Missbrauch im Sprechzimmer: Im Interview spricht Experte Dr. Meinhard Korte darüber, was man tun kann, wenn man von Missbrauch in ärztlicher Behandlung betroffen ist.
Dr. med. Meinhard Korte ist Ombudsmann der Ombudsstelle für Missbrauch in ärztlichen Behandlungen des Landesärztekammer Hessen. Es ist die erste und einzige Schlichtungsstelle dieser Art bei einer Ärztekammer in Deutschland, wo Betroffene Hilfe finden.
EMOTION: Herr Dr. Korte, wer kann sich an Sie wenden?
Dr. Meinhard Korte: Alle, die einen Missbrauch in ärztlicher Behandlung selbst erlebt haben oder als Angehörige oder indirekt Betroffene von finanziellen oder emotionalen Übergriffen bis hin zu sexuellem Missbrauch erfahren haben. Auch Mitglieder der unterschiedlichen sozialen Berufe können sich an die Ombudsstelle wenden, um bei entsprechenden Fragen Rat zu bekommen.
Wie kann man sich beraten lassen?
Telefonisch, per E-Mail oder in einem persönlichen Gespräch. Wer möchte, kann natürlich anonym bleiben.
Die Ombudsstelle der Landesärztekammer Hessen ist bisher die einzige bundesweit. Wie kam es dazu, dass sie gegründet wurde?
Es gibt in der Landesärztekammer seit etwa zehn Jahren einen Ausschuss der P-Fächer – Psychosomatik, Psychiatrie und Psychotherapie. In diesem Ausschuss wurde den Begriff der Abstinenz in die Satzung der Ärztekammer einzuführen. Ich war damals Mitglied in diesem Ausschuss und habe eine Arbeit über den Begriff der Abstinenz in ärztlichen Behandlungen geschrieben, der im hessischen Ärzteblatt veröffentlicht wurde. Nachdem die Satzung geändert wurde, gab es den Vorschlag, eine Stelle einzurichten, an die sich Patienten wenden können, die in irgendeiner Weise das Gefühl haben, von Missbrauch betroffen zu sein.
Hast du eine ähnliche Geschichte zum Thema Missbrauch in der Sprechstunde erlebt und möchtest sie mit uns teilen? Schreib uns unter missbrauch-sprechstunde@emotion.de.
Was bedeutet Abstinenz in ärztlichen Behandlungen?
Das bedeutet, dass Ärzte und Ärztinnen in ihrer Funktion als Behandelnde darauf verzichten, Bedürfnisse zu befriedigen, die nicht zu ihren Aufgaben gehören. Sprich, sie dürfen weder emotionale Bedürfnisse befriedigen, die über das normale Maß hinausgehen, noch zusätzlich zur angemessenen Bezahlung finanzielle Gratifikationen annehmen. Sie dürfen also die Situation mit einem Patienten nicht dazu benutzen, sich finanzielle oder materielle Vorteile zu verschaffen. Sie dürfen auch keine private, insbesondere keine sexuelle Beziehung eingehen, während die Person in ihrer Behandlung ist.
Und die Einrichtung der Stelle wurde dann durchgesetzt?
Es gab nicht nur Befürworter dieses Schrittes. Einige reagierten mit Unverständnis, warum es das ausgerechnet in Hessen geben solle und argumentierten, dass andere Länder das auch nicht hätten: Sie fürchteten, es würde ein schlechtes Licht auf die Landesärztekammer oder die Verhältnisse in Hessen werfen. Aber nachdem die Mehrheit dafür gestimmt hatte, wurde die Stelle Anfang 2013 eingerichtet.
Was sind Ihre Aufgaben?
Die Konzeption der Ombudsstelle ist eine Besonderheit. Es ist eine ehrenamtliche Stelle, die zwar der Rechtsabteilung der Landesärztekammer Hessen angegliedert ist, aber vollkommen selbstständig arbeitet.
