Am Samstag, den 12. Mai, fand in Berlin eine große Demo gegen Kinderarmut statt. Aufgerufen dazu haben sieben Alleinerziehende, getrieben von der Wut über die unwürdigen Verhältnisse, in denen viele von ihnen mit ihren Kindern leben. Susanne Triepel ist eine von ihnen, wir haben mit ihr gesprochen.
EMOTION.de: Susanne, wer seid ihr und wie kam es dazu, dass ihr die Demo gegen Kinderarmut organisiert?
Susanne Triepel: Wir sind sieben alleinerziehende Mütter aus ganz Deutschland – darunter Aktivistinnen, Bloggerinnen und einfach Mütter, die etwas ändern wollen. Wir sind nicht die Ursache für die Armut unserer Kinder, wir kämpfen täglich gegen die Ursachen von Kinderarmut – widersprüchliche Gesetze und Politik! Wir können selbst sagen, was anders werden muss, dass unsere Kinder tatsächlich gleichberechtigt aufwachsen.
Warum brauchen wir diese Demo?
Weil es einfach ein Skandal ist, dass 68 Prozent - das sind die aktuellen Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann Stiftung - aller Alleinerziehenden armutsgefährdet sind. Viele Alleinerziehenden kennen Phasen in denen es finanziell sehr, sehr knapp ist, weil Teilzeit, Befristung, Freiberuflerinnen oder atypische Beschäftigungsverhältnisse mittlerweile sehr häufig vorkommen. Einige von uns verdienen gut, werden aber ungerecht belastet durch das Steuersystem in Deutschland. Man braucht aber 1,5 Einkommen, um ein Kind zu ernähren, wie soll man das so schaffen? Carearbeit macht man nicht mal so nebenbei. Da stöhnen sogar Zwei- und Mehrelternfamilien.
Das ist übrigens ein großes Anliegen von uns: Carearbeit als Leistung sichtbar zu machen. Ich finde es unmöglich, wie wenig das wertgeschätzt wird und honoriert. Immer noch. Frauen ziehen Kinder groß und kochen dann später Kohlrabiblätter, weil mehr ist nicht drin. Geht’s noch?
Was sind weitere Forderungen?
Es kann nicht sein, dass man wegen Erziehungszeiten oder der Nicht-Vereinbarkeit von Familie und Beruf von Altersarmut bedroht ist. Wir haben ganz viele Ideen, weil wir alle in unterschiedlichen Jobverhältnissen und Unterhalts- bzw. kein Unterhaltskonstrukten leben.
Einkommensunabhängige Kindergrundsicherung bei Individualbesteuerung und eine Bündelung bestehender Familienleistungen, ohne dass der Unterhalt angerechnet wird wie jetzt, wäre gut. Das fordern auch Experten. Keine Flut von Transferleistungen mehr, und wenn es nicht beantragt, dann kommt Geld nicht bei den Kindern an. 25 EUR Kindergeld sind jedenfalls keine wirksame Maßnahme, und Baukindergeld bei Mietexplosion und Wohnungsnot, finde ich - nun ja - lächerlich, das was mir dazu eigentlich spontan einfällt ist nicht gut für mein Karma.
So richtig wütend bin ich übrigens geworden als bei der letzten Bundesratssitzung das kostenlose Mittagessen für arme Kinder wieder von der Tagesordnung genommen wurde, obwohl das im Koalitionsvertrag drin steht. Warum kann man nicht allen Kinder eine warme Mahlzeit bezahlen? Ich finde, da muss jetzt Druck her. Kinderarmut kann man nicht aussitzen. Es reicht für alle. Investiert endlich wieder in Menschen.
Wie ist das Feedback auf euer Engagement?
Das Feedback ist super positiv, bundesweit. Wir haben Unterstützung von Multiplikatoren, Politikern und Verbänden. Wir sind alle gut vernetzt und engagieren uns irgendwie schon lange, aber so gebündelt sind wir echt die Mutti-Task-Force oder besser die glorreichen Sieben. Ich würde uns ja gern als Campaigner-Dream-Team vermarkten nach der Demo, weil wir beweisen, dass Alleinerziehende sehr flexibel sind und belastbar. Es gibt so viele qualifizierte Frauen, die an den Rand gedrängt werden, und unter ihren Möglichkeiten bleiben oder arbeiten. Elternarmut ist auch Kinderarmut. Das ist ein fatales Signal gesellschaftlicher Gleichgültigkeit. Es ist eine eine Entscheidung Armut zuzulassen in einem reichen Land. Ob aus Fahrlässigkeit ist mir dabei herzlich egal.
