Bei GNTM war er der Verständnisvolle. Als Junge aus der Provinz, für den Mode das Fenster zur Freiheit war, kann Michael Michalsky die Träume der Mädchen verstehen. Mit EMOTION spricht der Designer über Aufbruch, Style und darüber, wieso er das Wort "Heimat" abstoßend findet.
Montagmorgen. Nieselregen. Ich bin mit Michael Michalsky in einer alten Fabrik in Berlin-Kreuzberg verabredet. Hier ist das Headquarter seiner Marke Atelier Michalsky. Wir setzen uns in seinem hellen Büro zusammen und wollen über Heimat und Style reden, obwohl er den Begriff Heimat ablehnt.
Bärbel Schäfer: Sie sind in der Provinz aufgewachsen. Wer hat Sie da modisch inspiriert?
Michael Michalsky: In meinem lokalen Umfeld gab es keine Stylingvorbilder. Ich habe als Teenager voll und ganz in der Fantasiewelt von Magazinen gelebt. Heute kaufe ich nur noch "Candy" regelmäßig, ein Nischenmagazin für Transsexuelle, das so hochwertig wie die "Vogue" gemacht ist.
War Ihre Mutter eine modische Frau?
Sehr. Ich hatte junge Eltern. Die beiden haben sich in einer Beatband kennengelernt. Die waren cool, mochten Mode, haben sich über ihren Style ausgedrückt. Meine Mutter hat nie Trends mitgemacht, bis heute nicht. Sie ist immer überraschend angezogen und hat mich damit stark geprägt.
Wie würden Sie Ihren Stil beschreiben?
Bohemian-eklektisch-Rock’n’Roll.
Und das ging im Kaff Meddewade bei Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein?
Es geht um die innere Haltung. Der Ort ist egal. Ganz ehrlich, ich habe das Leben in Meddewade gehasst. Ich wusste schon früh, da will ich nicht sein. Da passe ich nicht rein. Mir hat da viel von dem gefehlt, wovon ich als Teenager träumte.
Was ist Ihre Haltung?
Mich nicht davon abhängig zu machen, was andere Leute von mir denken. Wer das macht, tritt auf der Stelle und entwickelt sich nicht.
Ihre Teenagerjahre waren die 80er ...
Ja. Kein Internet. Ein Buchladen. Meine Lebensader zur Welt war der Bibliotheksbus, der im Dorf stoppte. Der Bibliothekar hatte einen Busführerschein und hat sich immer gefreut, wenn er mich sah. Ich habe mir bei ihm Mode und Kunstbücher bestellt, die er dann 14 Tage später geliefert hat.
Wieso die Heimat verlassen, wenn man bereits im Dorf so stylish war wie Sie?
Heimat ist für mich ein ganz schwieriges Wort. Ein problematisches Konzept. Heimat geistert in den Köpfen vieler noch mit einer Definition herum, die ich zutiefst ablehne. Es ist doch reiner Zufall, wo wir zur Welt kommen. Wurzeln kann ich überall schlagen. So ein Satz wie "Ich bin stolz auf meine Heimat" würde mir nie über die Lippen kommen. Wie soll ich auf etwas stolz sein, das ich selbst nicht erreicht habe? Ich kann doch nur stolz auf meine eigenen Lebensleistungen sein.
Da wo ich bin, ist Heimat.
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Wo ist denn Ihre Heimat?
Da wo ich bin, ist Heimat. Ich muss emotionale Bindungen haben, an den Orten, an denen ich mich vertraut fühle, wo ich mich fallen lassen kann. Das kann Berlin wie L. A. sein. Aber ich sage jetzt wirklich lieber Zuhause. Das Wort Heimat ist für mich abstoßend. Erst Meddewade, dann London und Paris, das sind ziemlich konträre Einflüsse. Viele Designer kommen erstaunlicherweise aus der Pampa und nicht aus dem Center of the Universe, wie London oder New York. Ich habe als Teenager davon geträumt, endlich in der Großstadt leben zu können. Nach der Schule habe ich das sofort umgesetzt. Leute, denen nicht alles auf dem Silbertablett serviert wurde, schätzen die Big-City-Beats mehr. Um Kultur zu konsumieren, musste ich mich anstrengen, brauchte einen Plan, um vom Dorf ins Theater, Museum, Kino oder den Club zu kommen.
Trägt man das Dorf, die Kleinstadt für immer in sich?
Die Prägung der Pampa ja, die Pampa selbst nicht. Ich habe das Dorf nicht mehr in mir.
Wann haben Sie das erste Mal überlegt, wie und was Sie anziehen?
Jeden Morgen. Die Schulzeit war meine tägliche Dosis Auftritt.
Ich durfte meine guten Sachen nie in der Schule anziehen, Sie schon?
