Seit der Geburt ihres Kindes vor sechs Jahren leidet Alice Winter*, 40, unter Inkontinenz - sie kann ihre Blase und ihren Darm nicht mehr gut kontrollieren. Hier erzählt sie, was das für ihren Alltag bedeutet - und was ihr hilft, damit umzugehen.
Nach der Geburt – wie Inkontinenz mein Leben beeinflusst
*Auf Wunsch der Betroffenen wurde der Name von der Redaktion geändert.
"So, jetzt spannen Sie mal Ihren Beckenboden an und machen die Fahrstuhlübung." Ich sehe die Physiotherapeutin entgeistert an. "Das geht nicht. Ich spüre ja nichts!" Die Frau hatte offenbar keine Ahnung, wie es mir geht. Ich habe kein Gefühl mehr im Beckenboden – null. Deswegen bin ich hier! "Denken Sie sich die Bewegung einfach", sagt sie, "das sind nur ganz leichte Bewegungen."
Selten habe ich mich so unverstanden gefühlt. Hätte sie die geringste Ahnung gehabt, wie ich mich fühle, hätte sie dieses Kommando so nicht gegeben. Das ist, als würde man einer Magersüchtigen sagen, sie soll mal was essen! Dieses mangelnde Feingefühl, dieses Unwissen haben mich irritiert und frustriert.
Inkontinenz nach der Geburt - Ein Einzelfall?
Alice ist damit nicht alleine. Insbesondere beim Sport sind viele Mütter durch Inkontinenz beeinträchtigt. Eine Umfrage von Elvie und YouGov hat ergeben, dass von 1004 Müttern über 39 Jahren, mehr als 40% beim Sport negativ beeinträchtigt sind. Die Folge: Viele Frauen sind weniger aktiv. Einige wechseln die Sportart oder hören sogar ganz mit Sport auf.
Die Inkontinenz begann nach der Geburt des ersten Kindes
Alice Winter: Seit der Geburt meines ersten Sohnes bin ich inkontinent. Die Geburt verlief ganz normal, bis mir viel zu spät eine PDA gelegt wurde, um den Schmerz zu betäuben, wodurch meine Wehen ins Stocken gerieten. Die Ärztin hat mit Kraft nachgeholfen und meine Tochter mit dem Unterarm aus dem Bauch gepresst. Ich glaube, dabei ist der Schaden entstanden, auch wenn sich das nicht nachweisen lässt.
Fakt ist: Direkt nach der Geburt lief mir jedes Mal, wenn die Blase voll war und ich aufgestanden bin, der Urin die Beine runter. Ich hatte keinerlei Gefühl mehr in der Blase. Im Krankenhaus sagten sie, ich müsse einfach mit meiner Hebamme an der Rückbildung arbeiten. Aber weder meine erste Hebamme noch die ersten Physiotherapeuten konnten mir helfen. Ingesamt habe ich zwischen zehn und zwanzig Therapeuten konsultiert, dazu Urologen, Proktologen, Gynäkologen, und ich war in zwei Beckenbodenzentren.
Ich musste lernen, dass der Beckenboden für Mediziner immer noch ein Mysterium ist. Und ich musste eine ganz neue Ecke im Drogeriemarkt kennenlernen: Das Sortiment ist riesig. Anfangs habe ich es nicht immer rechtzeitig ins Bad geschafft. Heute ist es nicht mehr so schlimm, ein wenig Gefühl habe ich zurückgewonnen. Inzwischen brauche ich meist nur noch Slipeinlagen.
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Zur Blasenschwäche kam noch eine Stuhlinkontinenz
Das ist die Sache mit der Harninkontinenz. Aber leider habe ich dazu auch noch eine Stuhlinkontinenz entwickelt – und da hilft keine Slipeinlage. Wenn ich merke, ich muss zur Toilette, dann muss ich wirklich genau dann. Ich kann nicht sagen: "Ich warte, bis ich zu Hause bin."
Glücklicherweise habe ich eine sehr geregelte Verdauung. Wenn ich morgens zur Toilette gehe, kann ich das eigentlich gut steuern. Eigentlich. Ich musste mich auch schon mal im Supermarkt ein paar Minuten lang auf einen Kasten Wasser setzen. Sitzen hilft, weil es den Prozess mechanisch stoppt. Solche Situationen sind demütigend. Sie machen mich wütend. Und traurig.
Einmal konnte ich morgens nicht zur Toilette und das ist in die Hose gegangen – im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Mann war zu Hause. Ich wünschte mir, er würde solche Momente nie mitbekommen. Es reicht schon, dass ich mich jedes Mal wie eine 85-Jährige fühle, wenn ich den Müll aus dem Bad bringe. Trotzdem war mein Mann der Erste, mit dem ich darüber gesprochen habe. Logischerweise steht er dem Ganzen etwas hilflos gegenüber. Aber er gibt mir ganz viel Kraft.
Blasenschwäche belastet: Immer das Gefühl, nicht gut zu riechen
Ich hatte etwas Angst vor unserem ersten Sex nach der Geburt. Ich habe mir Sorgen gemacht, dass vielleicht alles total geweitet ist und er nichts mehr spürt. Aber er hat gesagt, dass es sich super anfühlt. Ich glaube ihm, weil ich ja merke, dass es ihm immer noch großen Spaß macht. Das hat mir wirklich sehr geholfen. Aber der Sex hat sich für mich verändert. Ich habe immer das Bedürfnis, frisch geduscht zu sein. Früher haben wir uns dem Moment hingegeben. Ich habe heute immer das Gefühl, nicht gut zu riechen. Ich erlaube meinem Mann auch nicht mehr, mich oral zu befriedigen. Das andere ist, dass ich tatsächlich weniger spüre. Ich wusste meinen Beckenboden früher gut einzusetzen. Auch beim Orgasmus – früher konnte ich richtig spüren, wie die Muskeln sich zusammenziehen. Auch wenn wir immer noch Lust aufeinander haben, war es früher schöner für mich.
