Viele Kreative sind beruflich auf ihre Präsenz in den sozialen Netzwerken angewiesen. Aber was, wenn die eigenen Posts immer weniger Likes bekommen, wenn der Algorithmus die eigene Arbeit nicht an die "richtigen" Leute auszuspielen scheint? EMOTION hat mit drei Frauen, die Instagram auf ganz unterschiedliche Art bespielen, darüber gesprochen, was Reichweitenverluste fürs eigene Business und für die Psyche bedeuten.
"Warum bekomme ich nur so wenige Likes? Meine ganze Reichweite ist down, das liegt alles am Algorithmus!" Wenn Influencer:innen oder digitale Unternehmer:innen sich öffentlich über die Einbrüche ihrer Reichweiten beschweren, dann wirkt das manchmal ein wenig befremdlich. Schließlich sieht das Insta-Game, von außen betrachtet, oft fast zu einfach und zu schön aus, um wahr zu sein: In den sozialen Medien mit dem eigenen Business durchzustarten, eine Community aufzubauen, Kund:innen für die eigenen Produkte gewinnen, lukrative Werbekooperationen an Land zu ziehen – wie schwer kann’s sein? Unzählige Influencer:innen und Content Creators zeigen doch, wie vermeintlich easy es klappen kann mit dem Social-Media-Erfolg.
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Ganz so leicht ist es eben doch nicht. Vor allem nicht, wenn man nicht Abermillionen von Follower:innen angehäuft hat. Das Arbeiten mit und in den sozialen Netzwerken ist unberechenbar; zumal der Erfolg von Accounts unmittelbar von Algorithmen und Ausspielungen bestimmt wird. Wir haben drei Frauen, deren Karriere auf unterschiedliche Weise von Instagram beeinflusst wird, gefragt, wie sie mit Reichweiten-Schwankungen umgehen, was es mit ihnen macht, wenn Likes ausbleiben, und warum es ihnen wichtig ist, öffentlich gegenüber Follower:innen und Kund:innen zu thematisieren, dass der schöne Schein ein knallhartes Geschäft ist, das am Selbstwert nagen kann.
Karoline Herr, Beauty-und Lifestyle-Bloggerin, @frollein_herr und frolleinherr.com, 40.900 Follower:innen auf Instagram
Kannst du dich an eine konkrete Situation erinnern, in der du einen massiven Reichweitenrückgang bemerkt hast? Was waren die Gründe dafür?
Da muss ich ein bisschen ausholen. Ich hatte zu Beginn der Corona-Krise einen drastischen Anstieg von Reichweite und Followern, da viel mehr Zeit online verbracht wurde und mein DIY-Content einfach gut zur Situation gepasst hat. Seit Beginn 2022, der Umstellung Instagrams auf Video-Content und dem langsamen "Back to Normal" im Leben, ist meine Reichweite stark gesunken. Das kann ich persönlich nicht an den Themen meiner Posts festmachen, sondern viel mehr an Änderungen des Algorithmus und einer gewissen Übersättigung der Nutzer:innen in der App. Meinen Blog betrifft das aber gar nicht, da der nicht von Instagram oder seinen Algorithmen abhängt.
Was bedeutet ein Reichweitenrückgang für dich konkret – inwieweit sind Schwankungen normal, wann siehst du dein Business in Gefahr?
Das ist eine sehr gute Frage, denn genau die stelle ich mir eigentlich täglich. Im Grunde sind Schwankungen der Reichweite komplett normal. Das wird jede:r bestätigen, der in diesem Business tätig ist. Schließlich darf man nicht vergessen, dass es Menschen sind, die am anderen Ende der Leitung sitzen und die verhalten sich eben nicht wie Maschinen. Krisen, sowohl gesellschaftliche, als auch persönliche, Launen, Konsumverhalten etc. beeinflussen das digitale Nutzungsverhalten enorm.
Gefährlich für die finanzielle Sicherheit meiner Selbstständigkeit wird es aber erst, wenn ich keinen Werbepartner mehr für mich gewinnen kann. Und das ist zum Glück bisher noch nicht passiert. Vielmehr habe ich eine persönliche Entscheidung getroffen, nur noch sehr ausgewählt mit Marken zusammenzuarbeiten, da mir selbst als Konsumentin auffällt, wie viel Werbung und uninspiriertes Influencer-Marketing in den letzten Jahren gefahren wird. Wenn ich merke, dass eine Marke gar nicht weiß, wofür ich stehe und welchen Anspruch ich an meine Kooperationen stelle, dann sage ich schnell nein, da ich mich und meine Werte in diesem Business nicht verlieren möchte. Natürlich kann es passieren, dass ich irgendwann nicht mehr genug umsetze. Aber ganz ehrlich: Dann soll es so sein. Ich habe mich nicht für diesen Weg entschieden, in dem Glauben, dass ich das bis zur Rente machen kann. Sollte es irgendwann nicht mehr funktionieren, finde ich einen neuen Weg mich redaktionell und kreativ auszudrücken.