Ja. Der Schulhof war meine Bühne. Das war das einzig Positive an der Schule, dass morgens alle erwartungsvoll sehen wollten, was ich wieder trug. Es ist immer cool mit Mode eine Reaktion auszulösen. Und die Leute, die früher am meisten gelästert haben, trugen dann ein Jahr später dieselben Schuhe oder Jeans. Das war immer eine Bestätigung für meinen Geschmack, dafür, der Erste gewesen zu sein.
Gab es Konkurrenz auf dem Schulhof?
Nein, es gab noch zwei, drei andere coole Leute zum Abhängen. Ich habe mich aber immer mehr getraut als die anderen.
Was denn zum Beispiel?
Den Style dauernd zu wechseln. Beeinflusst durch britische Musik. Durch einen Sound, der mit den Geschlechteridentitäten spielte, das war die Zeit, als Bands noch eine Message hatten und diese durch Sound und Klamotten in Videos bestärkten. Ich war so naiv und dachte, so wie die Musiker in den Videos auftreten, gehen die auch morgens aus dem Haus. Ich hab vieles imitiert, von Rock über New Wave, die Popper-Phase.
Kann ein Kleidungsstück Kraft geben?
Definitiv. In Deutschland wird das belächelt. In Italien und Frankreich ist Mode dagegen Kulturgut. Deutsche wollen in der Mode nicht als verschwenderisch gelten. Aber sie ist wichtig, weil sie der Person, die sie trägt, ein gutes Gefühl gibt. Wenn ich traurig bin, trage ich doch auch was anderes, als wenn ich gut drauf bin.
Lässt sich über Geschmack streiten?
Eigentlich nicht, machen wir aber trotzdem. Style funktioniert ja nur mit einem Rezipienten. Mit meiner Kleidung löse ich Ablehnung oder Zustimmung aus. Er ordnet mich ein. Ohne ein Gegenüber ist jedes Zurechtmachen sinnlos.
Das heißt, mit Ihrem Stil kommunizieren Sie mit anderen?
Ja. Style hat keinen guten Leumund, er gilt noch immer als oberflächlich. Aber ich bin da Idealist.
Haben wir nicht andere Probleme auf der Welt, als gut auszusehen?
Wären wir alle stylisher, wäre die Welt auch besser.
Wieso?
Style ist nicht nur Mode. Nur weil du plötzlich viel Kohle hast und dich in der Edelboutique mit Labels der Topdesigner eindeckst, kaufst du keinen Style. Das halte ich für extrem unstylish. Ich versuche in allen Lebensbereichen für Style zu werben. In der Art, wie wir kommunizieren, Wertschätzung zeigen, auf Reisen Danke sagen ... Wenn dein Äußeres perfekt ist, dein Kopf aber nicht richtig tickt, hast du keinen Style. Ein Nazi oder Rechtsnationaler hat nie Style! Egal, was der anzieht. Offenheit, Toleranz, Herzenswärme und Neugier gehen den Rechten ja völlig ab, all das brauchst du aber für echten Style.
Wenn dein Äußeres perfekt ist, dein Kopf aber nicht richtig tickt, hast du keinen Style. Ein Nazi oder Rechtsnationaler hat nie Style!
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Wird das Schöne nicht auch gerade durch das Hässliche herausgefordert?
So entstehen Trends. Aus einer Mode kommt die Anti-Mode. Das ist ein Spiel, hält alles in Bewegung. Die aktuellen Looks sind nicht immer nur schön, meine Neugier lässt es aber zu, sie genauer zu betrachten.
Wer setzt Trends? Die Straße oder Haute Couture?
Ich bin ein Fan der Populärkultur. Und von Andy Warhol, der war ein Visionär. Deshalb spielt bei meinen Fashion Shows immer eine Band. Jugendkultur und Musik setzen Trends, sind Ausdruck der Kids und ihrer Message. Das greife ich auf. Ich habe die Subkulturen im Auge, wie sie sich untereinander mergen, sich beeinflussen.
Was ist mit älteren Zielgruppen?
Ich bin forever 27! Ich mache noch immer die gleichen Sachen wie mit 27. Wir beide sind doch die erste ewige Zielgruppe. Wir wurden als erste bewusst von Marken umworben, das wird auch immer so bleiben.
Was ist Fast Fashion?
Fast Fashion greift blitzschnell die Trends der Fashion Shows auf und setzt sie in erschwingliche Mode um. Heute wird in Blogs und im TV über Mode gesprochen. Fashion ist Entertainment geworden. Popstars, Celebrities, Models, Sportler – alle interessieren sich für Mode, die Akteure wechseln schnell.
Verändert Fast Fashion den Wert von Mode?