Ich gebe Betroffenen die Möglichkeit, mit ihrem Anliegen gehört und ernstgenommen zu werden. Ich arbeite unabhängig und unterliege der Schweigepflicht, das heißt, es gibt bei der Landesärztekammer keine Akte über die Fälle, die ich bearbeite. Zunächst mache ich mir ein Bild von den Geschehnissen und beurteile, ob es Anhaltspunkte für einen Fall von Missbrauch gibt oder ggf. für ein anderes Fehlverhalten, wie zum Beispiel eine falsche Rechnungsstellung, einen Behandlungsfehler etc. Dann versuche ich zu vermitteln und zu beraten. Im Falle eines Missbrauchs ist meine Hauptaufgabe, die Bedürfnisse der Ratsuchenden zu erkennen. Das kann der Wunsch sein, einfach ein offenes Ohr zu finden, ein aufklärendes Gespräch oder, was häufig der Fall ist, ein klärendes Gespräch mit dem betreffenden Arzt. Dafür müssen sowohl ich als auch der betreffende Arzt / die betreffende Ärztin von der Schweigepflicht entbunden werden. Wichtig ist für die Ratsuchenden, dass ich nur in ihrem Auftrag und mit ihrem Einverständnis tätig werde.
Wie geht es dann weiter?
Wenn die Vermittlung mit dem Arzt / der Ärztin nicht gelingt, zeige ich dem Ratsuchenden die Möglichkeit auf, sich im nächsten Schritt an die Beschwerdestelle der Landesärztekammer zu wenden. Dann wird es ein offizieller rechtlicher Vorgang. Und ich kläre die Betroffenen darüber auf, dass grundsätzlich immer auch die Möglichkeit einer zivil- und / oder strafrechtlichen Anzeige besteht.
Wie häufig nehmen Betroffene zu Ihnen Kontakt auf?
Pro Jahr melden sich ca. 80 Ratsuchende bei mir. Bei etwa der Hälfte handelt es sich wirklich um einen Missbrauch in der einen oder anderen Form. Zwei Drittel der Ratsuchenden sind Frauen.
Glauben Sie, es gibt eine hohe Dunkelziffer?
Es gibt wohl eine erhebliche Dunkelziffer, denn viele Betroffene finden nicht die Möglichkeit, sich an eine Vertrauensperson zu wenden, teils aus Unwissenheit oder aber aus Angst, ihnen könne nicht geglaubt werden oder sie empfinden Scham und möchten nicht darüber sprechen. Viele Betroffene sind erst nach Jahren in der Lage, zum Beispiel im Rahmen einer Psychotherapie, über eine Missbrauchserfahrung zu sprechen. Manchmal melden sich zum Beispiel Psychotherapeuten, die jemanden in Behandlung haben, der nach Jahren erst in der Lage ist, darüber zu sprechen.
Beraten Sie bundesweit?
Da wir noch die einzige Ombudsstelle sind, rufen immer wieder Ratsuchende aus anderen Bundesländern an.
Die berate ich auch, allerdings nur sehr eingeschränkt, bei Bedarf vermittle ich den Kontakt zu anderen Ansprechpersonen, zum Beispiel direkt in den jeweiligen Landesärztekammern.
Lies auch: Der Skandal um Rassismus im Kreißsaal in den USA
Können sich Betroffene anderer sozialer Berufe auch an Sie wenden?
Melden können sich bei mir alle, doch was ich tun kann, ist sehr unterschiedlich. Am besten kann ich mich um sie kümmern, wenn es sich um eine Arzt-Patient-Beziehung im Raum Hessen handelt, vor allem wenn der betreffende Arzt Mitglied der Landesärztekammer Hessen ist.
Wenn es sich um nicht-ärztliche Behandlungen handelt, zum Beispiel Physiotherapie, verweise ich an die entsprechenden Kammern bzw. Berufsverbände, versuche aber trotzdem, die Betroffenen anzuhören, und mir ein Bild davon zu machen, wo ist sie gut aufgehoben sind. Die Begleitung in einem solchen Verfahren oder Klärungsprozess würde meinen Aufgabenbereich übersteigen.