Lisa Martinek ist tot. Wir möchten mit diesem Interview, das sie uns im Oktober 2016 gab, an die großartige Schauspielerin erinnern.
"Nach dem Tod wandert die Seele. Ich finde das hoffnungsvoll.“
Lisa Martinek starb am Freitag völlig unerwartet während ihres Urlaubs in Italien, wie der Anwalt der Familie, Christian Schertz, der Nachrichtenagentur dpa mitteilte. Weitere Angaben wollte der Anwalt mit Hinweis auf entsprechende Bitten der Familie nicht machen. Die dreifache Mutter wurde 47 Jahre alt. Sie lebte mit ihrem Mann Giulio Ricciarelli und den Kindern in Berlin und München. Wir trafen Lisa Martinek 2016 anlässlich eines neuen Films. In einem Interview verriet sie uns damals, wie sie zu Leben, Tod, Muttersein und sich selbst steht.
Aus EMOTION 10/2016:
"Freundlich, unkompliziert und "superschöne Beine hat sie", begeisterte sich das Team über Lisa Martinek nach dem Fotoshooting. Als Schauspielerin kennen wir sie schon lange, spätestens seit der Komödie "Härtetest", die ihr 1998 eine Nominierung für den Deutschen Filmpreis einbrachte. Später ermittelte sie als Kommissarin Clara Hertz in der ZDF-Samstagskrimireihe "Das Duo". Jetzt kommt sie mit der Tragikomödie "Schwester Weiß" ins Kino. In dem Kammerspiel können die ungleichen Schwestern Martha und Helene – streng- gläubige Nonne die eine, konsequente Atheistin die andere –, erst wieder eine Verbindung finden, als Helene (Lisa Martinek) nach einem erbitterten Streit bei einem Autounfall ihre Familie und ihr Gedächtnis verliert.
Frau Martinek, im Film endet jedes Treffen der beiden Schwestern in einer heftigen Auseinandersetzung. Kann man sich mit Ihnen eigentlich gut streiten?
Ich finde, ja. Und ich finde auch, wenn es wirklich um etwas geht, darf es dabei ruhig laut werden. Nur sollte man dabei immer Interesse an einer echten Auseinandersetzung haben und füreinander streiten, nicht gegeneinander.
Verbeißen Sie sich selbst eigentlich auch so in etwas wie Ihre Figur Helene?
Leider ja. Vor allem in Probleme. Und dann überzeuge ich jeden davon, dass ganz bestimmt das schlimmste Szenario eintreten wird. Zum Glück gibt’s meinen Mann, der dann immer sagt: "Wir kriegen das schon hin."
Verbindet Sie noch etwas anderes mit Helene? Ihr Atheismus vielleicht?
Nein, ich bin sogar katholisch. Ich gehe zwar nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber ich mag die Atmosphäre dort, den Weihrauch, die Möglichkeit zu träumen. Mein Glaube ist eher grundsätzlicher Art. Ich bin auch nie zur Beichte gegangen. Nicht einmal vor meiner Firmung; bei uns auf dem Dorf war das damals möglich. Ich kann mit diesem System aus Sünde und Erlösung nichts anfangen. Da schwingt eine Frömmigkeit mit, mit der ich mich einfach schwertue. Mein Mann und ich sind auch schon lange aus der Kirche ausgetreten, doch unsere drei Kinder haben wir bewusst taufen lassen.
Das müssen Sie uns erklären ...
Dem Pfarrer musste ich das auch erklären. Uns war wichtig: Die Kinder dürfen sich im Zweifel gegen den Glauben entscheiden, aber sie sollen nicht im Atheismus aufwachsen. Da waren wir uns einig. Spätestens in der Pubertät brauchen sie doch etwas, zu dem sie Stellung beziehen können.
War das für Sie selbst in dieser Zeit wichtig?
Oh, die Pubertät war die unangenehmste Zeit meines Lebens. Allein, dass man nicht Fisch nicht Fleisch war, kein Kind mehr, aber auch noch nicht erwachsen, schrecklich ... Man vertraut sich selbst noch nicht und lässt sich leicht von anderen lenken. Ständig will man mithalten, obwohl man weiß, dass das nichts für einen ist. Dadurch macht man sich selbst eine beschissene Zeit, in der man sich nicht wohlfühlt.
Wie waren Ihre Eltern?
Meine Eltern waren sehr junge Eltern, trotzdem gab es Grenzen. Doch egal, was ich gemacht hatte: Ich wusste immer, ich kann mit ihnen reden. Ich hatte nie Angst vor meinen Eltern. Sie liebten mich, völlig gleichgültig, was war. Und so ist es noch heute.
Trotzdem haben Sie ihren Eltern Ihre erste Hochzeit verheimlicht, als Sie mit 20 den 44-jährigen Schauspielkollegen Krystian Martinek geheiratet haben. Warum?
