist, eine offene Haltung zum Lernen einzunehmen. Das bedeutet, aufgeschlossen und selbstreflektiert zu sein, über das Offensichtliche hinauszuschauen und die Umstände zu berücksichtigen. Es gibt viele Gründe, warum ich dies für so wichtig halte. Der wichtigste ist, dass wir als Individuen nicht anders können, als uns mit jeder unserer Erfahrungen weiterzuentwickeln. Der einzige Unterschied besteht darin, ob wir uns dieser Entwicklung bewusst sind oder ob wir ihr völlig passiv und unreflektiert gegenüberstehen.
Ich habe meine Karriere bei Readly als Social Media Managerin begonnen. Was mich zu meiner jetzigen Position als Head of Growth gebracht hat, ist, dass ich jeden Tag dazu gelernt habe und das Gelernte und die neuen Fähigkeiten in die Praxis umgesetzt habe. Ich habe völlig neue Talente und Interessen entdeckt, die ich vorher garnicht kannte. Es geht also um konkrete neue Fähigkeiten ebenso wie den Einfluss aus dem Umfeld, in dem man sich befindet, die Menschen, mit denen man arbeitet, die Art und Weise, wie sie arbeiten usw. – von all diesen Dingen kann man viel lernen, wenn man sie aktiv wahrnimmt.
Tipp 4: Hör auf, dich zu vergleichen und so streng mit dir selbst zu sein
Ich möchte dies wirklich von den Dächern rufen, weil ich immer wieder erschrocken bin wie unglaublich streng wir Frauen mit uns selbst sind. In Bezug auf unseren Körper, unser Äußeres, unsere Arbeit, unsere Erwartungen an uns selbst – und die Erwartungen von allen um uns herum. Diana Vreeland sagte bekanntlich Folgendes: "Wenn man konkurriert, schaut man nach links und rechts, und das hält einen zurück. Ich wusste, dass niemand wusste, was ich wusste, und ich habe das nicht in Frage gestellt". Das hat für mich zwei Seiten: Einerseits müssen wir aufhören, uns mit anderen zu vergleichen, weil wir sowieso nur die Fassade sehen und so unsere Zeit damit verschwenden, andere zu beobachten, anstatt uns auf uns selbst zu konzentrieren. Das ist falsch! Wir müssen das Gefühl des Vergleichens und der Konkurrenz in Inspiration umwandeln. Und wir sollten uns immer von der Tatsache ermutigt fühlen, dass wir alle Individuen sind, wir also in unseren Fähigkeiten, Herangehensweisen und Talenten völlig einzigartig sind. Fokussieren wir uns auf unsere Individualität, statt krampfhaft zu versuchen uns anzupassen!
Das zweite Element ist, wie streng wir allgemein zu uns selbst sind und wie sehr wir dazu neigen, das Unmögliche zu erwarten. Wir werden dazu konditioniert zu denken, dass wir in allem zu 100% hervorragend sein müssen. 100% großartige Karrierefrau, 100% liebevolle Freundin/Schwester/Partnerin/Tochter, 100% starke Mutter, 100% fit und perfekt – aber die Rechnung geht nicht auf. Wir müssen uns von dem Gefühl lösen, für andere perfekt in allem sein zu müssen. Die Wahrheit ist: Die Menschen um dich herum werden glücklich sein, wenn du wirklich glücklich bist. Und du musst herausfinden, was dich wirklich glücklich macht – indem du ausprobierst, scheiterst, es wieder versuchst und so Stück für Stück das eigene Puzzle zusammensetzt.
Tipp 5: Mache es auf deine Weise!
Mein tägliches Lieblingsmotto! Leichter gesagt als getan aber so wichtig für unser eigenes Empowerment. Die Tatsache, dass jeder Mensch einen anderen Weg geht, sollte uns ermutigen, denn es gibt schlichtweg nicht den einen einzigen richtigen Weg. Lerne daher, deinen Instinkten zu vertrauen und auf dich selbst zu hören – was macht dir Spaß, was kannst du gut, was willst du lernen, was möchtest du erreichen und warum. Deinen eigenen Weg zu gehen kann große Veränderungen in der beruflichen Laufbahn bedeuten, oder einfach deine individuelle Herangehensweise an eine bestimmte Aufgabe. Für mich hat das in verschiedenen Phasen meiner Karriere unterschiedliche Dinge bedeutet. Ich habe immer davon geträumt, in der Modebranche zu arbeiten, bin dann aber in der Technologiebranche gelandet – und auch wenn ich mir anfangs darüber endlos viele Gedanken gemacht habe, könnte ich nicht glücklicher sein, weil der Job alle mir wichtigsten Elemente vereint und ich mich täglich weiterentwickle, auf meine eigene Art und Weise.
Ich war damals nicht einmal auf Jobsuche, aber ich war immer offen für Chancen und neue Möglichkeiten, die das Leben manchmal so mit sich bringt. In letzter Zeit hat dieses Motto mir auch dabei geholfen, dass ich mich nicht mehr dafür entschuldige, dass ich generell gerne und viel arbeite. Arbeit ist für mich eine Leidenschaft, etwas, das eine wichtige Rolle in meinem Leben spielt und mir viel gibt. Und während andere vielleicht meinen, es sei zu viel, ist es für mich genau richtig. Es auf deine Weise zu machen, setzt voraus, dass du dich selbst wirklich kennst. Das sind wir uns ohnehin schuldig – sowohl in Bezug auf die Arbeit als auch auf das Leben.
Marie-Sophie von Bibra ist Head of Growth bei Readly, der digitalen Plattform für Magazine. Sie verantwortet den deutschen Markt und weitere Länder, wie Italien, Österreich, Schweden und die Niederlande. Bevor Marie-Sophie vor vier Jahren bei Readly startete, gründete sie eine Marketing-Beratung, mit der sie female-founded businesses beim Aufbau digitaler Kanäle unterstützt.
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