Welche persönlichen Erfahrungen hast du mit Armut gemacht?
Ich war als Kind nach der Scheidung meiner Eltern eine Weile betroffen. Mein Vater hat jahrelang Unterhaltszahlungen verweigert, obwohl er konnte. Und dann hat mich das Thema erwischt, als ich Mutter wurde, in der Elternzeit ist mein Arbeitgeber überraschend insolvent gegangen. Ich war am ersten Tag nach der Elternzeit arbeitslos, mit Baby auf Jobsuche juhu.
Mein Konto sieht aus wie ein EKG von einer Notaufnahmepatientin in einer amerikanischen Arztserie.
Susanne Triepel, Bloggerin und Aktivistin über #KinderarmutTweet
Was hast du dann gemacht?
Ich hab mich selbstständig gemacht, da war mein Sohn 19 Monate alt, das lief erst langsam an, dann sehr gut, bis ein Auftraggeber wegkippte, und ich auf den Außenständen sehr lange sitzen bleib, danach hatte ich wieder Glück. Ich war einige Jahre festangestellte Projektleiterin bei einer großen Agentur, die viel politische Kommunikation gemacht hat. Dann verlor ich betriebsbedingt meine Stelle. Mitte 40 ist inzwischen irgendwie das neue Mitte 50, und der Niedriglohnsektor ist überall. Wahnsinn wie sich das entwickelt hat in den letzten 10 Jahren. Ich hab Elternzeitvertretungen gemacht und befristete Projekte. Nebenbei blogge ich. Mein Konto sieht aus wie so ein EKG von einer Notaufnahmepatientin in einer amerikanischen Arztserie. Die Kurve hab ich immer knapp gekriegt, aber jetzt wäre auch mal gut. Der Vater von meinem Kind zahlt pünktlich Mindestunterhalt, doch davon bestreite ich alle Ausgaben allein.
Was erhofft ihr euch von der Demo?
Wir erhoffen uns, dass wir ein sichtbares Zeichen setzen können, und wir wollen raus aus dieser Lethargie bzw. Betroffenheit. Es ist doch kein defizitäres Familienmodell, das wir leben, es ist unser Leben mit unseren Kindern, verdammt. Wir übernehmen Verantwortung, wir erziehen Kinder, wir sorgen uns, warum ist das ein Nachteil für 68 Prozent der Alleinerziehenden. Wir wollen damit auch zeigen, dass Eltern nicht mehr gewillt sind, diese Verhältnisse zu akzeptieren. Wir brauchen eine solidarische Gemeinschaft und eine Neugestaltung der Familienpolitik. Wir machen halt mal den Anfang.
Wie geht es danach weiter?
Also das wissen wir selbst nicht so genau, momentan sind wir im "Einfach machen"-Mutti-Modus. Ich finde den Drive muss man behalten, weil so kann es nicht bleiben. Ich gehe auf jeden Fall Ende Mai zur Demo "Kita-Krise", Solidarität unter Eltern fetzt nämlich, und ich will mich auf kommunalpolitischer Ebene engagieren. Ich hab voll Bock auf Politik - unsere Hashtags heißen #esreichtfueralle #dasistnurderAnfang #Elternprotest #dieschwarzeNullistirgendwann18 - das ist auch gut so, denn von der GroKo erwarte ich leider wenig Initiative oder einen Kurswechsel.
Susanne Triepel, ist seit 10 Jahren alleinerziehend und bloggt darüber auf Notyetaguru.com. Sie ist eine der sieben Organisatorinnen der Demo gegen Kinderarmut. Außerdem gehören dazu: Fee Linke, Bonn – Journalistin, öffentliche Angestellte, Alleinerziehenden-Aktivistin, seit 13 Jahren alleinerziehend, Martina Krahl, Berlin – Politologin, Öffentlichkeitsarbeiterin, systemische Beraterin, Alleinerziehenden-Aktivistin, seit 19 Jahren alleinerziehend, Christine Finke, Konstanz, Autorin, Bloggerin bei Mama-arbeitet.de und Alleinerziehenden-Aktivistin, seit 8,5 Jahren alleinerziehend, Claire Funke, Kronach, Bloggerin bei Mamastreikt.de, Care-Aktivistin, Coach, virtuelle Assistentin, seit 9 Jahren alleinerziehend, Delia Keller, Grafik-Designerin und Künstlerin, seit 4 Jahren alleinerziehend, Esther, Berlin - Beraterin und Coach, selbständig, Aktivistin "fair-fuer-Kinder.de", seit 6 Jahren alleinerziehend.