Damals ging es nur um Krystian und mich: Wir wollten unser Ding machen. Hätte ich vorher gewusst, wie sehr das meine Eltern getroffen hat, hätte ich es nicht gemacht. Sie waren nicht gegen unsere Ehe, sondern traurig, nicht dabei gewesen zu sein. Bei meiner zweiten Hochzeit mit Giulio (Anmerkung der Redaktion: Giulio Ricciarelli ist ebenfalls Schauspieler sowie Regisseur und Produzent) habe ich dann alles richtig gemacht: mit einem riesigen Fest und vielen Leuten.
Wie leicht fallen Ihnen Neuanfänge?
Schwer. Das habe ich jetzt bei unserem Umzug von München nach Berlin wieder gemerkt. Je schöner eine Zeit war, desto schwerer fällt es mir, neu anzufangen. Natürlich ist das auch spannend. Aber man muss alles neu suchen, plötzlich wird der Alltag eine Herausforderung. Das finde ich anstrengend. Und beruflich muss ich sowieso immer wie- der neu beginnen – neue Rollen, neue Menschen, neue Städte. Deshalb brauche ich als Ausgleich meinen Ruhepol zu Hause.
Sind Sie dann auch Hausfrau?
Oh, mein zweiter Vorname ist Hausfrau! Ich koche selber, ich putze und ich bin vor allem irrsinnig gern Mutter, sonst hätte ich auch nicht drei Kinder. Ich drehe zwar ihretwegen weniger als früher, doch mein Beruf ist mir wichtig. Mir würde etwas fehlen, könnte ich nicht beides leben. Wenn ich gearbeitet habe, freue mich wieder sehr darauf, mehr Zeit mit meinen Kindern zu verbringen – und umgekehrt. Als ich mit dem dritten Kind schwanger war, kamen überraschend viele Kommentare in der Art wie "Oh, du Arme" oder "Oh Gott". Das fand ich unverschämt. Ich dachte nur: "Hey Leute, ich habe das so gewollt, und übrigens: Ich freue mich."
Mussten Sie sich auch anhören, wie kritisch eine Schwangerschaft jenseits der 40 ist?
Ich war ja eh eine späte Mutter; meine erste Tochter habe ich mit 38 bekommen. Während aller Schwangerschaften hatte ich das Gefühl, ein Schild zu tragen: "Erzählt mir die schlimmsten Schwangerschaftsgeschichten inklusive Geburtskatastrophen." Das war wirklich ziemlich unschön. Es heißt ja, ältere Mütter hätten den Vorteil, entspannter zu sein ...
Ehrlich gesagt würde ich meine drei am liebsten immer beschützen und wattieren. Aber ich bemühe mich, sie einfach machen zu lassen.
Im Film sterben Helenes Mann und ihre Tochter. Haben Sie selbst mit Ihren eigenen Kindern schon mal über den Tod geredet?
Als wir in Berlin-Mitte gewohnt haben, sind wir mangels Grünflächen mit den Kindern dort immer über den Friedhof gelaufen, der ist wunderschön. Da kamen dann die Fragen nach dem Tod, vor allem wenn wir Kindergräber mit Spielsachen drauf gesehen haben. Ich gebe zu, selbst irre befangen bei dem Thema zu sein, meine Kinder sind da viel offener. Enge Freunde von uns sind Buddhisten, und so haben wir aus beiden Glaubensrichtungen eine Mischung gemacht, um zu erklären, dass nach dem Tod die Seele wandert. Ich finde das hoffnungsvoll.
Und? Haben Ihre Kinder das auch verstanden?
Meine jüngere Tochter hat neulich eine Figur aus ganz dünnem Glas gesehen und gesagt: "Guck mal, das sieht aus wie die Seele." Dass die Seele aus Glas ist, war für sie ganz klar. Meine Große glaubt eher, dass die Seele in den Himmel fliegt. Und der Gedanke einer möglichen Wiedergeburt fasziniert beide. Aber sie wollen auf keinen Fall als Ameise oder Eintagsfliege wiedergeboren werden.
Was ist mit dem Leben vor dem Tod: Welchen Sinn hat es für Sie?
Glücklich zu sein, auch wenn man das natürlich nicht permanent sein kann. Und die Fähigkeit, die Momente zu genießen, in denen man glücklich ist – das finde ich sinnvoll.
Hätten Sie Lust, mal eine Auszeit im Kloster zu nehmen?
Im Moment geht das schon organisatorisch nicht mit unseren drei kleinen Kindern, aber ich könnte mir das gut vorstellen. Vor vielen Jahren habe ich mal eine Ayurveda-Kur gemacht. In der Zeit brauchte ich tatsächlich nichts weiter als mich selbst. Das war sehr spannend. Auch deshalb, weil ich überhaupt keine Angst vor einer Begegnung mit mir selbst hatte."