Welche Konsequenzen ziehst du, wenn du merkst, dass die Reichweite nicht gut ist?
Das kann ziemlich hart sein. Denn schließlich ist ein Creator niemals losgelöst von dem, was er publiziert. Funktioniert ein Post dann nicht, kommt man nicht umhin sich zu fragen, woran es liegt und am Ende zweifelt man immer an sich selbst. Aber ich denke, das ist in so ziemlich jedem kreativen Beruf der Fall und mit diesen Zweifeln muss man umgehen lernen. Wird es mir persönlich aber mal zu viel, ziehe ich mich einfach raus, gehe ein paar Tage offline und versuche mich selbst daran zu erinnern, dass ich mehr bin als nur eine Zahl oder Statistik.
Hast du Reichweitenprobleme schon mal innerhalb deiner Community thematisiert und wenn ja, warum?
Oh ja – da bin ich immer sehr transparent und versuche auch keine Angst zu haben, mich emotional nackig zu machen. Ich teile meine Gedanken sehr offen und ehrlich mit meiner Community, sowohl via Instagram, als auch auf meinem Blog. Erst vor kurzem habe ich einen Artikel zu meinem derzeitigen Struggle mit Reichweitenverlust, der Entwicklung im Influencermarketing, nur noch auf Zahlen zu setzen, und meinen beruflichen Selbstzweifeln geschrieben. Nur so kann ich doch ehrlich und nachvollziehbar für meine Community sein.
Ich halte nichts davon, in den sozialen Medien eine Rolle zu spielen – das würde mir auch keiner abnehmen, da ich von Beginn an auf Ehrlichkeit und Authentizität gesetzt habe. Wenn mich also etwas emotional umtreibt, dann versuche ich das möglichst ehrlich zu kommunizieren, ohne persönliche Grenzen zu überschreiten. Meine Community weiß so eigentlich immer genau, wie es mir geht, wieso ich mal mehr oder mal weniger Content poste und welche Werte mich motivieren. Ich bin schon recht lange dabei und habe zu vielen Leser:innen eine fast freundschaftliche Verbindung. Da kann ich weder lügen noch eine Rolle spielen. Und ich weiß, dass meine Community das auch sehr an mir schätzt.
Am Ende des Tages sind die sozialen Medien ein "people’s business" und so sollte man sich meiner Meinung nach auch verhalten: ehrlich, menschlich und verletzlich. Alles andere ist fake und widerspricht dem, was die sozialen Medien überhaupt erst so erfolgreich gemacht hat, nämlich Authentizität.
Ekaterina Koroleva, Künstlerin @kikivancheese, 12.800 Follower:innen auf Instagram:
Was machst du auf Instagram genau?
Ich nutze Instagram und Facebook als Werktagebuch, in dem ich versuche, regelmäßig meinen Arbeitsprozess als Künstlerin zu dokumentieren, meine Auftragsarbeiten und persönliche Arbeiten zu zeigen. Für die Organisation von Veranstaltungen wie Live Drawings sind die sozialen Netzwerke auch sehr wichtig. Außerdem vermarkte ich Prints und Originale darüber und nutze die Apps so als Vertriebsweg für meine Arbeiten.
Wie fühlt sich das an, wenn deine Posts nur wenige Menschen erreichen?
Natürlich fühlen sich immer weniger Likes und Interaktionen an, als würden die Leute weniger Interesse an meiner Arbeit zeigen und dass sich die Qualität meiner Arbeit eventuell verschlechtert hat. Gerade wenn Aufträge ausbleiben, was bei Freiberuflern sicherlich phasenweise nicht ausbleibt, sorgt das für Selbstzweifel und schmälert die Motivation an neuen Impulsen und Ideen zu arbeiten.
Wie gefährlich ist ein Reichweitenrückgang für dein Business?
Die fehlende Reichweite bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, mit meiner Arbeit einen Art Director oder andere potentielle Auftraggeber:innen zu erreichen, sinkt. Ich hatte in den vergangenen Jahren einige Klient:innen, die mich über Instagram gefunden haben – das ist zurückgegangen. Dabei haben Kunden durch das ganze Instagram-Business an sich ein Interesse an Künstler:innen in den sozialen Netzwerken – aber auch hier geht es eben darum, wer die größten Reichweiten hat.
Welche Konsequenzen ziehst du daraus, wenn du merkst, dass die Reichweite zurückgeht?