Ich finde es toll, wenn Mode für alle zugänglich ist. Nicht jeder kann High Fashion bezahlen. Den Look der teuren Designer kriege ich bei den günstigen Firmen aus Schweden und Spanien eben auch. Was ich ablehne, ist die Schnelligkeit der Kollektionen. Durch den günstigen Preis fehlt oft die Wertschätzung für unsere kreative Arbeit. Der Konsum erhöht sich und alle, die mit fünf braunen Tüten aus dem Laden rennen, kaufen das nicht mehr, weil sie es brauchen, sondern nur, weil es so billig war. Vielleicht schmeißen sie es am Ende sogar in den Müll.
Was ist Ihr Gegenkonzept?
Haute Couture aus dem Atelier Michalsky. Hochwertige Materialien, Stress raus und künstlerisch zugespitzt arbeiten. Ich schneidere mit Meisterinnen in Berlin. In den 25 Jahren, die ich jetzt in dieser Branche bin, hat sie sich krass verändert.
Verändern Mode-TV-Formate die Branche? Oder sind es eher die Mädchen, die die Mode verändern?
Mode und Entertainment verschmelzen immer mehr seit den Kardashians. Das Reality-TV hat Stil-Ikonen geschaffen. Bei Milliarden Followern lacht darüber keiner mehr. Die Models Gigi und Bella Hadid, Kendall Jenner laufen heute jede Show mit, weil die Verflechtung ihrer sozialen Medien und unserer Shows so eng geworden ist. Mir machen TV-Formate Spaß, und für mein Independent Label gewinne ich neue Zielgruppen und erreiche mehr Leute. Ich bin ja meine eigene Werbekampagne.
Heute hat man durch Bilder und Filme oft das Gefühl, da war ich schon, das kenne ich schon, das hab ich bereits gesehen. Was überrascht uns noch?
Früher gab es bestimmte Produkte nur in bestimmten Städten. Ich bin als Teenie zu Ostern und in den Herbstferien nach London gereist. Dafür habe ich vorher gejobbt und gespart. Ich habe mir Listen gemacht, was ich kaufen werde und gewartet. Heute gibt es Hunderte von Trends zeitgleich und kein Fashion Victim wartet mehr auf irgendetwas. Individualität ist heute schwieriger. Die Demokratisierung der Mode finde ich trotzdem gut.
Nur wer offen ist, hat in sich Raum für das Unvorhersehbare.
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Wie falle ich heute noch auf?
Nur, wenn ich mit einem Maßanzug durch Berlin-Mitte laufe, kein Tattoo oder Piercing trage. Heute hat jede zweite Vierzigjährige in der Fußgängerzone ein Augenbrauenpiercing, damit fallen Sie nicht auf. Aber Style ist unabhängig von Moden.
Was brauchen wir, um unseren Style zu finden?
Offenheit. Neugier. Ganz wichtig: Das gilt für mein ganzes Leben. Wer keine Neugier mehr spürt, der kann gleich den Löffel abgeben. Eine schrecklich frustrierende Vision, ich würde nichts Neues mehr entdecken wollen. Nur wer offen ist, hat Raum in sich für das Unvorhersehbare.
London-New York-Frankfurt-Nürnberg- Berlin, welcher Lebensort, welche Lebensphase hat Sie stilistisch besonders beeinflusst?
Es ist ein lebenslanger Prozess, wenn man stilvoll sein will. Oft sieht man erst später die Dinge klar, die für das eigene Leben relevant sind. Ich wollte schon immer in einem stylishen Rahmen und einem stylishen State of Mind leben.
Braucht man Mut für Stil?
Ja! Ich traue mir alles zu, ich versuche alles. Ich finde nichts schlimmer, als wenn Eltern ihrem Kind vermitteln: Das kannst du nicht.
Können Sie Scheitern zulassen oder gibt es das bei Ihnen nicht?
Scheitern ist leider negativ belegt. Aber Scheitern ist für mich wichtig, weil es mich in der Niederlage noch stärker anspornt, mein Ziel doch erreichen zu wollen. Und klar kenne ich das Gefühl von Scheitern, wenn mein Weg A nicht funktioniert ...
Wie sind Sie in der Niederlage?
Ich bin ein emotional extremer Mensch. Entweder himmelhochjauchzend oder zu Tode betrübt. Nach Niederlagen lecke ich mir zwei Tage allein die Wunden, ich leide. Danach kommt der Jetzt-erstrecht-Kick-Booster-Punkt! Und oft bin ich beim zweiten Ansatz viel besser als beim ersten Ansatz meiner Idee.
Gibt es Lebenssituationen, in denen Ästhetik keine Rolle für Sie spielt?
Wenn ich im Aids-Waisenhaus meiner Freunde in Tansania bin. Oder als ich in London im Sterbehospiz gearbeitet habe. Beides hat mich sehr geprägt. An diesen Orten ist mir mein Look so was von egal, da gelten andere Gesetze und Werte. Mode ist dort ausgehebelt.