Seit der Inkontinenz fühle ich mich unsexy…
Auch im Alltag hat sich einiges verändert. Früher war ich ziemlich sportlich. Heute kann ich keinem Bus mehr hinterherlaufen. Mit den Kindern rumzuspringen geht gar nicht. Slipeinlagen im Badeanzug? Das funktioniert nicht. Es gibt aber Produkte, um sich zu verschließen. Doch all das kratzt an meiner Weiblichkeit. Ich finde es unsexy, Slipeinlagen zu tragen, ich finde es unsexy, das Gefühl zu haben, nach Urin zu riechen.
Es hat einige Zeit gedauert, bis ich Freundinnen davon erzählt habe. Vielleicht war das der Zeitpunkt, als mir klar wurde: Das bleibt jetzt so. Meist nenne ich das Ganze eine "Beckenbodenschwäche". Ich glaube, es fiele den meisten Leuten leichter, einen Herzklappenfehler hinzunehmen als Inkontinenz. Das ist anders behaftet.
Bei meiner zweiten und dritten Schwangerschaft haben mir alle zum Kaiserschnitt geraten. Doch die Entscheidung konnte mir keiner abnehmen. Interessanterweise habe ich die erste Geburt trotz allem positiv abgespeichert. Deshalb sträubte sich etwas in mir gegen den Kaiserschnitt. Aber ich fürchtete auch, wenn es nur einen Hauch schlechter würde, könnte ich meinen Alltag überhaupt nicht mehr frei gestalten. Trotzdem habe ich mich am Ende in beiden Fällen für eine natürliche Geburt entschieden – und es ist zum Glück nicht schlimmer geworden. Bei den Schwangerschaften selbst war der Druck auf meine Blase allerdings furchtbar. Am meisten hat mich aber gestört, dass ich mich nicht einfach über meine Schwangerschaften freuen konnte. Die Unsicherheit, ob ich damit mein Glück nicht herausforderte, hat mich oft gequält.
Manchmal hilft nur Verdrängung
Und manchmal bin ich einfach wütend. Dann denke ich: Diese Ärztin, diese Hebamme – die haben keine Ahnung, was ich für Probleme habe. Sogar mein Beruf stand auf der Kippe. Ich bin Flugbegleiterin. Da gibt es Zeiten, da kann man nicht einfach zur Toilette gehen. Zwischen den Schwangerschaften habe ich aber einige Monate gearbeitet, ohne große Probleme. Das macht mich zuversichtlich, denn ich will auf jeden Fall zurück in meinen Job.
Ich bin ein lebensfroher Mensch. Ich habe drei wunderbare Kinder und großes Glück mit meinem Mann. Ich weiß, es gibt viel furchtbarere Diagnosen. Trotzdem hilft manchmal nur Verdrängung. Denn obwohl mir klar ist, was für ein erfülltes Leben wir haben und es uns wirklich gut geht, habe ich manchmal die Angst: Wenn es heute so ist – wie wird es erst sein, wenn ich 70, 80 Jahre alt bin?
Inkontinenz verhindern
Wie bei so vielem gilt: Vorsorge ist besser als Nachsorge. Mit gezielten Übungen kann die Beckenbodenmuskulatur unterstützt werden. Je früher damit begonnen wird, desto besser. Wichtig ist dabei auf die korrekte Atmung zu achten. Denn Atmung, Zwerchfell und die Beckenmuskulatur stehen in einer engen Beziehung zueinander.
Atmen wir ein, senkt sich das Zwerchfell nach unten, wodurch die Bauchorgane heruntergedrückt werden. Daraufhin dehnt sich die Beckenbodenmuskulatur und senkt sich ebenfalls.
Bei der Ausatmung heben sich das Zwerchfell und die Bauchorgane wieder an, wodurch sich auch die Beckenbodenmuskulatur zusammenzieht und hebt.
Um den Beckenboden gezielt zu trainieren, gibt es spezielle Beckenbodentrainer. Diese kleinen Geräte sind meist aus medizinischem Silikon und werden wie ein Tampon eingeführt. Wie zum Beispiel der von Elvie. Zusätzlich können die Geräte mit einer App auf dem Smartphone verbunden werden. Dort sind viele Übungen hinterlegt und einem wird Feedback gegeben, ob die Übung richtig ausgeführt wird.
Zudem gibt es diese beiden Übungen für die kein Equipment benötigt wird und die sich gut in den Alltag integriert lassen:
Brücke:
- Auf einer Matte auf den Rücken legen, die Beine aufstellen
- Nun den Po anheben, bis die Schultern und die Knie eine gerade Linie bilden
- Die Spannung 5-10 Sekunden halten
- Im Anschluss den Po wieder absenken
- Diese Übung 5-10 Mal wiederholen
Katzenbuckel:
- In den Vierfüßlerstand gehen
- Beim Ausatmen die Beckenbodenmuskulatur anspannen und den Rücken rund nach Oben wölben
- Während des Einatmens wieder in die Ausgangsstellung zurückkehren und den Beckenbodenmuskel gezielt entspannen
- Auch diese Übung 5-10 mal wiederholen
Wie alles im Leben: Die Übung macht den Meister. Wer seinen Beckenboden regelmäßig trainiert profitiert nicht nur von einer Starken Stütze für Blase und Darm, sondern auch für ein intensiveres Sexleben. Der Beckenbodenmuskel wird ja nicht um sonst Liebesmuskel genannt…