Von überholten Schönheitsidealen lässt sich unsere Autorin schon lange nicht mehr beeinflussen. Dachte sie zumindest – bis sie in superkurzen Shorts Laufen ging. Und sich plötzlich doch wieder viel zu viele Gedanken um ihre Oberschenkel machte...
So wie auf dem Foto sehen meine Oberschenkel nicht aus. Klar, die Frau ist ein weißes, normschönes Model, das Foto ist gestellt, gut belichtet, retuschiert. Das weiß ich alles. Ich weiß auch, wie Frauenoberschenkel wirklich aussehen, wenn sie in Bewegung sind, und ich würde mich als Verfechterin der Body Neutrality bezeichnen – dem Gedanken, dass man als Frau ein entspanntes Verhältnis zum eigenen Körper aufbauen sollte, das eigene Aussehen nicht fortwährend bewerten sollte. Anders gesagt: Ich gehöre zu den Menschen, die Instagram-Kanäle abonniert haben, auf denen Frauen die Unterschiede zwischen bearbeiteten Fotos und Real-Life-Cellulite zeigen, um uns allen zu verklickern: Das sind nur ein paar Hautdellen, nicht schlimm, bitte lasst euch von unrealistischen Werbeaufnahmen nicht in eurem Alltag verunsichern!
Die Awareness für einen freundlichen Umgang mit meinem Körper, wie man im Instagram-Slang sagt, ist also da. Und trotzdem schlichen sich kürzlich wieder nagende Gefühle der Scham ein: Als ich nämlich in superkurze Running Shorts schlüpfte, um eine sommerliche Abendrunde zu joggen. Durch Berlin-Prenzlauer Berg, vorbei an Cafés und vielen, vielen Menschen, die ihren Feierabend-Aperol-Spritz genossen.
Plötzlich waren meine Oberschenkel viel zu präsent in meinem Kopf. Sie fühlten sich zu weich, zu weiß, zu schwabbelig an. Hilfe! Hat der Typ gerade meine Beine angeguckt?! Hätte ich bloß schwarze Leggings angezogen!
Ich bog ab in eine ruhigere Straße. Und schimpfte innerlich mit mir selbst: Wieso ließ ich diese Gedanken in meinem Kopf überhaupt zu? Und das, obwohl ich all meine Freundinnen immer ermutigte, auf überholte Schönheitsideale bei der Wahl des Outfits keine Rücksicht zu nehmen und einfach das zu tragen, worauf sie Lust haben – im Alltag, beim Sport, einfach immer. Und jetzt konzentrierte ich mich beim Joggen nicht auf meinen Lieblingspodcast, sondern dachte ernsthaft über meine Oberschenkel nach. Fürchterlich!
Ich fühlte mich auf der Joggingrunde nicht nur dick, sondern auch noch unfassbar unfeministisch. Und ich stellte wieder einmal fest: Es besteht eben schon manchmal ein Unterschied zwischen Predigen (#loveyourbody) und Leben (Nervenzusammenbruch, weil die Hose nicht mehr passt). Die fiesen kleinen Gedanken über den eigenen Körper, die sich in Jahrzehnten des Frauseins ins Unterbewusstsein geschlichen haben, verschwinden nicht einfach, weil man auf Instagram Sprüchekarten à la "Was ist ein Bikini Body? Ein Body und ein Bikini" mit einem Herzchen versieht.
Vielleicht ist genau das aber gar nicht so schlimm. Der Weg ist schließlich das Ziel, und womöglich gehören solche Momente der Unsicherheit immer wieder zum Leben dazu, um sich selbst, die eigenen Werte und das Verhältnis zum eigenen Körper zu hinterfragen: Bin ich wirklich so entspannt mit mir selbst, wie ich das gern hätte? Nee, anscheinend nicht – also heißt es, kurz innezuhalten, zu überlegen, was gerade das Problem ist, woher das kommt und warum es okay ist, sich kurz unwohl zu fühlen, dann aber echt einzusehen, dass es Quatsch ist, sich den Feierabendsport durch selbst produzierte miese Gedanken ruinieren zu lassen.
Ich musste an Mirna Valerio denken, eine Running-Influencerin, die Spaß am Sport unabhängig vom Körpergewicht zu vermittelt (hier findet ihr ihren Instagram-Account), und ich kam zum Schluss: Es hilft gerade nur – weitermachen.
Ich bin die Runde zu Ende gelaufen, war sogar ein bisschen länger unterwegs als normalerweise. Ich habe den Podcast zu Ende gehört und kam verschwitzt und glücklich wieder zu Hause an. Und bei der nächsten Joggingrunde zwickte es nur noch ganz kurz in meinem Gehirn, als ich in meine Shorts stieg: Willst du die echt anziehen? Ja, will ich! Und los ging’s.
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