Bei mir schleicht sich das Gefühl ein, meine Präsenz durch bezahlte Posts aufrechterhalten zu müssen, wenn ich Wachstum erreichen möchte. Aus eigener Kraft geht das nicht mehr. Wahrscheinlich müsste ich auch größere Accounts dafür bezahlen, meine Arbeiten zu posten. Ich merke auch, dass mangelnde Interaktionen ebenfalls Auswirkungen haben auf meine eigene Sichtbarkeit. Das bedeutet, ich müsste mich regelmäßiger auf Instagram aufhalten und selbst noch mehr interagieren. Das kann ich allerdings zeitlich gar nicht leisten und meine Aufmerksamkeitskapazitäten werden dadurch merklich schneller erschöpft. Gleichzeitig versuche ich die Qualität meiner Arbeit nicht an der Like-Zahl festzumachen.
Hast du Reichweitenprobleme schon mal innerhalb deiner Community thematisiert und wenn ja, warum?
Ich tausche mich regelmäßig mit Freund:innen und Arbeitskolleg:innen aus, die ihre Arbeiten ebenfalls auf Instagram teilen. Gerade bei Illustrator:innen und Künstler:innen, die Arbeitsprozesse und Arbeitsergebnisse präsentieren, schlägt sich das mangelnde Engagement und die fehlenden Reaktionen auf die Bewertung der eigenen Arbeit nieder und zwar unmittelbar. Für Illustrator:innen, die viel am Schreibtisch sind und gerade mit Kunden nur digital kommunizieren, ist regelmäßiges Feedback natürlich sehr wichtig und wenn das ausbleibt, spiegelt dies das mangelnde Interesse der Community und potentieller Auftraggeber wider, da wir nah am Markt arbeiten müssen.
Storm Westphal, Bloggerin für Mode-, Lifestyle- und Interior-Themen, auf Instagram @stormwes, 50.100 Follower:innen:
Wann hast du als Content Creator gemerkt, dass es schwer sein kann, gegen einen volatilen Algorithmus anzukommen?
Mein Account ist in den Anfangszeiten von Instagram sehr schnell gewachsen, ich kam in kurzer Zeit auf fast 100.000 Follower:innen. Aber schon 2013 stellte ich fest, dass Instagram ein extrem schwankendes soziales Netzwerk ist. Damals war nicht klar, ob sich die App durchsetzen würde, es gab Löschungen von inaktiven Accounts und meine Reichweite stürzte ein. Meine Followerzahl passte nicht zur Reichweite, es sah so aus, als hätte ich Follower gekauft. Ich war damals sehr frustriert und habe oft geweint.
Wie geht es dir heute damit, wenn du merkst, dass der Algorithmus spinnt, dass deine Reichweite abschmiert, dass es einfach nicht so läuft?
Ich habe oft das Gefühl, dass die Arbeit, die ich in meine Bilder investiere, wertlos ist. Ich kämpfe sehr oft mit der Relevanz-Frage; mein Business sehe ich in dem Moment in Gefahr, wenn Marken nicht auf Qualität des Contents setzen, sondern die Reichweite und Follower-Zahl superwichtig sind. Das ist teilweise schon der Fall. Ich werde mich aber auf gar keinen Fall für diese App verbiegen. Ich schaffe es auch kreativ gar nicht, noch mehr Content für diese App zu produzieren; ich will nicht ein bedeutungsloses Bild oder Video nach dem anderen zu posten. Ich möchte auch, dass meine Follower:innen sich Zeit für meinen Content nehmen, sich meine Bilder in Ruhe anschauen.
Welche Konsequenzen ziehst du, wenn du merkst, dass die Reichweite nicht gut ist?
In erster Linie versuche ich das nicht auf mich zu projizieren. Ich mache mir bewusst, dass ich gegen ein computergesteuertes System ankämpfe und es gefühlt allen meinen Kolleg:innen auch so geht (selbst Stars verstecken teilweise ihre Likes). Ich versuche, den Druck rauszunehmen. Mein Content ist einfach auch nichts für jeden; dafür bekomme ich so viel tolles Feedback – darauf setze ich nun meinen Fokus.
Hast du Reichweitenprobleme schon mal innerhalb deiner Community thematisiert und wenn ja, warum?
Ja, habe ich, zum Beispiel, als ich glaubte, erklären zu müssen, dass ich keine Follower:innen gekauft habe. Oder wenn ich Kooperationen gepostet habe, die nicht gelaufen sind. Dann habe ich mich früher oft öffentlich beschwert, wollte klarmachen, dass ich für all das nichts kann, und bekam viel Zuspruch von Kolleg:innen. Die Reichweitenprobleme sind aber auf Branchenevents immer wieder Smalltalk-Thema Nummer eins.
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